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Kenan SİNANOĞLU Gözüyle 


     

 



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Roman - 1591 GÜLHAYATS ISTANBUL
09.04.2011
Kenan SİNANOĞLU
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Kenan Sinanoglu

1591 GÜLHAYATS ISTANBUL

R o m a n

- Daha önce basılı olarak ve www.ucnokta.com'da bölüm-bölüm yayınlanmştır;
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Kapitel 1

Ich bin Gülhayat, die Adoptivtochter des osmanischen Geschichtsschreibers Selaniki Mustafa Efendi, und schreibe hier in Istanbul, der Stadt, in der ich lebe, liebe und geliebt werde, dieses Buch.

Warum beginne ich gerade jetzt im Frühjahr 1591 zu schreiben? Nun, dafür gibt es genügend Gründe. Ich bin einundzwanzig Jahre alt und seit meinem fünften Lebensjahr hier in Istanbul. Ich bin in dieser wunderbaren Stadt mit all den Freuden durch Glück und Unglück innerlich reifer geworden trotz meiner Jugend. Ich würde Istanbul gegen andere Orte der Welt, die ich aus den Büchern, Werken und Erzählungen der Freunde meines Adoptivvaters Selaniki Mustafa Efendi kenne, nicht tauschen wollen. Er hatte und hat so viele Freunde, wie den großen Architekten Sinan und den Astronomen Takiyeddin Maruf Efendi und andere Wissenschaftler, Staatsbeamte, aber auch viele andere Bekannte, wie die einfachen Kayikruderer, die uns über das Goldene Horn, über den Bosporus und das Marmarameer übersetzen, gleitend wie ein Kieselstein auf einem gefrorenen Fluss.

Ich war als Kind einmal mit meinem Adoptivvater bei Sultan Murad III., dem er etwas Geschriebenes überbrachte. Er saß nicht auf seinem Thron, von dem mir mein Vater erzählt hatte, dass er über und über mit Gold bedeckt und mit Edelsteinen besetzt sei. Damals war ich sechs oder sieben Jahre alt. Sultan Murad III., ein schön aussehender, junger schlanker Mann mit schmaler Nase und freundlichen Augen ließ mich seine Hand küssen und holte aus der Tasche seines Kaftans ein mit Blumen bemaltes Kästchen hervor, das er mit einem winzigen Schlüssel aufzog. Er muss gewusst haben, dass mein Vater mich zu ihm bringen wollte. Als er mir das Kästchen reichte, erklang daraus eine Melodie. Er hatte mir eine Spieluhr geschenkt und mich beglückt. Die Spieluhr steht noch heute auf ihrem Ehrenplatz.

Am liebsten mochte ich den großen Architekten Sinan mit seinem weißen Bart und seinen weisen, klugen Augen. Ich war als Kind oft bei ihm und spielte mit seinen Enkelkindern. Er starb vor drei Jahren, ein Jahr vor dem großen Brand, bei dem in Istanbul 28 Moscheen, 22000 Wohnungen und 15000 Geschäfte brannten. Der Brand war tagsüber ausgebrochen und kostete dadurch, dass die Leute fast drei Tage lang draußen blieben, Gott sei Dank weniger Menschenleben als sonst. Zehn Menschen starben. Der Sachschaden war jedoch immens.

Sinan, der von Mekka bis fast vor Wien unzählige Bauten hinterließ, wurde 98 Jahre alt und ich sollte nicht vergessen, dass die Süleymaniye-Moschee, die von meinem Vaterhaus nur 50 Schritte entfernt ist, ein Werk von ihm ist, imposant wie ein "Ararat". Im Hof der Süleymaniye-Moschee haben wir als Kinder immer gespielt; zu den Gebetszeiten achteten wir darauf, dass wir nicht laut wurden.

Sinans Lieblingssultan Süleyman und er sind nicht weit vom Hof der Moschee in ihren kleinen, würdigen Mausoleen begraben. Sinan hatte viel Glück in seinem Berufsleben, aber ich bin überzeugt, auch sonst hatte er alle Zuneigung in den Herzen der Menschen. Er baute zuerst Schiffe und Brücken, dann andere Bauten, hinterließ laut einer Liste, die ich in den Schriften meines Adoptivvaters Selaniki Mustafa Efendi las, 84 große Moscheen, über 50 kleinere Moscheen, 57 Medressen, 35 Villen und Paläste, 40 Hamams als Bäder für das Volk, 20 Karawansereien, Mausoleen, Viadukte, Wasserkanäle, Brücken, Militärkasernen und unzählige andere Bauten.

Der Astronom Takiyeddin Maruf Efendi ist der Astronom Sultan Murats III. Anfangs hatte er sehr viel Glück. Aber als der Sultan dem Klerus hörig wurde, musste er beruflich großes Unglück überstehen.

Die vom Astronomen Takiyeddin Maruf Efendi mit Erlaubnis des Sultans gegründete und erbaute Sternwarte wurde nach zwei Jahren von Kriegsschiffen aus, die im Bosporus gegenüber der Sternwarte Anker geworfen hatten, bombardiert.

Merkwürdigerweise galt der Schaden nur der Sternwarte. Unserem Takiyeddin Maruf Efendi und seinen Mitarbeitern passierte nichts. Im gleichen Jahr, als Sinan starb, überreichte Takiyeddin Maruf Efendi je ein Exemplar seiner neuesten wissenschaftlichen Arbeiten als dickes Buch der Süleymaniye-Bücherei und diesem merkwürdigen Sultan. Mögest du noch lange leben, Takiyeddin Maruf Efendi. Dein "Morgenstern" Gülhayat wünscht dir ein immer währendes Glück. Dir verdanke ich die Ermunterung, nun selbst zu schreiben.

Was hat diese Stadt, deren Name in ihrer zweitausendjährigen Geschichte wechselte, aber immer bedeutend war, nicht alles erlebt. Mein Adoptivvater Selaniki Mustafa Efendi, der Vorkommnisse festzuhalten pflegt, schafft auf diese Weise Geschichtsbücher, die er in Bänden zusammenfasst. Vom ersten Exemplar wird eine Abschrift durch seine vertrauten Schreiber für den Sultan und eine Abschrift für die Bücherei der Süleymaniye-Stiftung angefertigt. Ein Exemplar behält er für sich. Das Exemplar für den Sultan händigt er diesem selbst aus und es wird von der Palastkasse sofort bezahlt. Notwendigerweise werden diese Schriften durch Abschreiber vervielfältigt und an Stellen und Persönlichkeiten geleitet, die Bedarf daran haben.

Das Exemplar für die Bibliothek der Süleymaniye-Stiftung gibt er bei dem Verwalter der Stiftung ab und erhält von der Stiftung sofort sein Geld. Die Süleymaniye-Stiftung umfasst einen ganzen Komplex, zu dem die Moschee, die Bücherei, Schulen, Armenküchen, ein Krankenhaus und weiteren Anlagen gehören.
Das Abschreiben von Büchern ist mühsam und langwierig und längst überholt, denn die ersten Druckmaschinen brachten bereits im Jahre 1492 aus Spanien emigrierte Juden mit ins Osmanische Reich. Damals wurde eine halbe Million Juden gut aufgenommen. Sie durften sich niederlassen, wo sie wollten. Juden, Armenier und Griechen, wo immer sie im Osmanischen Reich leben mochten, durften schon zur damaligen Zeit in ihrer jeweiligen Schrift und Sprache alles, was sie wollten, drucken und verbreiten und das machen sie heute ebenso. Sie dürfen allerdings keine Texte in arabischer Schrift, in der unter anderem religiöse Bücher geschrieben werden, und keine osmanisch-türkischen Schriftsachen drucken, deren Schrift mit ganz kleinen Ergänzungen auch die arabische Schrift ist.

Die Herrschenden und der Klerus sind dagegen, dass Bücher mit Maschinen gedruckt werden, weil sich sonst die Machtverhältnisse über kurz oder lang ändern würden. Die Gilde der Abschreiber ist natürlich auch dagegen, weil die Abschreiber dann arbeitslos wären. Diese drei Kreise verstecken sich hinter der Ausrede, unsere Schrift sei die Schrift des heiligen Buches der Muslime. Sie dürfe nur per Hand gestaltet und vermehrt werden.

Unser Istanbul hat vor etwa acht Wochen etwas in seiner osmanischen Geschichte noch nie Vorgekommenes erlebt. Der bedeckte Basar mit seinen achtzehn Toren, fast siebzig Hauptstraßen, viertausend Läden, Werkstätten und Lagerräumen war fünfzehn Tage lang davon betroffen, weil eines Morgens aus einigen so genannten Vertrauenskassen mehrere Beutel mit Schmuck, Gold- und Silbermünzen und Säckchen mit Diamanten und sonstigen Edelsteinen verschwunden waren. Den Wert des Gestohlenen schätzte man auf 20000 bis 30000 osmanische Goldmünzen.

Als diese Ungeheuerlichkeit im Topkapi-Palast ihr Ende fand, schrieb mein Adoptivvater Selaniki Mustafa Efendi in sein Geschichtsbuch wie folgt:

"An einem Wintermorgen des Jahres 1591 wurden wie immer die Tore des inneren Bedesten geöffnet. Die Verantwortlichen der Vertrauenskassen stellten mit großer Empörung fest, dass die Siegel einiger Vertrauenskassen gebrochen und der Inhalt gestohlen war. Sie fragten untereinander, was das zu bedeuten habe. Einer von ihnen war der Ansicht, es könne nur jemand von außerhalb des Basars gewesen sein, der, als alle am Tage zuvor zum Freitagsgebet waren, die Abwesenheit der Leute als die beste Gelegenheit für seine Tat angesehen hatte.

Die Bestohlenen rechneten das Gestohlene zusammen. Sie zählten die leeren Kassen und schätzten die Summe der gestohlenen Wertgegenstände, Edelsteine, Schmuck und Münzen auf etwa 20000 bis 30000 osmanische Goldmünzen. Weder tags noch nachts wäre diese Summe aus dem Bedesten leicht herauszuschaffen.

Die Diwanversammlung vom Topkapi-Palast besprach den Fall und beauftragte eine Untersuchungskommission, die aus dem Oberrichter von Istanbul, Richter Tschiwizade Ali Tschelebi Efendi, dem Janitscharen-Armeeoberkommandanten Mustafa Aga und dem Sicherheitschef Ridvan Aga bestand..."

Kurzum, mein Adoptivvater, der osmanische Geschichtsschreiber Selaniki Mustafa Efendi, hat diesen Raub im Basar und den weiteren Verlauf und das Ende als Bericht kurz und knapp erzählt. Ein Geschichtsschreiber muss eben die relevanten Geschehnisse in einer Gesellschaft, ohne eigene Meinung und Empfindungen zu erwähnen, zu Papier bringen.

Wenn ich verborgen hinter dem Sichtschirm aus dünnem Gitterholz aus dem Fenster unseres Hauses auf die Straße schaue, betrachte ich unbemerkt das farbenfrohe, geschäftige Treiben, beobachte Männer, Frauen und Kinder, Menschen jeden Alters, in verschiedensten Kleidern in allen Formen und aus den unterschiedlichsten Materialien. Diese Stadt liebt diese Menschen und auch sie lieben Istanbul. Ich liebe beide.

Viele meiner Bekannten waren in irgendeiner Weise vom Raub im Bedesten betroffen und waren sehr empört, dass überhaupt so etwas passieren konnte. Der Raub legte das Leben in Istanbul lahm.

Ich habe mich in eines der Zimmer zur Gartenseite zurückgezogen und das Fenster geöffnet und atme die Kühle des Frühjahrs. Kirsch- und Pflaumen-, Apfel-, Granatapfel-, Quitten- und Mandarinenbäume, die beiden jungen Feigenbäumchen und die alten Olivenbäume sind meine Zeugen, dass ich etwas Neues beginne... Ich versuche einen Roman zu schreiben. Romane sind in unserer Sprache so gut wie unbekannt. Als ich ein kleines Mädchen war, hatte mir Latif, der gutherzige Onkel aus Abessinien, der als Sklave zu uns kam, erklärt, was ein Roman ist.

Kapitel 2

Ich bin Latif, Gülhayats Onkel. So nennt mich Gülhayat jedenfalls, die Adoptivtochter des osmanischen Geschichtsschreibers Selaniki Mustafa Efendi. Es ist gut, dass sie mit ihrem Roman angefangen hat. Meine Geschichte, bis Selaniki Mustafa Efendi mich im Sklavenmarkt im bedeckten Basar in Istanbul kaufte, werde ich kurz und knapp, wie er seine Geschichten zu schreiben pflegt, erzählen.

Als fünf- bis sechsjähriger Junge hatte ich von gefährlichen Menschenräubern gehört, die Dörfer überfielen und ihre Beute auf Sklavenmärkten verkauften, wo die Menschen weiterverkauft wurden und in ein Land, das die Leute Amerika nannten, gebracht wurden. Heute weiß ich, dass diese Gefangenen in spanischen und anderen Kolonien auf Plantagen und in Ställen arbeiten, bis sie sterben. Und sie sterben schnell, sieben Jahre hält ein Sklave höchstens durch.

Eines Tages kamen diese Jäger auch in unser Dorf, ich war etwa 14 Jahre alt. Wer nicht früh genug die Gefahr von Bäumen und Höhen aus gesehen hatte oder von anderen nicht gewarnt worden war und sich nicht versteckten konnte, den nahmen diese Leute mit. Auch diejenigen, die sich versteckt hatten, wurden leicht von den Menschenräubern mit Hilfe ihrer einheimischen Männer, die sie für sich arbeiten ließen, gefunden. Sie zogen Frauen und Männer zwischen sechzehn und dreißig Jahren vor. Die anderen nahmen sie in Ausnahmefällen mit. So mich zum Beispiel; obwohl ich damals ungefähr vierzehn Jahre alt war, sah ich etwas älter aus. Also nahmen sie auch mich mit. Wir wurden über den beschwerlichen Landweg zum Mittelmeerufer auf Schiffe gebracht. Nach einer langen Seereise, immer vorsichtig wegen der Korsaren und der osmanischen Seestreitkräfte, kam unser Schiff in Spanien an. Nach und nach wurden so gut wie alle von uns, fast 500 Leute, mit Handelsschiffen, die mit Kanonen versehen waren, nach Amerika mitgenommen. Ich war unter den wenigen, die nicht nach Amerika gebracht wurden. Ein spanischer Kapitän-Kaufmann kaufte mich. Er hieß Manuel Alvarez. Sein Handelsschiff verkehrte zwischen Spanien und Italien. Ihm fehlte der linke Arm. Ich sollte bei ihm alles, was nötig war, lernen.

Später erfuhr ich von ihm, dass er als Söldner in der venezianischen Kriegsmarine im Seekrieg im Oktober 1571 gegen die Osmanen seinen linken Arm verlor und mit Mühe und Not mit einem Arm davonkam. Dieser Manuel Alvarez war während des Krieges mit einem spanischen Söldner namens Miguel de Cervantes zusammen. Cervantes wurde nach einigen Jahren auf See von algerischen Korsaren gefangen genommen und war fünf Jahre in Gefangenschaft in Algerien. Kurz bevor er nach Istanbul gebracht werden sollte, wurde er von einem Priester freigekauft.

Ich lernte bei Alvarez alles, was auf einem Schiff zu tun war, lernte Spanisch sprechen und auch lesen und schreiben. So etwa vergingen zehn Jahre auf dem Schiff. Um 1580 besuchte ich mit Alvarez seinen Kriegskameraden Miguel, der frisch freigekauft war. Miguel de Cervantes war im Krieg auch verletzt worden und konnte seine linke Hand nicht mehr gebrauchen. Mein Kapitän Alvarez und ich besuchten ihn in jenem Jahr fünf- bis sechsmal und jedes Mal führten die beiden Herren über Gott und die Welt intensive Gespräche. Miguel de Cervantes sollte bald für die spanische Kriegsmarine als Versorgungskommissar arbeiten. Dieser Herr Cervantes zeigte seinem Freund Alvarez Schriften, die, wenn sie fertig seien, ein Roman werden sollten.

Ich fragte später meinen Kapitän, der früher als junger Mann viele Romane gelesen hatte, was einen Roman von einem Märchen unterscheide, und erzählte ihm, dass ich nur Märchen kenne und man in meinem Dorf von einem unerzogenen Menschen mit wenig Mitgefühl und Erbarmen sagt, seine Mutter habe ihm wohl nie Märchen erzählt.

Alvarez schaute mich so überrascht an, dass seine Brauen hüpften. "So ungefähr, so ungefähr ist auch ein Roman. Der Unterschied ist eher, dass der Roman alle Altersgruppen anspricht. Beim nächsten Besuch bei Cervantes werde ich ihm erzählen, was in deinem Dorf über unerzogene Menschen gesagt wird", sagte er.

Ich bat Alvarez, einige Romane kaufen und in meiner Freizeit lesen zu dürfen. Er schlug meine Bitte nicht ab, mahnte mich aber, dass meine neue Leidenschaft meine Arbeit auf dem Schiff nicht verhindern dürfe. Ich kaufte mir einige Romane und begab mich in ihre Welt und hielt meine Arbeit und meine beginnende Leidenschaft im Gleichgewicht. Das gefiel meinem Kapitän. Wenn wir beide frei hatten, erzählte ich ihm die Märchen, die ich von meiner Mutter und anderen Menschen gehört hatte. Er dagegen erzählte auch, aber überwiegend von den Romanen, die er gelesen hatte, oder von Schiffskatastrophen, über die er Berichte gehört hatte.

Unser Handel zwischen Spanien und Italien lief im Großen und Ganzen gut und ohne Probleme. Alvarez hatte mir schon früh großes Vertrauen entgegengebracht. Ich beherrschte den Umgang mit Navigationsgeräten gut. Was er bei mir besonders schätzte, war mein Seh-, Hör- und Riechvermögen. Alle drei Eigenschaften waren bei mir, wie ich zu meinem Staunen selbst feststellte, auf See noch intensiver. Die gefährlichen Seeräuberschiffe nahm ich nachts, wenn das Fernglas nicht allzu sehr half, bei günstiger Luftbewegung von weitem mit Ohren und Nase wahr. Solchen Gefahren entkamen wir, indem wir den Kurs wechselten und die Geschwindigkeit mit zusätzlichen Segeln oder schnellem Rudern beschleunigten.

Gegen Ende des Jahres 1580, kurz vor der italienischen Küste, erwischte uns das Unglück. Es war Abend, aber bereits stockdunkel, kalt, regnerisch und windstill. Wir wurden von drei nordafrikanischen Piratenschiffen umzingelt und hatten uns ohne allzu großen Widerstand ergeben müssen. Die Seeräuber verschleppten unser Schiff, das für Spanien mit Seidenstoffen aus China voll beladen war, samt unserer Mannschaft, insgesamt 18 Leute, zu ihrem Hafen in Algerien.

Alles, das Schiff, die Ware und wir, ausgenommen unser guter einarmiger Kapitän, der dazu älter war als wir Übrigen und etwas sehbehindert, wurde in den darauf folgenden Tagen an Sklavenhändler verkauft. Ich hoffe, dass unser Kapitän Alvarez Glück hatte und von einem gutherzigen Gottesmenschen freigekauft wurde und lebt. Vielleicht ist er aber auch längst in Gefangenschaft gestorben.

Menschen, die im Osmanischen Reich leben, sind auch durch Menschenräubern gefährdet. Die christlichen Seeräuber überfallen weniger gut geschützte kleine Dörfer und Küstenstädte Anatoliens. Die gefangen genommenen Leute werden meistens innerhalb Europas verkauft und dienen dann in Adelshäusern als Dienerinnen, Diener oder auf den Schiffen als Galeerensklaven.

Nun musste ich sehen, was auf mich zukam.

Mich brachten die Sklavenhändler mit noch drei anderen Seeleuten von unserem Schiff, einem Spanier, einem Italiener und einem Deutschen, nach Istanbul, wo wir im Esir Hani, der Unterkunft für verkäufliche Sklaven knapp außerhalb des bedeckten Basars, untergebracht wurden. Dort wimmelte es von weiblichen und männlichen Sklaven jeden Alters und jeder Hautfarbe. Von dort brachte man uns jeden Tag, wenn die Tore des großen Basars geöffnet wurden, zum darin befindlichen Sklavenmarkt, dem "Sandal Bedesteni", wo Sklaven durch Versteigerung verkauft wurden.

Die Käufer waren überwiegend Privatleute, Geschäftsleute aber auch Staatsleute. Der deutsche Seemann, unser Freund Anton, wurde schon am dritten Tag von einem osmanischen Offizier gekauft. Diesem Anton begegnete ich später in Galata, auf der anderen Seite des Goldenen Horns in der schon zur byzantinischen Zeit von Genuesen gegründeten Kolonie, die längst der osmanischen Staatsmacht unterstand aber wie einst überwiegend von west- und osteuropäischen Kaufleuten und Botschaftsangehörigen bevölkert ist.

Am siebten Tage merkte ich, anders als bei einigen füheren Interessenten, dass ein osmanischer Efendi mit seiner etwa 11-jährigen Tochter mir wohlgesinnt war. Dazu noch erfuhr der Efendi aus dem Inventarheft meines Sklavenhändlers, dass ich Spanisch spreche. Der Efendi sprach mich auf Spanisch an. Ich erzählte ihm kurz meine Lebensgeschichte. Das Mädchen hörte sehr aufmerksam zu, obwohl ich merkte, dass das Kind gewiss kein Spanisch verstand. Durch die Begegnung mit diesen beiden warmherzigen Leuten schlug mein Herz nach langer Zeit wieder etwas lebendiger. Ich wagte zu hoffen, von ihnen gekauft zu werden; sie sahen gut aus, rochen gut, ihre Sprache untereinander war Türkisch. Sie sprachen leise und mir kam es vor, als klinge die Sprache wie ein Musikinstrument. Gleich bei der ersten Begegnung entschlossen sie sich mich zu kaufen und das war wirklich mein Glück. Denn so gelangte ich zu dem geehrten Selaniki Mustafa Efendi und zu seiner Tochter Gülhayat, die ich recht ins Herz geschlossen habe.

Das war mein langer Weg aus meinem Dorf in Abessinien bis zu Gülhayat in Istanbul. Inzwischen ist sie eine junge, gebildete Frau, die nun begonnen hat, diesen großen Raub im Bedesten des bedeckten Basars in Istanbul im Winter 1591 als Roman zu erzählen.

Vielleicht wird ja bald im Osmanischen Reich auch für das muslimische Volk die Erlaubnis erlassen, Bücher zu drucken. Dann wäre es möglich, einen gedruckten Roman unter die Leute zu bringen.

Wenn ich daran denke, dass 1440 in Straßburg die erste Druckerei gegründet wurde und seither 150 Jahre vergangen sind und hier im Osmanischen Reich die Menschen islamischen Glaubens in ihrer türkischen oder türkisch-osmanischen Sprache und Schrift keine Bücher drucken dürfen, bin ich traurig.

Kapitel 3

Ich bin einer der osmanischen Geschichtsschreiber. Man nennt mich Selaniki Mustafa Efendi. Mein Vater war in Saloniki geboren. Später hatte er wegen einer Angelegenheit längere Zeit in Saloniki zu tun und starb dort; mir blieb der Beiname "der aus Saloniki". Hier müssen viele Mustafas unterschieden werden.

Im Winter 1591 hat sich im Basar ein bis dahin noch nie vorgekommener, ganz gemeiner Raub mit schlimmen Folgen ereignet.

Gülhayat, meine Adoptivtochter, bittet mich nun, meinen Teil zu ihrem Roman beizutragen. Meine Bekanntschaft mit Romanen ist fast so alt wie meine ersten Spanischkenntnisse. Da war ich noch ein Kind. Im Nachbarhaus meines Elternhauses, in dem wir immer noch wohnen, wohnte eine jüdische Flüchtlingsfamilie, die aus Spanien ausgewiesen worden war. Sultan Bayezid II. hatte so gut wie alle Ausgewiesenen, etwa eine halbe Million Juden in seinem Reich aufgenommen. Herr Schimon, der in Spanien mit Büchern handelte, war hier als ein armer junger Mensch angekommen. Er fing bei einem griechischen Buchhändler, der schon ziemlich alt war, im bedeckten Basar als Helfer und Mitarbeiter an. Dieser Laden verschickte überwiegend byzantinische Bücher, die immer noch nicht alle waren, aber auch Bücher aus Indien, Persien, Arabien, Russland und sonstwo, nach Italien und andere Länder in Fässern. Ich spielte als Kind mit den Kindern dieser Nachbarn und lernte von ihnen Spanisch. Ich ging auch oft mit den Kindern zum Basar in den Buchladen ihres Vaters und blätterte in den Büchern. Da waren auch aus Europa importierte Bücher, unter anderem in Spanisch, die Roman genannt wurden. Da ich von Schimons Kindern Spanisch sprechen und auch die Sprache schreiben gelernt hatte, konnte ich ohne allzu große Schwierigkeiten Romane entziffern.

Später, als ich Geschichtsschreiber wurde, kaufte ich dort in dem Laden, der jetzt von einem Sohn Schimons geleitet wird, und bei anderen Händlern Bücher über alte und neue Geschichte bekannter Kulturen.

Es wird Zeit zu erzählen, wie ich zu meiner Adoptivtochter Gülhayat gekommen bin. Ich hielt mich damals in Belgrad auf, um dort die Sicherheit der Donauschifffahrt vor den Flusspiraten zu recherchieren. Denn damals hatten diese Vorkommnisse, die zu Zeiten Süleymans des Prächtigen so gut wie nie vorkamen, zugenommen. Die Räuber kamen nachts aus den Dickichten des Ufers mit mehreren ihrer kleinen, schnellen Ruderboote und raubten die Güter auf den Kaufmannsbooten, auf denen sich auch Passagiere befanden.

Die Flusspiraten machten auch vor Mord nicht Halt. Daher fuhren die Kaufmannsboote in Begleitung von Janitscharensoldaten. Ich untersuchte die historischen Fakten und Daten und die derzeitige Lage. Den Bericht musste ich dem Sultan in Istanbul persönlich vorlegen. Meine Aufgabe als Geschichtsschreiber war alles andere als Spionage, Beobachtung und Ähnliches, was sonst vom osmanischen Geheimdienst wahrgenommen wurde. Der hatte im Staatsbereich, aber auch außerhalb des Reichs seine beauftragten Leute und seine Helfer, wie andere Mächte in Europa auch ihre Menschen hatten, die im Osmanischen Reich geheime Aufträge erfüllten.

Ich hatte meine Arbeit beendet, die dazu notwendigen Berichte verfasst und wollte zwei Tage später über Land in einer geschützten Kaufmannskarawane nach Istanbul reisen.

Als ich am vorletzten Tag meiner Reise am Morgen durch den Janitscharenoffizier von einem Fall hörte, begab ich mich mit ihm und seinen Begleitern zum Tatort. Dort am Ufer fanden wir im Schutze der Janitscharen ein Kind, eine alte Frau und drei verletzte Janitscharen, die gerade verarztet worden waren und im schnell aufgestellten Armeezelt lagen. Die Janitscharen hatten fünf der bewaffneten Flussräuber getötet. Der Rest, etwa zehn ebenfalls bewaffnete Räuber versuchten die Flucht auf ihren drei Booten und verschwanden in der dunklen Nacht im Dickicht des Ufers. Etwa ein Dutzend bewaffnete Boote der Janitscharen durchkämmten das nahe gelegene Dickicht auf beiden Seiten der Donau. All das schrieb ich auf.

Ich erfuhr von der alten Frau, dass das Kind ihre Enkelin Gülhayat ist, dass sie mit der Mutter des Kindes, also ihrer Schwiegertochter, unterwegs nach Istanbul gewesen war. Die Mutter des Kindes war bei dem Überfall von den Flussräubern getötet worden. Das erfuhr ich gleich als Erstes. Sie war in der Donau versunken und bisher nicht gefunden worden. Der Vater der Enkelin war ein Verwaltungsbeamter in einer Kleinstadt nördlich von Belgrad gewesen und kurz vor seiner Beförderung zum Abteilungsleiter in Budapest vor einem Jahr an einer Krankheit gestorben.

Ich entschloss mich, das Kind und seine Großmutter nach Istanbul mitzunehmen. Sie würden wohl bei uns wohnen können, unser Haus war geräumig genug. Vielleicht würden wir das Kind adoptieren. Unser Sohn Emirhan, ein Offizier der osmanischen Armee, war vor drei Jahren, im Alter von zwanzig Jahren bei den Grenzstreitigkeiten an der Ostgrenze des Reiches gestorben. Ich hoffte, dass Gülhayat, die ein außergewöhnlich hübsches Gesicht, tiefe und intelligente Augen hatte, auch meiner Frau Nurten gefallen würde. Mein Angebot, dass ich Gülhayat und sie mitnehmen würde, nahm die Großmutter des Kindes an. Sie trauerte um den Verlust ihrer Schwiegertochter und dankte Gott, dass Gülhayat und sie selbst als ihre einzige Beschützerin am Leben waren.

Unsere Reise verlief ohne wichtige Vorkommnisse. Nachts schliefen wir in Karawansereien, die gut geschützt waren. Gülhayat hatte schnell begriffen, dass ihre Mutter tot war; sie trug ihre Trauer mit Würde, nahm jedoch alles mit wachem Geist auf, was nun passierte, und war neugierig und voller Freude am Schönen. Dieser Eindruck überraschte und tröstete mein Empfinden für Gülhayat und ihre Großmutter. Das ist eine Besonderheit der Menschen, die in der Fremde Wurzel schlagen.

Anfang November, als unsere Karawane bei Silivri das Marmarameer erreichte, waren wir noch zwei Tagereisen von Istanbul entfernt. Wir sahen springende Delphine. Es war ein sonniger Tag. Gülhayat schrie vor Freude über das Meer und die Delphine. Ich staunte über die Gesprächigkeit und die Phantasie dieses fünfjährigen Mädchens. Manchmal saß sie im Pferdewagen bei ihrer Großmutter und zwei anderen mitreisenden Frauen, manchmal nahm ich sie zu mir aufs Pferd.

Der Rest unserer Reise verging schnell, denn Gülhayat begann Geschichten zu erfinden. Als wir auf meinem Pferd, Gülhayat hinter mir, durch das Stadttor Edirnekapi in Istanbul ankamen, erzählte sie mir gerade von Hochzeiten der Delphine, wie sie in der blauen Tiefe des Marmarameeres tanzten und sangen und ihnen bei diesen Hochzeiten sogar bunte Fische in allen Größen und Formen auf Musikinstrumenten aufspielten. Wir rasteten eine Weile und in der Zeit ging die Großmutter Bülbül Hanim weg, um nach einer nahe wohnenden, weit entfernten Verwandten zu fragen. Sie kam nach kurzer Zeit wieder zurück und erzählte mir, dass diese sehr alte Frau vor einer Woche gestorben sei und sie nun niemanden mehr in Istanbul habe, an den sie sich wenden könne. Daraufhin nahm ich die Großmutter Bülbül Hanim und Gülhayat mit zu mir nach Hause.

Ich fand meine Frau Nurten und unser Hausmädchen Sabriye gesund und munter. Sie hießen Gülhayat und ihre Großmutter willkommen und küssten einander die Wangen. Ungefähr fünf Wochen waren wir unterwegs gewesen und am Ende froh, dass wir die Strapazen der Reise hinter uns hatten.

Kapitel 4

Was mein Adoptivvater Selaniki Mustafa Efendi erzählt hat, möchte ich, was mich betrifft, um einiges ergänzen. Wir waren also in Istanbul angekommen.

Ich verbrachte die erste Nacht mit meiner Großmutter Bülbül und der gold-schwarzgestreiften jungen Katze, die ich vom Verwalter der Karawanserei kurz vor Edirne als Trost geschenkt bekam, als dieser sich nach unserem Wohlergehen erkundigte und ich ihm erzählt hatte, dass ich meine Mutter, die in der Donau versank, und meine Katze Raziye, die verloren ging, sehr vermisse. Meine neue Katze nannte ich wieder Raziye.

In der ersten Nacht in meinem warmen, kuscheligen Bett in Süleymaniye im Hause des Selaniki Mustafa Efendi hatte ich folgenden Traum: Ich saß mit meiner Großmutter am Ufer der Donau. Es war heller Tag und heiß. Plötzlich tauchten aus dem Wasser mehrere Delphine auf und näherten sich uns. Einer der Delphine redete: "Süßes Mädchen Gülhayat, reite mich, zu deiner Mutter bring ich dich." Ich war überhaupt nicht erstaunt. Ich hatte ja schon diese Delphine im Marmarameer in Silivri gesehen. Es schien alles seine Ordnung zu haben. Ich rief zurück: "Delphin, Delphin, bist du ein Fisch oder Dschinn?" Im Traum sah ich meiner Großmutter ins lächelnde Gesicht, aber sie sagte nichts und ich nahm ihre Hand und rief: "Nach Istanbul wir ziehn, liebster Delphin!"

Da wurde ich wach. Draußen rief ein Apfelverkäufer, "Elma... Elmaa... Elmaaa... Gül-Elmaaa..." Es war hell im Zimmer und ich lag im Bett neben meiner Großmutter. Es war Morgen. Wahrscheinlich hatte sie ihr Morgengebet längst verrichtet. Auf dem Sitzpolster am Fenster lagen der halb gefaltete Gebetsteppich, der Gebetsschleier und die Kette. Sicher hatte sie sich danach wieder ein bisschen hingelegt und war eingeschlafen. Ich stand leise auf und ging ans Fenster. Da erwachte meine Großmutter und kam zu mir. "Schau, Gülhayat, da drüben, das ist die große Süleymaniye-Moschee, da unten ist das Goldene Horn, das endet am Bosporus. Weiter rechts beginnt das Marmarameer. Und einiges noch erzählte sie mir. Ich merkte, dass sie trotz des Unglücks, des frühen Todes meines Vaters und meiner Mutter, froh war, dass wir jetzt in Sicherheit waren.

Meine Großmutter hatte kaukasische Eltern, die mit ihr einst nach Istanbul geflüchtet waren. Aber meine kaukasischen Urgroßeltern waren längst gestorben. Großmutter hatte in dieser Stadt Istanbul, von der sie mir früher immer wieder erzählte hatte, inzwischen gar keine Angehörigen mehr. Aber sie war froh, dass sie wieder in Istanbul war. Ich sah in ihren Augen mit Trauer gemischte Zuversicht. Schauen wir mal, meinte sie.

Nachdem ich mich gewaschen hatte, gingen wir nach unten. Es war der neunte Tag des Fastenmonats Ramadan. Unterwegs nach Istanbul hatten die Leute der Karawane nicht gefastet. Das durften sie irgendwann nachholen.

Zur Begrüßung küsste ich die rechte Hand meiner zukünftigen Adoptiveltern. Mutter Nurten strich mir übers Haar, da begann ich sie zu lieben. Nach so vielen Strapazen waren wir jetzt endlich angekommen und ich musste heute nicht weiterziehen. Das Hausmädchen Sabriye, das älter war als ich, frühstückte mit mir. Es gab dicke Gemüsesuppe, oben drauf preßten wir Zitrone, aßen Käse-Börek dazu und tranken heiße Milch. Meine Katze sah mich mit aufmerksamen Augen an, und als Sabriye mir ein Schälchen für das Tier zuschob, gab ich der Katze etwas von meinem Frühstück. Sabriye führte mich im ganzen Haus herum und erklärte mir, was ich wissen wollte. Mein Adoptivvater schrieb in seiner Ecke auf dem Diwan, nicht weit vom Holzofen, in sein Heft. Die Stube war schön warm. Ich war glücklich.

Es klopfte eilig an der Haustür. Mustafa Efendi ging und öffnete die Tür. Ich hörte, dass ein Soldat meinem Adoptivvater kurz und knapp etwas mitteilte. Als der Soldat fort war, setzte er seinen Turban auf und sagte uns, dass Sultan Selim II. gestorben sei.

Ich hörte später, dass der Sultan im betrunkenen Zustand im Bad ausgerutscht und an den Verletzungen des Sturzes gestorben sei. Selim der Blonde aber auch Selim der Betrunkene genannt, wurde fünfzig Jahre alt und hatte nur acht Jahre regiert.

Wäre an jenem Morgen in diesem Hause, das ich als unser Haus betrachtete, diese aufrüttelnde Nachricht nicht überbracht worden, wäre der Tag vermutlich anders verlaufen. Mustafa Efendi, den ich ab jetzt Vater nennen werde, dachte eine Weile nach und machte sich zu Fuß auf zum Topkapi-Palast.

Zuerst von den Minaretten der Süleymaniye-Moschee, dann von allen Minaretten Istanbuls begann das Sala der Muezzine in herzzerreißender Traurigkeit, als Gesang den Tod eines Menschen verkündend. Wir öffneten die Fenster, lauschten und schwiegen.

Aus den Gesprächen, welche die Erwachsenen unter sich führten, bekam ich in den nächsten Tagen einiges mit. Selim war von seinem Vater Süleyman, der sechsundvierzig Jahre gerecht regiert hatte, als Thronfolger seinem Bruder Mustafa vorgezogen worden und Süleyman hatte seinen außerordentlich begabten und vom Volk geliebten Sohn Mustafa ermorden lassen. Grund seien die Machenschaften der Sultanin Hürrem gewesen, welche eine russisch-tatarische Exsklavin und Mutter des Selim war.

Kapitel 5

Ich hatte mich an jenem Morgen, als ich zu den Begräbniszeremonien wegen meiner Aufgaben als Geschichtsschreiber der Osmanen zum Palast bestellt wurde, gerade einigermaßen von den Strapazen der Reise erholt und mich eigentlich auf den neuen Tag mit der erweiterten Familie gefreut. Meine Frau Nurten hatte das Mädchen Gülhayat und die Großmutter Bülbül Hanim gleich lieb gewonnen. Sie war einverstanden, dass beide bei uns wohnen würden, nicht zuletzt deswegen, weil sich herausgestellt hatte, dass eine weit entfernte Verwandte von Gülhayats Großmutter, eine alte Frau mit dem Namen Dudu Hatun, eine Woche vor unserer Ankunft in Istanbul verstorben war, was Bülbül Hanim am Tag unserer Ankunft in Istanbul erfahren hatte.

Die Großmutter Bülbül Hanim hatte ihre Ersparnisse in einem Beutel, den sie an ihrem Körper getragen und gerettet hatte, nach Istanbul gebracht. Es waren 300 Goldmünzen. Diese belesene, erfahrene Frau wollte die Hälfte des Betrages in der Vertrauenskasse aufbewahren lassen und die andere Hälfte in den Handel stecken.

Ich musste aber nun ganz andere Sachen bedenken, weil ich zum Topkapi-Palast eilte. Angekommen im zweiten Hofgarten des Palastes fand ich eine große Menschenversammlung. Ich schrieb am gleichen Abend noch in mein Geschichtsbuch Folgendes:

"Der leblose heilige Körper des verstorbenen Sultans Selim Han, wurde für das Totengebet mit anwesenden Trauergästen vorbereitet. Die wichtigsten Persönlichkeiten des Staates und der Gesellschaft am Hof der Hohen Pforte haben ihren Platz eingenommen. Mehrere Hafiz sangen abwechselnd auswendig Verse aus dem Koran. Nach knapp einer halben Stunde kam der neue Sultan in seiner Trauerbekleidung in dunklem Lila heraus. Hinter ihm wurde der Sarg des heiligen Leichnams auf Schultern getragen, der in mit goldgestickten Koranschriften bedeckte Seide gehüllt war und auf den zwischen den Zypressen befindlichen steinernen Tisch gestellt wurde. Die Kopfseite des Sarges zeigte in Richtung Mekka.

Der Mufti Hamit Efendi nahm vorne seinen Platz ein; rechts von ihm der neue Sultan, links der Sadrazam, der Großwesir. Dahinter die Angehörigen des Staates und die wichtigen Persönlichkeiten aller Gesellschaftsschichten.

Nachdem wie üblich die kurze Totengebetzeremonie zu Ende war, kehrte der neue Sultan zum Harem zurück. Die Wesire nahmen den Sarg abwechselnd auf ihre Schultern. Aus den Gebäuden des Palastes kamen Trauerschreie, die immer lauter wurden. Der Sarg wurde durch den zweiten Hof des Palastes gleich zum Garten der Ayasofya-Moschee getragen. Bis das Grab fertig war, wurde der Leichnam des Sultans im Sultanzelt aufbewahrt. Dann nahmen mehrere Hafiz abwechselnd Gebetsgesänge auf, welche die ganze Nacht bis zum frühen Morgen dauern sollten.

Möge der allmächtige Gott ihm, dem verstorbenen Sultan, seine Sünden verzeihen."

Damit war es nicht getan. Fünf Söhne des verstorbenen Sultans, also die Brüder des neuen Sultans, mussten laut einem Gesetz des Eroberers Sultan Mehmet von Istanbul im Jahre 1453 mit Seidenschnüren, ohne Blut zu vergießen, erdrosselt und gleich nach dem Begräbnis des Sultans zu seinen Füßen begraben werden.

Das war unumgänglich. In der osmanischen Geschichte hatten Machtkämpfe der Thronfolger untereinander den Staat und das Volk viel Blut, Leid und materiellen Verlust gekostet.

Am gleichen Tag, nach der Beendigung des Totengebets für den Sultan, wurden die Söhne erdrosselt. Ich schrieb noch am gleichen Abend diese Tat in mein Heft auf:

"Indessen kam der oberste Torwächter an das Haupttor des Palastes und ließ die Wesire und Angehörige des Staates in den Hof des Palastgartens.

Kurz danach wurden die Leichen der getöteten fünf Schehzades, Söhne des gestorbenen Sultans, in den Särgen an die gleiche Stelle gebracht, wo das Totengebet für den verstorbenen Sultan verrichtet worden war. Dort wurde ebenfalls das Totengebet für diese Söhne verrichtet. Sie wurden dann aus dem Palastgarten hinausgebracht. Das Volk Istanbuls hatte sich versammelt. Der Anblick des Trauerzuges rührte selbst die Herzen der seelenlosesten Menschen und das Trauergeschrei war unermesslich.

In dieser Atmosphäre wurden dem allmächtigen Gott und für die Seelen dieser unschuldigen Schehzades Gebete zum Himmel geschickt. Dann brachte man die Särge in das Sultanszelt im Garten der Ayasofya-Moschee und legte zwei Särge auf einer Seite, drei auf der anderen Seite des Sultansarges auf den Boden. Die ganze Nacht zitierten die Hafiz mit ihrem herzzerreißenden rhythmischen Gesang aus dem heiligen Koran. Am gleichen Tag sollten der tote Sultan und seine Schehzades begraben werden. Insgesamt sechs Gräber waren schon fertig. Zuerst wurde der Sultan in seinem Grab beigesetzt, dann die fünf Söhne zu seinen Füßen in den fünf Gräbern. Die Anwesenden blieben noch eine Weile und beteten innig für die Seelen der Toten. Der neue Sultan kam. Murad III. besuchte die Gräber der Toten und betete für ihre Seelen."

Zwei Tage später am Abend schrieb ich in mein Heft:

"Am elften Tag des Fastenmonats Ramadan versammelte sich der Diwan und beschloss, anlässlich der Thronbesteigung des neuen Sultans an Janitscharen, Staatsbeamte und bedürftiges Volk hundertzehn Säcke, je zehntausend Goldmünzen, also insgesamt eine Million und einhunderttausend Goldmünzen, zu verteilen."

Damit war ein Kapitel eines Sultans beendet und ein neues begonnen. Ich war seit 1563 Geschichtsschreiber und hatte die letzten drei Jahre Süleymans des Gesetzgebers und acht Jahre Selims des Blonden erlebt.

Süleyman der Gerechte hatte viele Länder erobert und Verwaltungsreformen durchgeführt und dem Volk mehr Zivilrechte ermöglicht. Unter seiner Regierungszeit, die 46 Jahre dauerte, blühte das Reich. Dabei waren auch die äußeren Bedingungen und Kämpfe der Völker untereinander, ob sie Christen oder Andersgläubige waren, für das Osmanische Reich recht günstig gewesen. Die neu gewonnenen Länder bedeuteten neue Steuereinnahmen, aber andererseits ging jeden Tag dem Staat Einkommen verloren, weil der Welthandel zwischen Asien, Ostasien und Indien statt über osmanischen Boden um das Kap der Hoffnung in Südafrika verlief. Dazu kam noch, dass die Ausgaben des Topkapi-Palastes, in dem 5000 Menschen lebten, jeden Tag unermesslich stieg. Die Verwaltung des riesigen Reiches verschlang die Werte der Landwirtschaft und der Produktion. Ämterverkauf und Korruption waren nicht zu vermeiden.

Staaten wie Spanien, Portugal, Frankreich, Holland, England und einige andere, sogar kleinere Fürstentümer in Europa, wurden durch die Ausbeutung der Kolonien in Amerika und durch Welthandel und Handel untereinander von Tag zu Tag reicher und mächtiger.

Die Erneuerungen in Kunst und Kultur, einer Art Wiedergeburt, half bei der Aufklärung der Menschen. Immer mehr Bücher, die alle Bereiche des Lebens erfassten, wurden geschrieben, gedruckt und gelesen. Die Städter wurden immer reicher und leisteten sich in Wissenschaften, Musik, Literatur, Malerei, Bildhauerei und vielen anderen Künsten mehr und mehr neue Errungenschaften. Maschinen wurden entwickelt, um schnell und preisgünstig Güter zu erzeugen.

Das alles verpassten die Osmanen. Ich war in seinem letzten Lebensjahr bei Sultan Süleyman dem Prächtigen, dem Gerechten. Ich berichtete ihm alles, was in anderen Ländern vor sich ging, auch was ich in Venedig und anderen Städten sah. Vieles war ihm schon bekannt.

Kapitel 6

Ich bin Ridvan Aga, der Sicherheitschef von Istanbul, der den neuen Sultan zur Thronbesteigung von Mudanya nach Istanbul zum Topkapi-Palast begleitete.

Damals, als Sultan Selim starb, wurde sein Tod wie üblich geheim gehalten, bis der Thronfolger im Topkapi-Palast eintraf. Die Leiche des Sultans sollte bis zur Beerdigung im mit Eisblöcken gekühlten Raum aufbewahrt werden.

Als vom Harem aus den mächtigen Großwesir Sokullu Mehmet Pascha die Nachricht vom Tode des Sultans erreichte, ließ er die verschlüsselte Mitteilung durch Tauben und zusätzlich einen Reiter an den Thronfolger leiten.

Ein Nachrichtenreiter konnte, weil er bei den Pferdestationen sofort sein Pferd wechselte, in kürzester Zeit den Thronfolger Murad in Manisa im Inneren der westlichen Ägais erreichen, wo dieser als Statthalter mit seinen Beamten Staatsverwaltung lernte und ausübte und mit Angehörigen lebte.

Um den Thronfolger zu empfangen, begab ich mich sofort mit einem leichten Ruder-Kayik mit 14 Ruderern nach Mudanya am Marmarameer. Das große, prächtige Kayik des Sultans mit 28 Ruderern unter Großadmiral Kaptan-i Derya Kilitsch Ali Pascha wurde gleichzeitig am Ufer des Topkapi-Palastes im Marmarameer zu Wasser gelassen.

Mein Kayik war sehr, sehr schnell und erreichte nach einigen Stunden den Hafen von Mudanya. Dort erwartete ich mit meinen drei Vertrauten und den dortigen Janitscharensoldaten die Ankunft Murads. Er kam verkleidet auf einem verschwitzten Ross. In seiner Begleitung waren ebenfalls zwei unauffällig bekleidete Offiziere. Sie hatten zwischen Manisa und Mudanya fünfmal ihre Pferde gewechselt. In den dafür vorgesehenen Ställen hielt man die schnellsten Pferde des Osmanischen Reiches.

Nach den üblichen Beileidsbekundungen erzählte ich Murad, dass das Sultanskayik unterwegs sei. Er wollte darauf nicht warten. Er äußerte den Wunsch, mit meinem außerordentlich schnellen Kayik zum Palast zu fahren. Ich überzeugte ihn, dass seine Sicherheit mit dem kleinen Kayik vor Wetter und Unvorhergesehenem nicht gewährleistet sei. Somit entschieden wir uns für eines der Eis-Kayiks, die das ganze Jahr über wöchentlich Eisblöcke nach Istanbul brachten, unter anderem Eis zum Kühlen und zum Mischen für Speisen im Topkapi-Palast, das vom Berge Uludag bei Bursa stammte und mit Ochsenkarren nach Mudanya gebracht wurde.

Wir ließen schnell noch einige zusätzliche Rudersitze auf eines der Eisboote bauen und kamen somit ohne besondere Vorkommnisse nach einer relativ kurzen Reise von sieben Stunden am Palastufer an. Murad war seekrank und erbrach am Ende der Reise mehrere Male.

Unterwegs dachte ich an die Zeit des verstorbenen Sultans, des blonden Selim. Er war ein fast zu allen Zeiten betrunkener, unberechenbarer Mensch gewesen. Dieser neue Sultan, ein schlanker, intelligent aussehender Mensch mit sanften Augen wird seinem Vorgänger im Laufe der Zeit wahrscheinlich ähneln, denn dafür gibt es im Topkapi-Palast immer genug Gründe, Anlässe und Intrigen.

Ich war seit zwei Jahren auf meinem Posten und dachte bei allen Vorkommnissen in erster Linie über Angst als Motiv nach. Wann und wie weit jeder einzelne Mensch Angst hatte, bestimmte seine Handlungen und damit sein Glück oder Unglück, anders gesagt, sein Schicksal.

Die Söhne der Sultane leben ständig mit der Angst, wann auch sie eines Tages umgebracht werden. Denn der Sultansthron ist nur für einen Nachfolger vorgesehen. Wer der Nachfolger wird, ist abhängig von Ergebnissen der eifrigen Intrigen, die von korrupten Menschen beiderlei Geschlechts gesponnen werden.

Macht hängt an seidenen Fäden. Alles ist wie in den Märchen, die wir von unseren Müttern gehört haben, die versteckt diese Wahrheiten erzählten. Also waren die Märchen genauso wahr wie all das Geschehen in dieser Stadt Istanbul, somit auch in diesem Topkapi-Palast.

Dieser neue Sultan, der jetzt als Murad III. auf den Thron kommen wird, als der zwölfte Sultan der Osmanen seit dem Jahre 1299, wird nicht besser als die anderen Sultane, aber auch nicht schlechter regieren. Auch er wird allein, ohne den Willen und die Mitwirkung des Volkes, Dinge entscheiden, Kriege führen oder darauf verzichten. Er wird über Menschenleben, Güter und Länder bestimmen, viele Bauten errichten oder abreißen lassen, Gärten anlegen lassen und vieles mehr. Für mich sind diese Personen mit höchstem weltlichem Grad die allerschlechtesten Schattenspieler, mit dem Unterschied, dass ihre Figuren nicht aus schön ausgeschnittenen und wunderbar bemalten Kamelhäuten, sondern lebendige Menschen sind.

Viele Herrscher waren letztendlich weder den Menschen noch der Schöpfung nützlich, und, was ihre seelische und körperliche Entwicklung betraf, noch nicht einmal sich selbst. Ihr Motiv war immer Angst, ob sie Alexander der Große oder Sultan Soundso hießen. Auch dieser Sultan wird jetzt das tun, was viele seiner Vorgänger taten.

Als Murad im Palast angekommen war, war seine erste Staatshandlung der Mordbefehl gegen seine Brüder; damit handelte er im Einklang mit den Gesetzen zum Machterhalt.

Kapitel 7

Ich war glücklich, als Sultan Murad III. mich, Takiyeddin Maruf Efendi, zu seinem Astronomen ernannte. Ich war sogar sehr glücklich, als unser mächtiger Sultan Murad III. mich in Istanbul auf der Höhe von Tophane eine Sternwarte bauen ließ.

In Anatolien gab es zu Zeiten der Artuklu und der Seldschuken zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert die Himmel-Medressen. Dort wurde neben wissenschaftlichen und religiösen Fächern auch Astronomie gelehrt. Das Besondere dieser Medressen war oben in der Mitte der Kuppel eine Öffnung. Nachts spiegelten der Mond und die Sterne sich unten in einem runden, flachen, stillen Wasserspiegel. Dort beobachteten die Schüler mit ihren Lehrern die Sternen- und Planetenbewegungen am Himmel.

Diese Himmel-Medressen gab es unter anderem in Sivas, Tokat, Konya, Amasya, Kirschehir, Erzurum und Diyarbakir. Leider sind zur Zeit der Besatzung durch die Timuriden viele dieser Städte damals verwüstet und geschwächt worden. Daher wurden in diesen genannten Medressen wissenschaftliche Arbeiten, nicht zuletzt Astronomie, für lange Zeit vernachlässigt. Mit der Gründung des osmanischen Staates erholte sich langsam diese und jene; jedoch war bis zum Jahre 1577 in Anatolien, einschließlich der Himmel-Medressen, keine Sternwarte neu gegründet oder wieder aktiviert worden.

Ich war zweimal von Kairo nach Istanbul gereist und suchte dort Kontakte, um eine Sternwarte bauen zu lassen und zu leiten. Die Möglichkeiten dazu waren nicht allzu groß. Sultan Murad III. ließ mich im zweiten Jahr nach seiner Thronbesteigung aus Kairo kommen. Kairo gehört zum Osmanischen Reich. Ich arbeitete als Sternbeobachter ohne Sternwarte und gegebenenfalls Sterndeuter, wenn irgendwelche wichtige Persönlichkeiten unbedingt zu wissen verlangten, wie es wohl mit ihrer Zukunft aussehen möge. Denen gab ich in gebührender Sprache die unmissverständliche Antwort, dass dafür die "Wahrsager" zuständig sind und die Schicksale der Menschen von ihrem Verhalten und auch von Wind und Wetter abhängig sind. Dass ein bestimmter Stern oder eine bestimmte Sterngruppe, somit das Wetter, für Ernte, Tier und Mensch günstig oder weniger günstig standen. Alle diese Faktoren sind für die menschliche Entwicklung und für ihr Schicksal ziemlich entscheidend. Kein Mensch ist mit seinem Schicksal allein.

Ich bekam bei der Einladung zum Topkapi-Palast von Sultan Murad III. die staatliche Genehmigung zur Gründung einer Sternwarte. Die mit dem Sultanssiegel versehene Genehmigung lautete:

"Die früher hergestellten Kalender waren ungenau. Mit denen hat man sich begnügt. Die notwendigen neuen Himmels- und Sternbeobachtungen, diesen wahrlich schweren Weg zu gehen, hat man versäumt. Das, was meinen Vorgängern, den Ahnen, nicht gelang, wurde während meiner Regierungszeit möglich. Durch die neuen genaueren Beobachtungen der Sonne, des Mondes und der Sterne, die Aufstellung ihrer Auf- und Untergangszeiten, werden allen Menschen zu ihren Gunsten neue Dienste erwiesen.

Mein Dank gilt einem der wichtigsten Vertreter dieser Wissenschaften, der Mathematik, der Physik, der Philosophie und Astronomie, Takiyeddin Maruf Efendi."

Die Sternwarte in der von mir gewünschten Größe und Ausstattung wurde 1577 fertig und mit der erforderlichen Anzahl von Mitarbeitern versehen. Wir begannen unsere Arbeiten und verzeichneten gute Erfolge. Einmal, in einer günstigen Nacht, kam der Sultan mit seinem Großwesir Sokullu Mehmet Pascha zu Besuch. Ich zeigte ihnen, wie unsere Arbeit dort aussieht; erklärte die Geräte, berichtete die bisherigen Arbeiten und Ergebnisse und ließ sie mit den Geräten den Himmel und die Sterne beobachten. Der Eindruck, der beim Sultan und beim Großwesir Sokullu entstand, war nach meinem Ermessen mehr als zufriedenstellend.

Ich und meine Mitarbeiter bekamen als Dank der Besucher vom Sultan Lob und Goldmünzen in einigen kleinen Säckchen.

Ich ging einmal im Monat zum Palast und berichtete dem Großwesir Sokullu vom Stand unserer Forschungen. Großwesir Sokullu war sehr zufrieden. Dieser Wesir, ein Glück für das Osmanische Reich, war ein sehr feinfühliger, jedoch gegebenenfalls ein strenger Staatsmann. Jetzt diente er mit Unterbrechungen dem dritten Sultan mit seinem Staatswissen und Gewissen. Dass er nicht korrupt war, hörte man vom Volk.

Ich wohne mit meiner Familie, meiner Frau, einer Tochter und dem inzwischen verheirateten Sohn im Stadtteil Fatih unterhalb des Fatih-Moschee-Komplexes, der vom Eroberer Sultan Mehmet erbaut wurde. Unser zweistöckiges Haus steht in einem Garten. Das hatte ich von dem Geld gekauft, das mir Sultan Murad für meinen Beginn in Istanbul geschenkt hatte.

Ich gehe jeden Morgen zu Fuß den Hang hinunter ans Ufer des Goldenen Horns und begebe mich in das nächste Kayik mit möglichst zwei oder drei Ruderern, die Muslime, Christen oder Juden sind. Sie alle beherrschen ihre Arbeit sehr gut. Am Anfang musste ich mir allerdings erklären und helfen lassen, wie ein Mensch in diesen ganz leichten, kiellosen Booten, deren Name "Gleiter" bedeutet, sitzen sollte.

Auf dem Nil in Kairo waren auch Boote, aber halt andere. Hier in diesen Kayiks musste man still sitzen, möglichst bewegungslos, fast wie ein Toter. Aber ich stellte schnell fest, dass ich unter mir das Meer, oben den Himmel und die Vögel, die Gärten und die Bauten um mich herum besser wahrnahm, wenn ich in einem Istanbuler Kayik saß.

Die Ruderer haben keine Schuhe an, wenn sie rudern. Auch sie wollen diese Kirlangitsch, die "Schwalbe", so wurden diese leichten, schnellen Kayiks liebevoll bezeichnet, fühlen und mit ihnen kommunizieren. Die Kayiks werden aus Eichen- oder Zedernholz gebaut, erfuhr ich vom Bootsmann. Die Kayiks duften deutlich nach Zeder. Blitzschnell ist man am Dreieck, wo das Goldene Horn, das Marmarameer und der Bosporus aufeinander treffen.

Am Goldenen Horn ist auf dem Wasser immer viel los: Dieser natürliche meilenweite Hafen ist immer voller Handelsschiffe aus allen Ländern der Erde und die osmanischen Kriegsschiffe sind da. Die Handelsschiffe laden ihre Waren auf oder ab oder liegen einfach da, bis sie wieder auslaufen.

Am Dreieck liegt die Werft der Handels- und Kriegsmarine. Am Goldenen Horn sind über 120 Trockendocks für Schiffsbau und Reparaturen. Dort arbeiten sehr viele Menschen. Wenn der Wind aus der Richtung weht, sind ihre Hammerschläge und Gesänge manchmal sogar von unserem Haus aus zu hören.

Emsiges Treiben herrscht an den Ufern des Goldenen Horns. Matrosen, Arbeiter, Kaufleute in ihren bunten Kleidern und prächtigen Hüten, jeder nach seiner Tracht. Lastträger, Reiter auf ihren Pferden mit einfachen oder silberbestückten Geschirren, beladene oder leere Pferdewagen, Offiziere und Soldaten, schwarze Diener hinter ihren Hausdamen oder Hausherren, christliche Matrosen, die vermutlich zu einer von christlicher Bevölkerung betriebenen Gaststätte zum Frühstücken oder zum Weintrinken eilen.

Auch heute zog unser Kayik seine Bahn zwischen all den Schiffen und anderen Kayiks in allen Größen. An manchen Tagen spielen Delphine in Gruppen an der Wasseroberfläche, ich habe sogar erlebt, dass zwei einmal unser Kayik übersprangen.

Kaum dass wir nach links in Richtung Norden, zum Bosporus einbogen, waren wir schon in wenigen Minuten in Tophane, wo ich ausstieg und nach einem kurzen Weg zu Fuß in der Sternwarte ankam. Dort begann ich mit meinen Arbeiten, die von mir die schwersten mathematischen und physikalischen Anstrengungen verlangten. An klaren Nächten blieb ich manchmal für Himmelsbeobachtungen bis zum frühen Morgen. In der Sternwarte waren insgesamt fünfzehn Leute beschäftigt, darunter waren zwei Hochschullehrer. Zeitweilig erhöhte sich die Zahl, wenn Studenten in kleinen Gruppen zu fünft oder zu sechst zu Besuch kamen. So lernten sie vieles, was ihnen neu war. Sie freuten sich, wenn sie Neues lernten.

Tage und Monate vergingen. Ich lernte mit meiner Familie die Leute in unserer Umgebung kennen, wir begegneten dem sehr geachteten osmanischen Geschichtsschreiber Selaniki Mustafa Efendi, der mit seiner Tochter Gülhayat an einem Freitagnachmittag zu uns zum Kennenlernen ins Haus kam. Während ich mich mit Mustafa Efendi unterhielt, spielten die Kinder im Garten. Sie mögen damals ungefähr zwischen neun und zwölf Jahren alt gewesen sein, sie waren fast gleichaltrig.

Selaniki Mustafa Efendi war damals wohl 40 Jahre alt, ein interessierter, aber weiser Mensch. Er beherrschte die Kunst, Fragen zu stellen und Antworten zu bekommen. Zuerst erzählte er kurz über seine Familie und ihre Geschichte und die Länder, die er wegen seiner Arbeit besucht hatte. Er war schon in Venedig, Paris und Oslo, in Moskau und Indien gewesen. Ich erzählte von meiner Familie, dass mein Großvater ein Schüler des legendären timuridischen Astronomen, Mathematikers und Geschichtswissenschaftlers Ulug Bey war.

Ulug Bey war auch der Sultan eines Reiches. Seine Sternwarte in Samarkand war bis dahin die größte aller Zeiten. Er entdeckte viele neue Sterne und gab unter anderem einen Katalog über Planeten heraus. Ulug Bey machte neue Berechnungen des Universums. Seine astronomischen Arbeiten und Veröffentlichungen fanden weltweit Interesse und Anerkennung. Sein Sohn Abdüllatif, der um jeden Preis Sultan werden wollte, ließ ihn 1449 ermorden.

Die Schüler Ulug Beys verließen dann Samarkand und suchten in anderen Ländern Möglichkeiten, ihre wissenschaftliche Arbeit fortzusetzen. Ein Schüler, Mathematiker und Astronom, namens Ali Kuschtschu kam nach Istanbul. Kuschtschu bekam von Sultan Mehmet II., dem Eroberer von Istanbul, die Erlaubnis, in der Ayasofya-Medresse Unterricht zu erteilen. Dort bildete er Wissenschaftler aus und schrieb über Mathematik und Astronomie Bücher, von denen er jeweils ein Exemplar Sultan Mehmet II. schenkte. Er wurde für seine Bücher von der Ayasofya-Bibliothek und dem Sultan gut bezahlt. Sein Hauptwerk heißt Zic-i Ulug Bey Scherhi. Ali Kuschtschu starb hoch betagt in Istanbul.

Ein anderer Schüler Ulug Beys war mein Großvater. Er verließ ebenfalls das Timuridische Reich, weil Ulug Bey ermordet worden war und politische Unruhen ausbrachen, und ging nach Kairo. Bescheiden begann er dort erneut sein Leben und seine Arbeit und unterrichtete Schüler in Mathematik. In Kairo wurde weiterhin unsere türkische Sprache in der Familie gepflegt.

Als ich später nach Istanbul kam, sprach man dort zwar anderes Türkisch, aber die Gewöhnung daran war gar kein Problem.

So lernten Selaniki Mustafa Efendi und ich einander kennen und besuchten uns gegenseitig regelmäßig. Selaniki Mustafa Efendi kam auch einmal zur Sternwarte nach Tophane und ließ sich über meine Arbeit berichten. Ich begann diese Stadt, ihre Menschen und meine Arbeit zu lieben.

Etwa ein Jahr nach der Eröffnung der Sternwarte wütete in Istanbul eine Pestepidemie. Wie überall in großen Städten im Osten oder Westen war die Pest der allergrößte Seelenräuber. Wann und wo sie auftauchte, wusste man nie. Menschen starben nach kurzer Bettlägerigkeit und hinterließen Waisen und Arme.

Obwohl zur Bekämpfung der Pestepidemie einiges unternommen wurde, wie zum Beispiel Verwendung bestimmter Pflanzenwurzeln und Blütenöle und Räucherwerk zur Vertreibung der Flöhe, durch welche die Krankheit verbreitet wurde, starben in Istanbul viele Menschen. Es wurde empfohlen, Körper, Bekleidung und Wäsche sauber zu halten. Die Osmanen schnitten die Pestbeulen auf und entfernten den grünlichen Eiter. In manchen Fällen half das. Aber diese lebensbedrohliche Krankheit konnte man nicht immer behandeln. Die Kleriker suchten nach der Schuld an diesem Sterben und dem Elend. Sie fanden einen Grund.

Einige Monate vor der Pestepidemie hatte fast einen Monat lang am Himmel ein Komet gestanden. Das galt als böses Omen. Meine unschuldige Sternwarte war in ihren Augen eine Unverschämtheit.

Man hatte gewagt, Geheimnisse des Himmels zu beobachten, weil man diese habe beeinflussen wollen. So etwa lautete die schriftliche Fetva des Großmuftis Scheyhülislam Kadizade Ahmet Schemseddin Efendi, die für den Sultan und die Bevölkerung herausgebracht wurde.

Ich war froh, dass zu dieser Zeit keine Großbrände und Erdbeben dazugekommen waren. Denn Kleriker hatten in der Vergangenheit in Kairo und anderswo auch solche Geschehnisse als Schuld gedeutet und Sündenböcke gefunden.

Damals wurden Gerüchte verbreitet, dass allgemeine Unmoral die Erdbebenkatastrophe herbeirufe, was den zum Islam übergetretenen Christen und Juden, welche die Pflichten ihrer neuen Religion nicht ernst nahmen, angelastet worden war.

Sultan Murad III. ließ mich zum Topkapi-Palast rufen und mir kurz und knapp durch einen Wesir mitteilen, dass jetzt das Ende der Sternwarte gekommen sei. Ich solle sämtliche Personen aus der Sternwarte wegführen. Die schweren Sachen ausgenommen, dürfe ich, wenn ich dies wünsche, meine Geräte und Bücher mitnehmen.

Ich informierte meine Leute darüber, was ich zu hören bekommen hatte. Unsere Sternwarte sollte vom Bosporus aus von osmanischen Kriegsschiffen beschossen werden. Die leichten Geräte und die wissenschaftlichen Bücher und Aufzeichnungen entfernten wir aus der Sternwarte. Auf die schweren, festinstallierten Geräte mussten wir leider verzichten.

Kapitel 8

Der Sultan hatte mich, seinen Großadmiral Kaptan-i Derya Kilitsch Ali Pascha, zum Palast bestellen lassen. Gerade war ich von einer schweren Erkältung genesen und war dem Allmächtigen dankbar, dass ich wieder einigermaßen gesund auf den Beinen war. Außerdem hatte diese fürchterliche Pestepidemie, der in Istanbul fast in jedem Haus mindestens ein Mensch zum Opfer fiel, auch in meinem Haus drei Dienstsklaven hinweggerafft.

Mein Haus befindet sich fast am Ende des Goldenen Horns. Ich begab mich mit meinem Amtskayik mit 12 Ruderern eilig nach Sarayburnu, wo das Goldene Horn, das Marmarameer und der Bosporus sich treffen und wo der Topkapi-Palast-Hafen sich befindet.

Sultan Murad III. empfing mich vor dem Thron stehend. Laut Protokoll hätte ich den Saum seines seidenen, innen mit Zobelpelz gefütterten Kaftan, auf den Nelken in allen Farben gestickt waren, küssen müssen, aber das ließ dieser knapp über dreißigjährige Sultan nicht zu. Er reichte mir seine rechte Hand, die ich zwischen meinen beiden Händen berührte; er ergänzte gleichzeitig diese Begrüßung, in dem er mit seiner linken Hand ganz kurz meine Rechte berührte. Das war seine Anerkennung für meine Dienste, die eines Achtundsiebzigjährigen, der seit dreißig Jahren im Mittelmeer im Dienste der osmanischen Kriegsmarine war und dem Staat zuletzt Tunesien zurückeroberte. Ich dankte mit den Worten, dass Gott ihm ein langes Leben schenken und das Osmanische Reich in Ewigkeit in seiner Herrlichkeit erhalten möge.

Nach einer kurzen Unterhaltung über meine Gesundheit, das Befinden meiner Untergebenen und meine Arbeiten befahl er mir, ohne die Gründe zu nennen, die Sternwarte auf dem Hang von Tophane am Bosporus von meinen Kriegschiffen aus beschießen zu lassen.

Ich verspürte einen Stich im Herzen, glaubte meinen Ohren nicht zu trauen, spürte, dass mein Blut in meinen Adern stockte. Vermutlich wich mir die Farbe aus dem Gesicht. Aber ich nahm mich in Sekundenbruchteilen zusammen und schaute ihn ganz kurz an, obwohl das ungebührlich ist.

Der Sultan war blass und sein Gesicht leicht gedunsen. Das kam vom Opium. Dieser Sultan, der Gedichte schreibt, Miniaturen malt und Dichter und Künstler um sich versammelt, sie unterstützt, leidenschaftlich an Uhren bastelt, verlangte jetzt von mir Ungeheuerliches.

Schon allein seine Leidenschaft an Uhren zu basteln hätte ihn doch daran hindern müssen, einen solchen Befehl zu erteilen, wo doch jemand auf dem Hang von Tophane am Bosporus nachts mit Hilfe von Geräten mit seinen Leuten Sterne beobachtete, und das im Auftrag und mit Erlaubnis seiner Hoheit.

Meine Innerstes lehnten sich auf gegen die von mir verlangte Ungeheuerlichkeit.

Möge der Allmächtige ihm verzeihen.

Seine Hoheit hatte sich längst und endgültig dem Klerus unterworfen. Es war nicht einmal die Zeit, den Abriss der Sternwarte von Fachleuten in angemessener Zahl in ein paar Tagen erledigen zu lassen. Dazu musste sich die ruhmreiche Kriegsmarine des Osmanischen Reichs hergeben. Ich schämte mich, als ich mich auf sein kaum merkliches Zeichen hin aus dem Raum begab.

Kaum draußen im Garten schlug mir die frische Luft ins Gesicht. Ich war erleichtert, wieder frei atmen zu können. Von fern hörte ich das Glucken der Pfauen, das sich mit den Gebetsrufen der Muezzins von den Minaretten Istanbuls mischte. Sofort begab ich mich zu meinem Amtssitz, der sich nicht weit vom Palast befindet. Unterwegs ging mir mein langes Leben durch den Kopf.

Ich bin ein in Licastelli in Kalabrien in Italien im Jahre 1500 geborener armer Teufel. Seit meinem 48. Lebensjahr stehe ich in osmanischen Diensten. Ich habe die Religion Mohammeds angenommen und zuerst im Dienste des osmanischen Admirals Turgut Reis an vielen Seeschlachten im Mittelmeer teilgenommen. Dann wurde ich Flottenkapitän und später Enklavenhalter, Beylerbeyi der osmanischen Enklave Algerien.

Sechs Jahre später, im Jahre 1571, wurde ich Großadmiral, Kaptan-i Derya für die gesamte Kriegsmarine des Osmanischen Reichs. Drei Jahre danach gelang es mir mit meinen Schiffen Tunesien zurückzuerobern.

Nun sollte ich mit meinen Kriegsschiffen vor Tophane am Bosporus Anker werfen und in aller Ruhe die Sternwarte beschießen. Diese Aufgabe war meiner unwürdig und ein teuflisches Werk.

Ausgerechnet in der Tophane-Gegend, wo ich von meinem Einkommen, das ich Jahre hindurch gespart hatte, für das Volk Istanbuls eine Külliye mit schmucker Moschee, einem Hamam, einer Bibliothek und einer Schule bauen ließ, sollte ich Schaden anrichten.

Am nächsten Morgen, dem 21. Januar 1579, als fünf Galeeren von unserer Kriegsmarine vor Tophane Anker warfen, war die Umgebung der Sternwarte von Sicherheitskräften schon weiträumig gesperrt. Viele Zuschauer hatten sich außerhalb der Absperrung um den Bereich der Sternwarte versammelt. Die Menge wirkte wie erstarrt. Ich ließ die Kanonen zielgenau ausrichten und gab den Feuerbefehl. Die Kanonen donnerten für ihre schändlichste Tat aller Zeiten. Eisenkugeln hagelten auf das Sündenbockziel. Nach etwa fünf Stunden war dieser unsägliche Auftrag erledigt und von der Sternwarte nichts mehr übrig. Meinen Kanonieren und den Matrosen las ich die Traurigkeit aus ihren unbewegten Gesichtern. Selbst die Rudersklaven in den unteren Decks waren mausestill. Der Auftrag war erfüllt. Die Schiffe kehrten an ihre Ankerplätze am Goldenen Horn zurück.

Schlaflos verbrachte ich die Nacht bis zum Sonnenaufgang in meinem Hause. Als die Muezzine von den Minaretten zum Morgengebet riefen, wusch ich mich und verrichtete in meinem Zimmer das Morgengebet.

Kapitel 9

Damals war ich dabei, als Kaptan-i Derya Kilitsch Ali Pascha sein Leben schilderte und seine Betroffenheit über den Beschuss der Sternwarte meinem Vater Mustafa Efendi erzählte. Ich war ungefähr zehn Jahre alt, als die Sternwarte dem Erdboden gleichgemacht wurde. Großadmiral Kaptan-i Derya Kilitsch Ali Pascha starb eine Woche nach dem Beschuss der Sternwarte, seinem letzten Dienst für die Osmanen. Mein Vater Mustafa Efendi und Takiyeddin Maruf Efendi, der Gründer der Sternwarte, dem dieser Pascha im Auftrag des Sultans die Sternwarte dem Erdboden gleichmachte, nahmen an der Beerdigung des Großadmirals Kaptan-i Derya Kilitsch Ali Pascha gemeinsam teil.

Der Großadmiral hinterließ keine Erben. In diesem Fall ging sein Nachlass an den Sultan, das heißt an den Staat. Kilitsch Ali Pascha hinterließ ein Vermögen, das umgerechnet 500.000 Goldmünzen betrug. Hinterlassenschaften wie Moscheen und dazu gehörige soziale Külliye zählen nicht zum Vermögen eines Lebenden oder Verstorbenen; sie sind als Stiftung immer unabhängig von Personen oder Personenbesitz.

Ich hatte in den vier Jahren seit meiner Ankunft in Istanbul in der Gemeindeschule in Süleymaniye Lesen, Schreiben und Sonstiges gelernt. Danach war ein Schulbesuch für Mädchen nicht mehr möglich. Mein Vater Mustafa Efendi lehrte mich weiterhin zu Hause in Ansätzen Mathematik, Physik, Philosophie, etwas Chemie, Geographie, Geschichte, Literatur und auch Astronomie. Am meisten war ich an Literatur interessiert. Der Dichter Baki, ein sehr berühmter Dichter, der schon zu Zeiten Süleymans des Gerechten dichtete und selbst von ihm hoch geschätzt wurde, kam auch einige Male zu uns. Manchmal wurde bei uns musiziert. Bei diesen Versammlungen trugen Baki und einige andere jüngere Dichter ihre Gedichte vor. Ich hörte der Musik und den Gedichten mit großer Freude zu.

In jenem Jahr verliebte ich mich in Altunbay, den Sohn des Takiyeddin Maruf Efendi. Er war ein Jahr älter als ich. Seine Schwester Aslihan war meine beste Freundin. Sie war drei Jahre älter als ich. Beide hatten leichte Mandelaugen, die ich sehr mag. Diese Geschwister waren meine besten Spielkameraden seit Kindertagen.

Altunbay war ein sehr geschickter Bastler, Aslihan sang sehr gut. Wir besuchten einander ein- bis zweimal wöchentlich. Altunbay bastelte aus Holz, Draht und Stoffen Segelschiffe, Ochsenkarren, Häuser und aus Kamelhaut Karagöz-Schattenspiel-Figuren, die fast so schön waren wie die echten, die wir zu Ramadan- und Opferfesten frühabends in Kaffeehäusern bei den Veranstaltungen für Kinder sahen. Das machte uns viel Spaß.

Ich war in Istanbul sehr glücklich. An schönen Frühjahrs-, Sommer- und Herbsttagen, meistens freitags, machten wir Ausflüge mit Kayiks, Fahrten, die manchmal weit in den Bosporus führten. Wenn uns irgendein Hügel am Bosporus, auf dem wir noch nicht waren, gefiel, stiegen wir aus und erklommen den Hügel. Wir genossen die Aussicht und aßen und tranken, was wir mitgebracht hatten. Um uns waren Felder und Wälder. Vögel zwitscherten, unten auf dem Wasser fuhren Segelschiffe und Ruderkayiks. Das war herrlich anzuschauen und niemand wurde dessen überdrüssig.

Um uns war unser Istanbul... Wir waren geschützt...

In Istanbul sind in vielen Häusern Sklaven, nicht nur in begüterten Familien. Sie verrichten in Geschäften oder im Hause alle Arbeiten wie Feuermachen, Reinigen, Einkäufe, Kochen, Wäsche oder Gartenarbeiten. Bei Auseinandersetzungen haben sie vor dem Richter die gleichen Rechte wie jedermann. Sklavinnen machten etwa die gleichen Arbeiten. Sie werden, ob Mann oder Frau, mit Geld oder Geschenken belohnt. Meistens werden sie nach fünf bis sechs Jahren von ihren Käufern freigesprochen und bekommen eine vom Richter bestätigte Bescheinigung. Sie heiraten oft untereinander und gründen in einem der Häuser, wo sie dienen, oder unter einem neuen Dach eine Familie. Aber auch mit anderen Menschen, die aus allen Ecken der großen Welt in diese Stadt gekommen sind, gründen sie Familien. Bosheiten wegen schwarzer Hautfarbe sind in dieser Gesellschaft nicht erlaubt. Wohlhabende Leute nehmen weiße Sklavinnen häufiger als Konkubinen.

Die Bevölkerungszahl ging in Istanbul, aber auch im ganzen Osmanischen Reich, insbesondere in Anatolien durch Krankheiten, Epidemien, Erdbeben, Aufstände und Kriege zurück. Vor allem der Personalbedarf für Staatsdienste in neu eroberten Gebieten von Arabien, dem Balkan, Nordafrika oder sonstwo reduzierte die Zahl der Bevölkerung in Anatolien, dem Kernland des Reiches.

Es gab in Istanbul auch Kriegsgefangene, die in kleinen und großen Kriegen erbeutet worden waren. Die meisten Gefangenen kamen aus europäischen Ländern. Andererseits waren auch Kriegsgefangene in geringerer Zahl in diesen Ländern. Bis diese Gefangenen gegenseitig ausgetauscht oder freigekauft oder gegen irgendwelche politischen Zugeständnisse freigelassen wurden, waren sie in Istanbul in Kasernen untergebracht. Sie mussten auf Kriegsgaleeren oder Handelsschiffen als Rudersklaven dienen oder wurden anderweitig zu Bauarbeiten herangezogen.

In den Jahren kurz vor 1500 hatten zum Beispiel fünfzehntausend Kriegsgefangene die Bucht, die gleich an das heutige Tophane grenzt, aufgefüllt. Dass da auch viele starben, war sicher nicht außergewöhnlich. Das Geröll und die Erde zum Auffüllen wurde gleich vom dahinter befindlichen Hügel abgetragen. Auch die Straße wurde damit an Ort und Stelle begradigt. Seitdem heißt dieser Ort Dolmabahtsche, "der aufgefüllte Garten". Dort wurden Gärtnereien angelegt, in denen intensiv Obst- und Gemüse für den Palast angebaut wird. Die Überschüsse werden auf den Märkten verkauft und bringen dem Palast Einkünfte.

In Istanbul gibt es überall in allen Stadtteilen Obst- und Gemüsegärten. Insofern sind die Istanbuler gut versorgt. Auch Milch und Milchprodukte werden in der Stadt für die Bevölkerung ausreichend angeboten und teilweise durch regelmäßige tägliche Lieferung schon morgens bis an die Türe gebracht. In Istanbul sind viele Werkstätten, die alle möglichen Sachen bearbeiteten, die von überall her mit Karawanen transportiert werden.

Wenn man in den bedachten Basar geht, glaubt man seinen Augen nicht zu trauen. Händlern, Matrosen, Gesandtschaftsbeamten, Reisenden und sonstigen Menschen, die zum ersten Mal in diesem Basar sind, verschlägt es vor Staunen die Sprache. Ein Ozean von Waren in vielen Farben mit unbeschreiblich vielen Sortimenten füllt die Läden. In den zwei- bis dreistöckigen Gewerbehäusern, Arbeits- und Verkaufsstätten um diesen bedachten Basar werden alle möglichen Waren hergestellt von Diamantenschleifern, Rüstungsschmieden und Säbelmachern. Es gibt einfach alles, kein Wunsch bleibt unerfüllt.

Aber die wirtschaftliche Situation des Osmanischen Reiches ist allmählich doch in Bedrängnis. Hingegen werden insbesondere in Europa die wohlhabenden Städte zahlreicher. Das kommt daher, dass verglichen mit früheren Zeiten weniger Kriege geführt werden. Eine größerer Anteil der Bevölkerung lernt durch die Verbreitung der Druckereien und deren Druckerzeugnisse nun Lesen und Schreiben. So erfahren die Menschen mehr über ihr Land, über Nachbarländer und andere Länder sowie über das wirtschaftliche, politische und sonstige Leben. In den Städten gibt es Lohnarbeit. Neu erfundene Maschinen produzieren und konkurrieren mit den Erzeugnissen der Handarbeit. Diese Maschinen brauchen immer mehr Rohprodukte. Diese werden auch in Istanbul gekauft und auf Schiffe und Karawanen geladen und in westliche Länder gebracht. Es sind Länder, die durch Ausbeutung ihrer amerikanischen Kolonien steinreich geworden sind.

Der über den eigenen Bedarf hinaus produzierte Überschuss der bearbeiteten Sachen wird zurück an die Länder verkauft, aus denen die Rohstoffe dieser Produkte stammen. Die bearbeiteten Produkte sind teurer als die Rohstoffe und ein Missverhältnis entsteht, weil in großem Ausmaß Nahrungsmittel, deren Handelspreis niedrig gehalten wird, aus dem Osmanischen Reich an andere Staaten verkauft werden.

Die Preise der hiesigen Produkte für die Bevölkerung hingegen steigen und die Armut nimmt zu. Außerdem braucht der osmanische Staat immer mehr Menschen als Soldaten aus den Dörfern. Die Dörfler arbeiten auf den Feldern der Paschas, die in ihren Gebieten als Vertreter des Staates und Verwalter des Bodens für alles zuständig sind. In vielen Fällen hatten diese Paschas sich selbst bereichert. Oft waren Paschas entmachtet, ihr Vermögen beschlagnahmt und sie mitsamt der schuldigen Helfer enthauptet worden. Ein anderer erhielt den Posten. Viele Bauernsöhne entkamen der Unterdrückung solcher Paschas, indem sie sich möglichst in jugendlichem Alter in die religiösen Schulen begaben, um sich der Rekrutierung als Soldat zu entziehen. In den Medressen stieg die Zahl derjenigen, die eigentlich Religion und Wissenschaften lernen sollten und in der Gesellschaft als Imame und Lehrer für Kinder arbeiten sollten. Aber der anders liegenden Interessen wegen hatten diese jungen Leute weder Interesse noch die Voraussetzungen, später die Bevölkerung zu unterrichten. So degenerierten die Medressen, denn die Kleriker kamen jetzt selbst aus solchen Kreisen oder sie verlangten Handlungen in ihrem Sinne von den aufgeklärteren Klerikern und setzten diese unter Druck und erklärten alles zur Sünde, was ihnen nicht passte, und die Bevölkerung wurde mehr und mehr von den Klerikern eingeschüchtert.

Die Bombardierung der Sternwarte war aus dieser Sicht zu begründen. Mein Vater Mustafa Efendi der mit osmanischen Kaufleuten mehrere Male in Venedig, Marseille und anderen Hafenstädten war und da und dort manchmal wochenlang in den von osmanischen Händlern bewohnten Gemeinden zu Gast war, sah, hörte und verzeichnete die politischen, historischen und aktuellen Gegebenheiten dieser Städte und somit dieser Länder. Mein Vater Mustafa Efendi sprach mit aufgeklärten Persönlichkeiten Istanbuls über diese Themen, die allein oder manchmal zu zweit oder dritt bei uns als Gast immer willkommen sind. Draußen in den westlichen Ländern entwickelt sich die Gesellschaft anders. Das Bürgertum in europäischen Städten wird stark und organisiert sich für eigene Interessen. Das schwächt die Macht der Kirchen, die bislang mit ihren Ländereien und der Wirtschaft die Bevölkerung, insbesondere die Bauern, in Schach halten.

Die Kirchen versäumen keine Gelegenheit, die Menschen, die der Macht der Kirche nicht gefällig sind, zu bestrafen. In vielen Ländern sind noch Gesetze gültig, die aus der Zeit stammen, wo Kirche und Staat zusammenarbeiteten. Aufgeklärte, politisch und wirtschaftlich starke städtische Kreise ausgenommen, hörten aber die Verfolgungen der Menschen auf dem Lande nicht auf. Wenn in einem Dorf eine Kuh plötzlich gestorben war, konnte jemand dafür bestraft werden. Die Beschuldigten waren in den meisten Fällen Frauen. Ihnen wurde unterstellt, sie paktierten mit dem Teufel, um anderen Menschen zu schaden. Der "böse Blick" wurde ihnen angelastet. Solchen Aberglauben kennen wir hier ja auch, aber dort kam es vor, dass Neid eine Rolle spielte und Personen unter einem Vorwand denunziert wurden und schutzlos ausgeliefert waren, um an ihren Besitz zu gelangen. Wer der Kirche nicht passte, war vom Teufel besessen oder half zumindest dem Teufel bei seiner Arbeit. Es kam vor, dass Frauen öffentlich als Hexe verbrannt wurden.

Zu diesen Zeiten geschahen in unserem Osmanischen Reich auch schlimme Sachen. Das schlimmste Jahr war wohl 1579. In dem Jahr ließ Sultan Murad III. zu, dass der vom Volk geachtete, mächtige Großwesir Sokullu Mehmet Pascha getötet wurde.

Sokullu Mehmet Pascha war als Kind eines christlichen Priesters in Sokol, Bosnien geboren. Er wurde als Knabe für die osmanische Janitscharenarmee rekrutiert. Diese Armee bestand aus Soldaten, die, als Kinder christlicher Eltern nach Istanbul gebracht, entweder dort oder in anatolischen Städten einzeln bei islamischen Familien aufwuchsen. Später bekamen sie die entsprechende Ausbildung zum Soldaten, aber auch für den Staatsdienst als Beamte.

Sokullu Mehmet Pascha machte eine blendende Karriere, diente drei Sultanen als Großwesir; erweiterte die Grenzen des Staates, besiegte die Feinde des Osmanischen Reichs und verhinderte zuletzt den Seekrieg des Stadtstaates Venedig gegen die osmanische Kriegsmarine, indem er Macht und Ansehen derselben durch Kilitsch Ali Pascha, den Großadmiral, fördern ließ, der die Kriegsmarine wieder stärkte.

Sultanin Nurbanu, Mutter des Sultans Murad III., eine ehemalige christliche Sklavin, die erste Frau des im Bad betrunken verunglückten, vom Volk Selim der Blonde genannten Sultans, übte im Topkapi-Palast große Macht aus.

Sie konkurrierte um Einfluss und Macht im Staate mit der ersten Frau ihres Sohnes Murad, der Sultanin Safiye, die ebenfalls einst eine Sklavin war. Die Konkurrentinnen bekämpften sich, indem sie aus mächtigen Kreisen ihre Unterstützer gewannen. Das ging oft mit Korruption, Ämterverkauf, Androhungen oder Versprechungen einher.

Der Großwesir Sokullu Mehmet Pascha war der Sultanin Nurbanu ein Dorn im Auge, denn Sokullu Mehmet Pascha war nicht korrupt und was die Staatsgelder betrifft, bei Ausgaben sehr vorsichtig. Er merkte den Stillstand und den allmählichen Niedergang des Staates, wenn es weiter so verderblich gehen würde. Diese Gefahr wurde Sultan Murad III. und seiner Mutter, der Sultanin Nurbanu, und den gut informierten Kreisen täglich vor Augen geführt. Die Preise stiegen. Im ganzen Reich wurden nicht nur von Paschas und anderen mächtigen Beamten Ämter verkauft. Zum ersten Mal geschah es, dass ein osmanischer Sultan, Murad III., der zwölfte osmanische Sultan, Ämter verkaufte, und dies direkt, ohne Zwischenmänner. Er schwamm geradezu im Geld, das er als Gold in seinen Wohnräumen um sich häufte.

Nurbanu, die Sultanin, verbündete sich mit dem Obereunuchen. Der Obereunuch war durch Ämterverkauf ebenfalls schwer reich geworden. Großwesir Sokullu Mehmet Pascha konnte man wegen Verrats am Staat nicht anklagen. Das würde niemand glauben. Neue Wege mussten gefunden werden.

Daher ließ die Sultanin Nurbanu durch ihre Beziehungen einen Soldaten ausfindig machen. An einem Diwan-Sitzungstag, an dem Wesire, wichtige Beamte und der Großwesir Sokullu teilnahmen, wurde der Plan durchgeführt. Ein Soldat, wie Sokullu aus Bosnien stammend, kam als Bittsteller in einer Angelegenheit zu Sokullu und trug sein Anliegen vor. Sein Anliegen wurde von Sokullu abgelehnt. Der Soldat zog plötzlich seinen Dolch und traf Sokullus Herz. Die Anwesenden zogen ihre Säbel um den Mörder zu töten. Sultan Murad III., der, wie üblich unbemerkt von anderen, hinter der Vergitterung diese Tat sah, verhinderte das Hinmetzeln des Täters durch einen Zuruf. Der Mörder wurde aus dem Saal weggeführt. Er wurde am nächsten Tag gevierteilt und von Pferden zur Grube geschleift.

Was Sokullus Mörder betrifft, gibt es auch andere Behauptungen. In diesen heißt es: Nach der Tat wurde der Täter als "geistig Behinderter" bald freigelassen und aus Istanbul ausgewiesen. Die offizielle Version hieß, ein Bittsteller, der wohl verrückt war, hat den Großwesir umgebracht, weil seine Bitte abgelehnt wurde. Der Mörder sei dann an Ort und Stelle von den im Diwan befindlichen Anwesenden getötet worden. Mein Vater Selaniki Mustafa Efendi schrieb in sein Geschichtsheft die offizielle Version dieses Mordes. Die überwiegende Mehrheit der Menschen im Reich glaubte, dass es ein vorbereiteter Mord an Sokullu war.

Als Sultan Murad III. Sokullus Vermögen beschlagnahmen lassen wollte, wurde festgestellt, dass dieser so gut wie kein Vermögen besaß. Sokullu hinterließ aber zwei Stiftungen, bestehend aus zwei großen Moscheen und den dazugehörigen sozialen Bauten wie Schulen, Bädern, Krankenhaus, Büchereien, Armenküchen usw., die aber wurden wie üblich, verwaltet.

Mein Vater Mustafa Efendi war von Sokullus Ermordung sehr betroffen, denn er hatte mehrere Male in Sokullus Auftrag für verschiedene Zwecke an vielen Orten des Osmanischen Reiches Aufgaben wahrgenommen.

Mein Vater Mustafa Efendi war bei der Eroberung Sigetvars in Ungarn im Jahre 1566 bei Sokullu und seinem Vertrauenssekretär Feridun Ahmet Bey für verschiedene Aufgaben tätig. So hatte er mir als Zeuge den Verlauf des Krieges erzählt; wie die osmanische Schlachtenkapelle herzzerreißend tönte, wie die Soldaten zu Fuß oder auf ihren Pferden die Gegner attackierten oder sich zurückzogen, verletzt wurden oder starben, wie die anfänglich himmelzerreißenden Schreie der Verletzten allmählich schwächer wurden und zuletzt nur noch leises Stöhnen waren, ehe sie starben und ein süßlicher, unbeschreiblich übler Geruch von den Verwesenden auf den Schlachtfeldern ausging. Er erzählte, dass in solchen Kriegen auch sehr viele Kinder, alte Frauen und Männer getötet werden, auch Pferde, Kamele und sonstige Tiere schwere Verletzungen erleiden oder den gleichen Tod finden, den die Menschen einander antun.

Mein Vater Mustafa Efendi erzählte so lebendig, dass ich diese Beschreibungen so schmerzlich empfand, als wenn ich dabei gewesen wäre. Dann war ich froh, dass ich nicht dabei war. Zu der Zeit war ich nicht einmal geboren, dachte ich. Mein Vater Mustafa Efendi hatte auch diesen Krieg als beauftragter Beamter des Staates in seinem Geschichtsbuch beschrieben; allerdings wurden die Schmerzen der Menschen und der Pferde nicht so ausführlich beschrieben, wie er sie mir erzählte.

Sokullu Mehmet Pascha war also nicht mehr unter den Lebenden. So kam das Jahr 1580, in dem mein Vater Mustafa Efendi auf dem Sklavenmarkt Latif den Schwarzen kaufte. Unser Sklave Latif machte die üblichen Arbeiten bei uns und bewohnte das Dreizimmerhaus im Garten des Haupthauses. Er lernte sehr schnell Türkisch von uns allen und den Leuten, mit denen er für uns Einkäufe und Ähnliches erledigte. Er erzählte uns sein Leben, das ich mit Mitleid, Begeisterung und Bewunderung hörte.

Jetzt ist es Anfang Frühjahr 1591. Ich schreibe diese Zeilen in meinem Zimmer, wo meine geliebte, sehr alt gewordene Katze Raziye vor dem Holzkamin schnurrend schläft.

Mein Vater war bis jetzt bei verschiedenen Staatsleuten für unterschiedliche Aufgaben tätig. Als ein intelligenter, wissender, fleißiger und ehrlicher Mitarbeiter wurde er von seinen Auftraggebern fast immer gut behandelt und bezahlt. Ausnahmen, wo das nicht der Fall war, betrafen auch ihn. Vor vier Jahren, im November 1587, wurde mein Vater am Hof des Topkapi-Palastes für eine Sekretärsstelle zur Waffenaufsicht eingestellt. Im April 1588 sollte er an der Rückeroberung von Gence in Aserbaidschan als Berichterstatter teilnehmen, was er tat und worüber er ausführlich in seinem Buch berichtete.

Nach der Eroberung von Gence nahm er auch bei den Instandsetzungsarbeiten der Burg von Gence als Aufsichtsperson teil. Er wurde befördert und sein Gehalt wurde erhöht. Dann wurde er nach Istanbul gerufen und war eine Weile für die Gehälter der Berittenen zuständig. Am 7. September 1588 wurde er ohne Grund von dieser Stelle entlassen. Seine Stelle bekam ein gewisser Ibrahim Tschelebi. Diese Ungerechtigkeit und das Ende dieses Verleumders Ibrahim Tschelebi erzählte mein Vater nicht nur mir und unserer Familie, sondern auch in seinem Geschichtsbuch, Tarih-i Selaniki.

Ibrahim Tschelebi blieb nur einige Monate an dieser Stelle. Er wurde entlassen und verbannt, was er wohl verdient hat.

Voriges Jahr, als der Wesir Sinan Pascha im Januar 1590 Großwesir wurde, beauftragte er meinen Vater mit der Bewirtung des iranischen Gesandten Haydar Mirza, der mit seiner Begleitung nach Istanbul zum Topkapi-Palast kam. Nach mehreren Wochen, in denen die Gruppe von meinem Vater Mustafa Efendi überallhin in Istanbul und Umgebung begleitet wurde, reisten der Gesandte Haydar Mirza und seine Begleiter in den Iran zurück.

Zur Zeit hat mein Vater keine Arbeitsstelle, wohin er regelmäßig gehen muss. So, wie es bisher war, ist es ihm recht. Er betrachtet es als beständige Leistung, die Geschichte seiner Zeit aufzuschreiben und damit ein bescheidenes Dauereinkommen zu haben und ist damit zufrieden.

Kapitel 10

Ich bin Altunbay, der Sohn des Astronomen Takiyeddin Maruf Efendi. Ich habe mich in Gülhayat verliebt, als ich sie das erste Mal sah. Da war sie mit ihrem Vater zu uns gekommen. Sie hatte schöne dunkelblonde Haare, hellgrüne Lorbeeraugen und lange Wimpern. Wenn ich in ihrer Nähe war, nahm ich ihren Duft wahr. Sie duftete nach Meer und Rosen, nach einem jungen Istanbuler Mädchen und dennoch ganz eigen. Es wurde eine Kinderfreundschaft, denn meine Schwester Aslihan, Gülhayat und ich verstanden uns sehr gut, abgesehen von den unter Kindern üblichen Streitigkeiten.

Als Folge der Zerstörung der Sternwarte war mein Vater überwiegend zu Hause und schrieb seine bisherigen wissenschaftlichen Arbeiten in sein Buch mit schwarzer und roter Tinte. Im Jahre 1588, mehrere Jahre nach dem Verlust der Sternwarte, waren noch zwei Abschriften, die er hatte anfertigen lassen, von seinem Buch fertiggeworden. Ein Exemplar war für die Bibliothek Sultan Murad III., das andere Exemplar war für die Süleymaniye-Bibliothek vorgesehen. Als die Bücher fertig waren, erhielt er dafür von der Palastkasse und der Kasse der Süleymaniye-Stiftung sein Geld. Aber die erste Handschrift des Buches hat mein Vater selbst behalten.

In all den Jahren hatte mein Vater außerdem interessierte Schüler in Mathematik, Physik, Philosophie und Astronomie unterrichtet. Dafür bekam er so viel Geld, wie jeder zu zahlen in der Lage war. Auch Gülhayat war Schülerin meines Vaters bis zu ihrem 14. Lebensjahr. Meine Liebe zu Gülhayat war inzwischen den Kinderschuhen entwachsen und, wie es der Brauch in Istanbul verlangt, ein wenig distanziert, aber um so inniger. So vergingen die Jahre.

Im Jahre 1588, als ich 21 Jahre alt war, starb der Architekt Sinan. Er wurde im Nordosten des Süleymaniye-Baukomplexes beigesetzt. Der große Sinan hatte diese Moschee und die vielen Sozialgebäudekomplexe, wie das im Osmanischen Reich üblich war, im Auftrag Sultan Süleymans des Gerechten im Jahre 1550 begonnen. Mehrere Monate hatte er die Fundamente der Moschee ruhen lassen, damit sie richtig sanken und für viele hundert Jahre die darauf zu erbauende Moschee ohne Schäden stehen sollte. Der ganze Süleymaniye-Komplex war dann in sieben Jahren fertig.

Zur Beerdigung des Architekten Sinan kam Sultan Murad III. und sehr viele Menschen nahmen daran teil. Die letzte Ruhestätte Sinans und des Sultans Süleyman des Gerechten, welcher der Großvater des jetzigen Sultans ist, sind nicht weit voneinander entfernt.

Der Baumeister Sinan hatte seit Baubeginn des Süleymaniye-Komplexes an die dafür gegründete Süleymaniye-Stiftung einen großen Teil seines Vermögens gestiftet. In der Stiftungsakte war u.a. ein sehr wichtiger Absatz. Selaniki Mustafa Efendi, dem ich mehr und mehr zugetan war und den ich bereits als zukünftigen Schwiegervater zu betrachten begann, gestattete mir einen Einblick in die Unterlagen und ich las diesen Absatz, wonach jemand, um der Vorbeter der Süleymaniye-Moschee zu werden, bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen habe. Die Liste war beachtlich. Es waren folgende Bedingungen:

Der Bewerber müsse
... über alle Wissenschaften, einschließlich Mechanik, informiert sein,
... über Türkisch hinaus, Arabisch und Persisch hochgradig beherrschen,
... neben diesen genannten Sprachen auch Latein lesen und schreiben können,
... über die anderen Religionen so weit informiert sein, dass er sie mit dem Islam vergleichen kann,
... reiten können, Sport treiben, gut aussehen, sich gut kleiden,
... nur mit einer Frau, einer schönen Frau verheiratet sein,
... die Anatomie der Menschen gut kennen.

Schließlich wurden über Unterbringung und Gehalt Angaben gemacht, die überdurchschnittlich waren.

Ich war über diese Zeilen sehr überrascht und erfreut. Eigentlich waren das Voraussetzungen und Bedingungen, die für alle Menschen, zumindest in ähnlichen Bereichen der Gesellschaft gelten sollten.

Sechs Jahre vor seinem Tode hatte mich Sinan, der Meister aller Architekten, auf die Bitte meines Vaters hin zur Ausbildung zu sich genommen. Bald stellte sich aber heraus, dass ich mich mehr für Schiffsbau eignete als für den Bau auf dem Lande. So empfahl er mich an die Werften in Azapkapi am Goldenen Horn.

Azapkapi ist auf der anderen Seite des Goldenen Horns und grenzt an Galata. Dort lernte und arbeitete ich und wurde in den Bereichen Zeichnen und Modellbau von Handelsschiffen ausgebildet. In werfteigenen Schulen lernte ich die theoretischen Fächer, zu denen natürlich auch Mathematik und Astronomie gehören, weil sie für die Schifffahrt relevant sind. In den Werften wurde dann alles Gelernte praktiziert. In Mathematik und Astronomie bekam ich von meinem Vater zu Hause zusätzlich Unterricht.

Gülhayat war inzwischen meine Verlobte und wir wollten im nächsten Jahr heiraten. Im Winter 1589, drei Monate vor unserer Hochzeit, starb Gülhayats liebe Großmutter Bülbül Hanim. Die Hochzeitsfeierlichkeiten wurden auf beiden Seiten deshalb unterhalb des Üblichen gehalten. In unseren Familien waren Übertreibungen jeglicher Art nicht erwünscht.

So feierten zuerst die Frauen den Abschied der Braut unter sich in Gülhayats Haus und im Laufe des Nachmittags feierten wir die Ankunft der Braut und unsere Hochzeit bei uns im Hause meines Vaters, das im ersten Stockwerk für ein Ehepaar, später auch für Kinder genügend Räumlichkeiten bietet. Da wir einander seit Kindertagen herzlich zugetan sind, waren alle auf beiden Seiten der Familien glücklich. Wichtig war, dass wir nun als Mann und Frau zueinander fanden.

In der auf unsere Hochzeit folgenden Woche, kurz nach dem Mittagsgebet am Freitag, brach in Istanbul ein schrecklicher Brand aus, der viele Häuser und Geschäfte, insbesondere die aneinander gereihten Holzbauten in Schutt und Asche legte. Häuser, die sich in abseitigen Gärten befanden und daher geschützt waren, wie das von Gülhayats Eltern und unseres, wurden verschont oder wurden weniger beschädigt. Wir hatten Glück gehabt, aber das Leid um uns war erschütternd, wir halfen, wo wir konnten.

Onkel Latif war am ersten Brandtag, Gott sei Dank, zu Hause und hatte bei Ausbruch des Stadtbrandes gleich alle Maßnahmen getroffen, um dem Brand entgegenzuwirken. Er hatte Kelims und alle möglichen Säcke und dicke Tücher um Gülhayats Elternhaus und um sein kleines Haus gespannt und sie nass gemacht gegen eventuelle Funken. Der Brand war zwar ohne eigene Schäden, aber doch in der nahen Umgebung auf andere Stadtteile übergesprungen. In unserem Stadtteil Fatih war die Situation auch so ähnlich verlaufen. All die Versuche, den Brand aneinander gebauter Häuser zu löschen, waren fehlgeschlagen. Als am dritten Tag Windstille herrschte, war die Brandbekämpfung durch Abriss- und Löscharbeiten endlich erfolgreich. Die Schäden waren aber bedrückend groß. Viele Menschen hatten ihr Hab und Gut verloren. In den darauf folgenden zwei Jahren wurde in Istanbul emsig gebaut. Die Menschen halfen sich gegenseitig, und was sie wieder aufbauten oder renovierten, hielt sich meistens in bescheidenem Rahmen.

Onkel Latif wohnt noch immer im Gartenhaus. Er war schon zu Beginn seiner Istanbuler Zeit Moslem geworden und hatte sich beschneiden lassen. Selaniki Mustafa Efendi hatte ihm nach drei Jahren als Sklave seine Freiheit wieder geschenkt. Er hätte gehen können, wohin er wollte, aber er blieb als freier Mann im Gartenhaus wohnen. Onkel Latif arbeitet als zweiter Kapitän auf einem osmanischen Handelsschiff, dessen erster Kapitän Emin auch Eigner des Schiffes ist. Kapitän Emins Bruder ist Ferhat Efendi, ein bekannter Händler für Parfum und Weihrauch im Basar.

Onkel Latif hat eine aus dem Harem des Topkapi-Palastes in die Ehe entlassene Musikerin, eine blonde Kaukasierin, geheiratet. Sie bekamen Zwillinge, entzückende, süße Mädchen. Onkel Latifs Frau, Tante Periseda, kann sehr gut Laute spielen und singen. Das hat sie im Harem des Topkapi-Palastes gelernt, als sie im Dienste der Sultanin Nurbanu, der Mutter von Murad III., stand.

Onkel Latif ist für meinen Schwiegervater Mustafa Efendi wie ein eigener Sohn, denn sein eigener Sohn war als junger Offizier bei militärischen Auseinandersetzungen an der östlichen Grenze verwundet worden und gestorben.

Kapitel 11

Inzwischen bin ich, der Vizekapitän Latif, unterwegs auf dem Schwarzen Meer. Diese Perle Istanbul, die ich zu lieben begann, war durch den großen Stadtbrand etwas angekratzt. Doch die Menschen geben ihr Bestes, die Narben wieder zu heilen. Die Leute helfen hier einander, wo sie können. Über zwanzigtausend Wohnungen und ebenso viele Geschäfte hatten gebrannt. Es wird einige Jahre dauern, bis der Schaden beseitigt sein wird.

Viele Menschen sind bei Bekannten und Verwandten untergebracht, aber auch in sozialen und öffentlichen Gebäuden. Geschäftsleute haben mit dem Wiederaufbau ihrer Geschäfte begonnen. Teilweise haben sie Unterstützungen von ihren Berufsverbänden und öffentlichen Stiftungen erhalten, die sie in Raten zurückzahlen müssen.

In Istanbul gibt es im Vergleich zu anderen Weltstädten weniger Kriminalität. Natürlich hat Istanbul auch dunkle Seiten, wie die Städte, die ich zu meiner Zeit als Helfer von Kapitän Alvarez kannte. Istanbul ist eine Hafenstadt wie Venedig, Marseille, Barcelona und andere, die ich kenne. Auch hier sind junge und alte arbeitslose Menschen von überall gekommen. Auch Dirnen und Freier, Diebe und Mörder und Abenteurer oder solche, die vor Blutrache geflüchtet sind, denn Istanbul ist wie eine Mutter, die manch einen auch vor Gefahren schützt. Für ein Zusammenleben ohne allzu große Streitigkeiten sorgen nicht zuletzt die Ordnungsorgane der Stadt. Es gibt auch einen Geheimdienst. Die Angestellten und die von Fall zu Fall bezahlten Kräfte des Geheimdienstes arbeiten wie normale Handwerker oder Kaufleute da und dort. Sie melden Auffälligkeiten, die Aufruhr und Kriminalität verursachen könnten oder schon verursacht haben.

Als ich noch ledig war, ging ich dahin und dorthin, um Land und Leute besser kennen zu lernen, unter anderem auch nach Galata, um ein bisschen zu trinken und mich mit Frauen zu vergnügen.

Eines Abends kam ich in Galata aus einer Schenke und begegnete dem vertrauten Gesicht des ehemaligen Matrosen Anton. Wir umarmten uns. Anton, der Deutsche, der mit mir damals in Gefangenschaft geraten war! Inzwischen hieß er Ibrahim und war Leiter einer Herberge, in der überwiegend ausländische Kaufleute, Reisende usw. übernachteten. Er erzählte mir nun, dass er von Anfang an, als er im Basar von einem Staatsbeamten gekauft worden war, für diese Arbeit, die er jetzt macht, ausgebildet wurde.

Ibrahim und ich hielten es nicht für nötig, uns gegenseitig zu verstellen oder uns gar etwas vorzulügen. Wir waren auf dem Schiff von Kapitän Alvarez immer aufeinander angewiesen gewesen und hatten schnell Vertrauen zueinander gefasst. Ibrahim sagte, dass er hier im Stadtteil Galata glücklich lebe und auch schon mit einer osmanischen Griechin verheiratet sei, von der er zwei Söhne habe. Er schien seine ursprüngliche Heimat nicht zu vermissen.

Sicher lag das daran, dass Ibrahim als Anton schlechte Erinnerungen an seine Heimat hatte, denn er hatte mir damals, als wir gemeinsam auf dem Schiff von Kapitän Alvarez arbeiteten, erzählt, dass seine Mutter in Deutschland durch die Hetze der Kirche mit Gerichtsbeschluss als Hexe öffentlich verbrannt worden war. Ihr war Zauberei vorgeworfen worden. So kam es, dass Anton und sein Vater in die Schweiz geflohen waren und von dort weiter bis nach Venedig. Anton hatte damals auf dem Schiff von Alverez als Schiffsjunge angefangen.

Die deutsche Vertretung ausgenommen, befanden sich fast alle christlich-westlichen Vertretungen der jeweiligen Staaten in Galata. So war dieser Anton-Ibrahim, der mittlerweile Türkisch, Deutsch, Spanisch und Italienisch sprach, für den Geheimdienst des osmanischen Staates als Informant ein nützlicher Mitarbeiter.

Nach der kurzen Unterhaltung verabschiedete ich mich von ihm.

Das Schiff, auf dem ich als Vizekapitän arbeite, bedient die Strecke zwischen Istanbul und der Krim. Die Krim ist eine osmanische Enklave, ein tatarisches Khanat. Von Istanbul aus transportieren wir dorthin Schmuck, Waffen, Stoffe, Schuhe, Hülsenfrüchte usw. Von der Krim bringen wir Pelze, gesalzene Fische, Kaviar, Parfum und viele andere Erzeugnisse, die überwiegend von dort und aus Russland stammen. Dann und wann sind auch Sklavenhändler mit ihren Sklaven auf unserem Schiff von der Krim nach Istanbul unterwegs.

Einmal war ein junger Sklave von etwa 16 Jahren aus einem an die osmanische Reichsgrenze grenzenden Land dabei. Er tat mir so Leid, weil er sehr traurig aussah. Mir fiel ein, dass der Bruder meines Kapitäns, der Parfümeur Ferhat Efendi, im Basar eventuell diesen Jungen brauchen konnte, denn für den Parfümeur sind immer vertraute Leute mit Karawanen unterwegs. Aus Bagdad und Basra bringen sie Waren aller Art, Parfums, kostbare indische Seide, Tee, Edelsteine und Teppiche nach Istanbul. Die Karawanen bestehen aus 100 bis 200 Kamelen, Kaufleuten, ihren Helfern und genügend Schutzsoldaten. Ich sprach mit meinem Kapitän. Kapitän Emin Efendi fand meinen Vorschlag gut und so kaufte er für seinen Bruder, den Parfümeur, den Jungen zu einem günstigen Preis dem Sklavenhändler ab und gab ihm schon auf dem Schiff den Namen Yusuf.

Yusuf kam nach Istanbul und arbeitet seither dort im Parfumladen. Er gewann das Vertrauen Ferhats und reist auch mit Karawanen ein- oder zweimal im Jahr nach Bagdad. Aus ihm ist ein tüchtiger Mitarbeiter geworden.

Wenn ich von meinen Handelsreisen nach Istanbul heimkehre, bleibe ich in der Regel ein bis zwei Wochen bei meiner Familie, bis unser Schiff wieder genügend Waren für die Reise geladen hat. Ich bin mit meiner Frau und unseren Mädchen, den Zwillingen Lale und Hale, und Selaniki Mustafa Efendi, der mich wie seinen Sohn behandelt, und mit dessen Familie sehr glücklich. Wenn ich manchmal von Leuten gefragt werde, ob unter meinen Ahnen auch Seeleute seien, erzähle ich, dass meine Ahnen am Meer von Abessinien lebten und es unter ihnen auch Kapitäne gab, die Seehandel mit Indien und China trieben. Vor ungefähr zweihundert Jahren wurden meine Vorfahren durch kämpferische Auseinandersetzungen irgendwelcher Stammesverbände vom Ufer Afrikas vertrieben. Das hatte mir mein Großvater im Dorf erzählt. Ich bin ein Nachkomme dieser Leute und auf Umwegen nach Istanbul, in diese Märchenstadt, gelangt und froh, weniger Gefahren ausgesetzt zu sein.

So liebe ich alles, was um mich ist und was ich sehe. Wie fast jeder Mensch, der in Istanbul lebt, habe auch ich das Gefühl, als sei ich von Geburt an hier und sonst nirgendwo vorher gewesen. Ich habe den Eindruck, dass die Erinnerung an die schlimme Vergangenheit in Istanbul verblasst und deshalb weniger schmerzt. Anderen Menschen anderer Herkunft fällt hier das Vergessen leichter. Dennoch denke ich an meine Eltern, Geschwister und Spielgefährten und an das Dorf, wo ich geboren bin.

Am Sklavengeschäft hat sich aber nichts geändert. Wie damals werden in Afrika, insbesondere in Westafrika, junge Leute und Kinder geraubt, gefangen genommen und überwiegend für Kolonien nach Amerika verkauft. Dort müssen sie bis zu ihrem Tode unter unvorstellbaren Bedingungen auf Plantagen als Sklaven arbeiten. Das alles erfuhr ich ausführlich von Schiffsleuten, die Amerikarouten befahren. Dass ich unter diesen Umständen niemals wieder in meine Heimat zurückgehen will und mein Schicksal mich hier anders und besser behandelt, ist mein Trost und Glück. Ich bin ebenso Istanbuler wie alle anderen Istanbuler.

Kapitel 12

Ich bin Hildegard, die Köchin der Kaiserlich Deutschen Gesandtschaft in Istanbul. Die Osmanen nennen das von Kapalitscharschi, dem bedachten Basar, wohl hundert Schritte entfernte Haus an der Konstantinsäule "Nemtschi Han". Das slawische Wort Nemtschi, für Österreicher, verwenden die Osmanen auch für Deutsche. Han bedeutet Haus für Geschäfte und Herberge für Menschen oder für Mensch und Tier. Die türkischen Sultane hießen und heißen unter anderem auch Han. Das Nemtschi Han wird auch "Eltschi Han" genannt, das heißt "Haus des Gesandten".

Während sich die Gesandtschaften anderer Länder überwiegend in Galata befinden, befindet sich unsere Gesandtschaft hier, wo unsere Leute, eine viertel Stunde bis zwanzig Minuten zu Fuß vom Topkapi-Palast entfernt, besser geschützt, aber auch besser unter Aufsicht sind.

Ich bin schon in dritter Generation die Köchin dieses Hauses. Das Kochen habe ich von meiner Mutter gelernt. Bei uns hier im Nemtschi Han passiert viel, weil zwischen beiden Ländern, Deutschland und dem Osmanischen Reich, das wir "Türkei" nennen, rege Beziehungen vorhanden sind.

Bei uns in Nemtschi Han gibt es keine Langeweile. Den Botschafter mit seinen Leuten müssen wir bekochen und ihnen servieren. Es sind auch immer Gäste aus der Heimat da. Es sind Beamte für Sonderaufträge, Händler, die bei irgendwelchen Problemen Hilfe suchen, Pilger, die nach Jerusalem wollen oder von dort zurückgekommen sind, freigelassene Sklaven, die Unterlagen beantragen um nach Deutschland zurückzukehren und allerlei sonstige Leute.

Ich kenne Gülhayat und weiß, dass sie an einem Roman arbeitet. Ich begegnete ihr zum ersten Mal im Parfumladen von Ferhat im Basar. Ich war oft in diesem Basar für Erledigungen aller Art, beruflich aber auch privat. Für die Küche der Gesandtschaft kaufe ich im Basar alle zwei, drei Tage ein. Meistens bin ich in Begleitung eines Küchenhelfers, aber auch allein, wenn ich Kleinigkeiten für mich, für andere oder Gäste, die nach Deutschland zurückkehren, einkaufe. Manchmal gehe ich auch mit diesen Leuten zum Basar, um ihnen mit meinen Kenntnissen behilflich zu sein. Sie kaufen Rosenöl zur Parfumherstellung für ihre Heimat und als Mitbringsel Schmuck. Ich bekomme von den Leuten deshalb hin und wieder kleinere Geldgeschenke. Das Rosenöl in Ferhats Laden ist sehr gut und nicht gepanscht. Dafür ist er bekannt. Es gibt bei ihm auch viele Parfums aus allen Teilen der Welt, er achtet auf Qualität. Ich kaufe dort oft Rosenwasser, das als Duftwasser und für die Hautpflege verwendet wird. Es ist aber auch für die osmanischen Leckereien, deren Zubereitung ich von meiner Mutter gelernt habe, erforderlich. Rosenwasser wird überwiegend dem Reispudding, Gebäck, Kompott und Getränken hinzugefügt. Unseren Gesandtschaftsangehörigen und auch unseren Gästen aus dem Abendland schmeckt alles sehr gut.

An einem Nachmittag war Gülhayat mit ihrer zukünftigen Schwägerin Aslihan in Ferhats Parfümladen. Ich bekam schnell mit, dass sie für die Hochzeit Einkäufe erledigten, und kam mit Gülhayat und Aslihan ins Gespräch. So wurde ich zur Hamam-Hochzeitsfeierlichkeit eingeladen. Die Hamam-Brautfeier würde in zwei Tagen im Süleymaniye-Bad stattfinden. Ich freute mich sehr, denn ich liebe dieses Brauchtum sehr.

Gülhayat ist eine unbeschreiblich schöne Frau. Obwohl sie mit allerdünnstem weißem Schleier, wie üblich, ihren Mund bedeckt hatte, war ihr Gesicht als Ganzes wahrzunehmen; ihre Schönheit wurde von keiner Frau, die ich bis dahin in meinem 38-jährigen Leben gesehen hatte, übertroffen. Das war jedenfalls mein erster Eindruck. Ich hatte gelesen, dass die Türkinnen früher in Mittelasien ihre Gesichter nicht bedeckt hatten, und bei einer Gelegenheit, als ich eine Händlerdelegation als Köchin bis nach Ankara begleitete, die dort feinste Wollstoffe für die Gesandtschaft kaufte, sah ich unterwegs, dass die einheimischen Frauen ihre Gesichter nicht bedeckten. Das mochte wohl aus der weit zurückliegenden Vergangenheit stammen, in der Frauen in Anatolien ihre Gesichter zeigten und alle Rechte hatten wie die Männer auch.

Ich war nicht nur entzückt von der verschleierten Schönen. Ihr Name gefiel mir ebenso, denn "Gül" heißt Rose, bedeutet aber auch die Aufforderung zu lachen. "Hayat" heißt Leben und den inneren Hofgarten eines Hauses nennt man "Hayat". Somit kann der Name auch als "Der innere Rosengarten" übersetzt werden.

Ich freute mich auf die Einladung und versprach zur Hamam-Brautfeier zu kommen. Gülhayat und Aslihan hatten schon ihre Einkäufe erledigt. Sie verabschiedeten sich. Als ich im Laden mit meinen Erledigungen beschäftigt war, Ferhat Efendi mir diese und jene Düfte aus den Parfumfläschchen anbot und ich die Düfte probierte, murmelte ich wohl zwischendurch in meiner Muttersprache ein Paar Wörter wie "guuut" und "lieblich". Da kam ein junger Mann aus dem hinteren Bereich des Ladens und reichte einen kleinen Flakon und sagte, er habe den Duft gerade fertig. Ferhat Efendi gestattete ihm, dass ich den Duft probierte. Es war ein Duft, der mich an Sandelholz erinnerte. Wir sprachen zuerst ganz offizielles Osmanisch, aber dann flocht er auf Deutsch ein, er sei Slowake und seine Großmutter habe ihm damals etwas Deutsch beigebracht. Er konnte tatsächlich etwas Deutsch, aber ich bemerkte, dass es sehr wenig war. Er wünschte mir dann gute Einkäufe und einen schönen Tag. Dann begab er sich wieder in den hinteren Raum des Ladens. Sicher macht er dort diese verführerischen Düfte, dachte ich und achtete ihn, weil er einen schönen Beruf lernte.

Zwei Tage später sollte die Hamam-Brautfeier von Gülhayat stattfinden. Ich hatte am letzten Abend wieder einen unsinnigen Streit in unserem Speiseraum für Personal erlebt. Es ging wie häufig um Katholiken und Lutheraner. Wohin wohl die Reise ginge und so weiter und sofort. Am Ende des Tisches saßen zwei Beamte aus München, die am Morgen bei uns eingetroffen waren. Sie waren über eine Liste gebeugt und machten an der Liste kleine Korrekturen. Als ich den Gästen servierte, warf ich einen Blick darauf. Es war eine lange Liste, auf der die Namen von Beamten und Paschas standen und die Beträge, wer wie viel bekommen würde. Sicher passiert es bei solchen Begegnungen, dass man sich mit Geschenken und Bestechungen wichtige Personen gewogen macht und umgekehrt wie üblich anderwärts. Möglicherweise waren auch unsere Beamten bestechlich, wenn das hilft...

Die Beziehungen sind zwischen dem Kaiserreich und dem Osmanischen Reich zur Zeit nicht schlecht. Das war aber zu Zeiten der Kriege und Grenzstreitigkeiten weniger gut gewesen. Das hatten meine Eltern und ich hier von Zeit zu Zeit auch bemerkt. Unser Personal war zum größten Teil katholisch und fühlte sich den anderen gegenüber öfter im Recht und überlegen. Ich musste diese Parteien manchmal auseinander halten, wenn es am Esstisch zu laut wurde.

An jenem Abend hatte ich auch die Beteiligten einer Auseinandersetzung, die fast in eine Prügelei ausgeartet wäre, in der Küche besänftigt. Daher hatte ich am nächsten Morgen weniger gute Laune. Dann rappelte ich mich auf und dachte, wie oft, dass es solche Gegensätzlichkeiten immer und überall gibt und geben wird. Auch hier im Osmanischen Reich unter den Muslimen gibt es in letzter Zeit da und dort sogar blutige Auseinandersetzungen, bei denen in den meisten Fällen die Menschen als Werkzeug für irgendwelche Machtkämpfe im Namen der Konfession missbraucht werden. So glaubt dann jeder Mensch im Namen Gottes zu handeln und pocht auf sein Recht.

Ich machte mich am Nachmittag mit der Küchenhelferin Ursula auf den Weg zum hochzeitlichen Hamam-Fest. Im Bad angekommen verschwand meine gereizte Laune vom vergangenen Abend. Als wir uns im vorderen Umkleideraum auszogen und die dünnen seidenen Tücher, die wir mitgebracht hatten, um unsere Körper von der Brusthöhe bis oberhalb der Knie wickelten, hörten wir die Musik, die aus dem Inneren des Bades kam, wo die Frauen und Mädchen feierten.

Die Hamam-Wirtin wusste Bescheid, dass wir eingeladen waren. Sie reichte uns auf Kosten von Gülhayat Lorbeerseifen, die den Haaren und dem Körper seidigen Glanz und frischen Duft verleihen. Bei Hamam-Festen übernimmt die einladende Seite sämtliche Kosten für die Gäste.
Zu solchen Zeiten, wenn Hochzeitsfeierlichkeiten stattfinden, ist das jeweilige Hamam für alle Kundinnen offen. So können auch andere, die nicht wissen, dass im Hamam eine Brautfeier stattfindet, an dem ganzen Geschehen teilnehmen, allerdings müssen nicht geladene Teilnehmende für die Hamam-Eintrittskosten selbst aufkommen.

Ich gehe ein- bis zweimal in der Woche zum Hamam, denn gegenüber dem Hause unserer Gesandtschaft befindet sich ja eins. Sultanin Nurbanu, die Mutter des jetzigen Sultans, hatte es als Einnahmequelle für eine ihrer errichteten Külliyes in Üsküdar vom Architekten Sinan erbauen lassen und gestiftet. Ich habe die ganze Bauzeit miterlebt. Zuerst kamen die Abkesch, das sind die Ingenieure für Wasserangelegenheiten, in der Folge wurde ein leistungsfähiger Brunnen mit einem Schöpfrad gebaut und dann begannen auch die Bauarbeiten für das Hamam. Die unterhalb des Bades notwendige Beheizung der Böden nennt man hier "Hölle" und die ist ein ausgeklügeltes Werk. Der Rauch und die Hitze wird auf sorgfältige Weise unter dem Boden und in den Wänden so gelenkt, dass die Räume warm werden, und der Raum, in dem später der eigentliche Nabelstein ist, wird besonders begünstigt. Riesige Kupferbehälter für Wasser wurden damals über der mit Brennholz und Strauchwerk zu befeuernden Herdstelle im Külhan errichtet und die Wasserleitungen verlegt. Leider hat die Sultanin Nurbanu die Fertigstellung des Bades im Jahre 1584 nicht mehr erlebt. Als der Bau des Bades endlich fertig und mit allen Ausschmückungen versehen war, war sie bereits ein Jahr zuvor gestorben und im Grabmal im Hof der Hagia-Sophia-Moschee neben ihrem Gemahl Sultan Selim II. beigesetzt worden.

Ich liebe die angenehme Atmosphäre im Hamam. Wärme, Wasserdampf, das Plätschern des Wassers und die Stimmen der Badenden, junge und alte Frauen, Mädchen und kleine Knaben, das alles genieße ich. Man hilft sich gegenseitig beim Waschen von Kopf und Rücken, massiert einander oder lässt sich von einer Natir die Haut mit einem über die Hand gestreiften Säckchen aus Wildseide abrubbeln. Hinterher fühle ich mich jedes Mal wie neu geboren.

Es gibt in Istanbul in allen Stadtteilen für alle Istanbuler und ihre Gäste Bäder in ausreichender Zahl für Frauen und für Männer in voneinander absolut getrennten Räumen. Es gibt aber auch die "Vogelbäder". Das sind kleine Hamams, die in den späten Morgenstunden nur für Frauen geöffnet sind und zu anderen Zeiten nur für Männer. In den großen Hamams kann man so lange bleiben, wie man will. In der Regel bleiben die Menschen jedoch etwa einen halben Tag.

Nicht alle Bäder in Istanbul haben ein tiefes Becken, denn es kommt in erster Linie auf das Säubern des Körpers und die Erholung an, die man in diesen Hamams bekommt. Es gibt separate kleine Räume, wo sich Badende rasieren oder die Körperhaare in ihren Achselhöhlen und an der Scham entfernen können. Dafür wird eine graugrünfarbene Paste, die unter anderem hauptsächlich Ätzkalk enthält, an den Stellen aufgetragen, wo die Haare entfernt werden sollen. Nach kurzer Wartezeit zupft man probeweise an den behandelten Härchen. Gehen sie leicht ab, wäscht man die Partien ab und entfernt dabei schon die Haare, was keinerlei Unannehmlichkeiten verursacht. Das tun nicht nur Muslime, sondern auch manche andersgläubige Menschen zur Erleichterung der Sauberkeit und aus Schönheitsgründen. Dabei gewinnt man eine bessere Beziehung zum eigenen Körper.

Das heiße und das kalte Wasser, das im Bad aus nebeneinander an der Wand montierten Wasserhähnen in Becken läuft, mischen sich die Badenden nach ihrem Gutdünken und schöpfen sich Wasser aus dem Becken mit verzinkten und mit Blumenmuster oder Ornamenten verzierten Kupferschüsseln, die gut in der Hand liegen. Diese Schüsseln besitzen in der Mitte eine nach innen gewölbte Delle. Von diesen Schüsseln gibt es unterschiedliche Größen, so haben auch die Kinder ihren Badespaß und können sich Wasser auf den Schopf gießen.

Dampf und Wärme hüllte uns ein, als wir den inneren Hauptraum unter der großen Kuppel betraten. Inmitten des Raumes tanzten die trällernden Frauen auf dem heißen Nabelstein gerade einen Holzpantinentanz, dessen klackender Rhythmus von den Wänden widerhallte. Den Frauen und Mädchen klebten die nassen Tücher an ihren Körpern. Es war ein herrliches Vergnügen.

Gülhayat, die Schöne, tanzte in ihrer Mitte. Sie winkte uns zu und lächelte, somit waren wir willkommen. Ihr Körper im nassen, weißen, dünnen Seidentuch erinnerte mich an alte griechische und römische Statuen aus Bronze, Silber, Marmor, Alabaster, Elfenbein oder Meerschaum, auf die Reisende, Kaufleute, Politiker und andere Leute aus dem Abendland scharf sind und die sie offen oder versteckt aus der Türkei in ihre Länder schleppen. Der Boden in der Türkei ist voll mit diesen Statuen. Ich hatte in unserer Kaiserlichen Gesandtschaft in Säcken der Abreisenden häufiger solche Statuen in kleineren Formaten gesehen.

Drei Frauen spielten ihre Schellentrommeln. Sie sangen dazu wunderschöne, rhythmische Istanbuler Lieder, die "Türkü" heißen. Ich verstand sie alle und sang sie mit allen gemeinsam und tanzte mit. Meiner jungen Begleiterin, der 17-jährigen Küchenhelferin Ursula war das alles weniger bekannt, denn sie war erst seit knapp einem Jahr bei uns in Istanbul. Aber sie ist auch eine fröhliche Natur wie ich und machte alles mit.

Die Brautfeierlichkeit verlief vergnüglich. Die Gäste gingen zwischendurch, wenn es ihnen zu heiß wurde, kurz in den kühleren Vorraum und ruhten, aßen Äpfel und Orangen und anderes Obst, das sie mitgebracht hatten oder anlässlich des Festes von den Gastgebern geschenkt bekamen und plauderten entspannt. Gülhayat erhielt ein Erinnerungsgeschenk von ihren Freundinnen überreicht. Es war ein kunstvolles bronzenes Gefäß für Rosenduftwasser mit einer zwischen Blättern im Stiel verborgenen Tülle. Sie probierte gleich den abschraubbaren Deckel aus und war entzückt und umarmte vor Rührung und Glück alle Freundinnen, dankte ihnen für das Gülabdan und sie küssten einander.

Rasch verging die Zeit und kurz vor der Abenddämmerung verabschiedeten auch wir uns von den Gastgebern des Festes. Gülhayat, die Schöne, lud uns noch für den nächsten Tag zur Hochzeitsfeier ins Haus des Bräutigams ein. Sie beschrieb mir den Weg. Wir bedankten uns bei Gülhayat und ihren Verwandten für die Einladung. Ich sagte aber, dass es von der Arbeit in der Gesandtschaft abhänge, ob wir kommen könnten. Ach, wie gerne hätte ich Gülhayat und ihre Freundinnen in ihren mit Goldfäden bestickten Kleidern aus chinesischer Seide in Rosa und Lila und den mit Gold und Perlen bestickten Kappen gesehen, aber leider konnte keine von uns beiden an der Hochzeit dort zu Hause teilnehmen, weil in der Gesandtschaft zu viel Arbeit war.

Ich denke immer noch an das fröhliche Brautfest im Hamam. Ich fühle mich in dieser schönen Istanbuler Welt sehr wohl, obschon ich Witwe bin.

Kapitel 13

Im Winter 1589 hatte man mich, Ridvan Aga, Sicherheitschef von Istanbul, über den sich schnell verbreitenden Brand sofort und rechtzeitig informiert. Bei Gefahren dieser Art sind in allen Stadtteilen die Freiwilligen aktiv. Sie lassen alles liegen und eilen zu Löscharbeiten. Ich traf sofort zusätzliche Maßnahmen zum Einsatz der Marinesoldaten, die am Goldenen Horn und am Marmarameer auf den Schiffen waren, und ließ diese und sämtliche Kräfte, die in den Kasernen verfügbar waren, zur Brandbekämpfung in die Stadt kommandieren. Der Brand innerhalb der Stadtmauer wurde durch starke Winde mächtig angefacht und die Holzhäuser brannten wie Zunder. Das ist das Dilemma dieses paradiesischen Istanbul. Man hatte geglaubt, Holzhäuser seien gegen Erdbeben sicher, und weil es häufiger Erdbeben gab, hatte man in ganzen Stadtvierteln Häuser zeilenweise aus Holz errichtet, die nun ein Opfer der Flammen wurden.

Vor 80 Jahren hatte es eine furchtbare Katastrophe gegeben, ein starkes Erdbeben, das in Abständen und geschwächt insgesamt 45 Tage lang dauerte. Unsere Unterlagen beschreiben einen ersten Schub, dem riesige Wellen aus dem Marmarameer folgten, die sogar die Stadtmauer unten am Ufer des Topkapi-Palastes beschädigten. Insgesamt 5000 Leute starben. 109 kleine Moscheen und 1070 Gebäude bekamen große Schäden. In der Stadt stand so gut wie kein Minarett mehr. Selbst der Topkapi-Palast nahm Schaden. Damals ging Sultan Bayezid II. mit seiner Gefolgschaft für eine Weile nach Edirne, der alten Hauptstadt der Osmanen. Nachdem sich die Erde wieder einigermaßen beruhigt hatte, begannen die Renovierungs- und Neubauarbeiten, an denen dreitausend Bau- und Handwerkermeister und 66000 Bauarbeiter lange Zeit beschäftigt waren.

80 Jahre danach also dieser Stadtbrand. Die freiwilligen Brandbekämpfer und meine Sicherheitsleute taten ihr Bestes, um den Schaden an Mensch, Tier und Gut, soweit ihre Kräfte ausreichten und die Bedingungen es zuließen, gering zu halten. Nach drei Tagen herrschte Windstille und der Brand konnte endlich gelöscht werden. Wir waren so weit, dass die Schäden festgestellt werden konnten und die Bevölkerung mit Aufräumarbeiten beginnen konnte. Dann konnte mit dem Wiederaufbau begonnen werden. 15 Bewohner Istanbuls waren leider durch den Brand ums Leben gekommen.

An den drei Brandtagen ging ich täglich zwei- bis dreimal zum Topkapi-Palast und berichtete den Wesiren und dem Großwesir von den Entwicklungen der Brände und der Bekämpfung. Am vierten Tag wurde ich von Sultan Murad III. persönlich empfangen.

Ich war bei ihm zuletzt vor einigen Monaten wegen eines Spionagefalls, der in Galata geschah. Dieses Mal erschreckte mich das Aussehen des Sultans noch mehr als vor einigen Monaten. Er war fetter geworden und in seinem vom Weingenuss geröteten Gesicht waren die Augen fast verschwunden. Dieser einst schlanke Mensch, den ich im Jahre 1574 von Mudanya nach Istanbul zum Thron begleitete hatte, war vor 15 Jahren blass gewesen, hatte intelligente Gesichtszüge, wie die meisten früheren Sultane der osmanischen Sippe, und nahm hin und wieder Opium. Aber nun lebt dieser längst sein Leben in Übertreibungen.

Nach meinen sicheren Informationen trinkt der Sultan seit vielen Jahren Wein in Unmengen und schlief jede Nacht mit Sklavinnen, die auf dem Sklavenmarkt für ihn speziell gekauft wurden. Diese waren meistens hellhäutige, blonde fünfzehn- bis sechzehnjährige Jungfrauen aus dem Kaukasus und Umgebung. Dort wurden in manchen Gebieten speziell für den osmanischen Markt Mädchen ausgebildet, um durch den Einfluss, den diese Mädchen durch Heirat als erste Frau oder als Nebenfrau eines Reichen gewannen, an Ansehen und kleine Reichtümer zu kommen. Das kam in den meisten Fällen auch ihren Familien in den Heimatländern zugute.

Mein Sultan Murad III., der früher in drei Sprachen Gedichte schrieb, Miniaturen malte, ja sogar Texte über philosophische Gedanken verfasste, lebt nun auf dieser korrumpierten Ebene, umgeben von korrupten Menschen und ist leider selber korrupt.

Der Sultan war damals durch Opium schläfrig und nun durch übermäßigen Weingenuss wie aufgeschwemmt. Er hatte seine Essgewohnheiten seinen Exzessen angepasst und ernährte sich fast nur von viel Fleisch, dicken Suppen und dem Mark von Schafsknochen und anderer potenzsteigernder Nahrung. Er bekam Kreislaufanfälle und Anfälle epileptischer Art. Er litt an Nierenleiden. Das hatte auch ein venezianischer Gesandter, als er nach Venedig zurückging, dort berichtet. Unsere Informanten hatten dies bestätigt. Das alles war für uns nicht neu.

Murad III., der nach seiner Thronbesteigung in den Anfangsjahren bis ins fünfte oder sechste Jahr sich verkleidet unters Volk mischte, war bestens in bestimmten Angelegenheiten direkt informiert. Jetzt ist er schon lange nicht mehr unter denen, für deren Wohlergehen er hauptverantwortlich ist. Ich bedauere, dass dieser Sultan, der durch Bücher und Zeitzeugen sogar über die Geschichte der Rothäute Bescheid weiß und dem selbst die Magna Charta von 1215 nicht unbekannt ist, mit dem die Barone von England die absolute Macht des Königs einschränkten, nun auf dieser falschen Ebene lebt. Ja, er beschleunigt sogar selbst sein Elend.

Seit vielen Jahrzehnten sind die Sultaninnen mächtig, obwohl sie ursprünglich gekaufte, entführte oder von Seeräubern geraubte Frauen und Mädchen waren, die, versklavt den Sultanen, in Erwartung zukünftiger Vorteile, direkt geschenkt oder gegen Geld verkauft wurden.

Die Hauptfrau von Murad III., Sultanin Safiye, ist eine Exsklavin, die vorher Cecilia hieß und die Tochter des venezianischen Präfekten Baffo von Korfu ist. Sie ist eine korrupte Frau. Nachdem die Mutter des Sultans, Sultanin Nurbanu, ebenfalls eine Exsklavin, im Jahre 1583 gestorben war, hatte die Sultanin Safiye mehr Macht über Sultan Murad III. Auch sie bereichert sich durch Ämterverkauf wie ihre verstorbene Konkurrentin, die Mutter des Murad. Sie häuft Reichtümer an wie zuvor ihre Konkurrentin, und das jetzt noch intensiver, weil Sultanin Nurbanu nicht mehr da ist.

Auch Sultanin Safiye lässt, wie die Sultanin Nurbanu zuvor, auf dem Sklavenmarkt jeden Freitag die hübschesten Mädchen als Geschenk für Murad kaufen. So ist er immer versorgt und Intriganten aller Art sind froh, dass der Sultan beschäftigt ist. Der Sultan hat inzwischen fast 100 Kinder und zahlreiche schwangere Konkubinen.

Diesen einst noch zarten und feinfühligen Sultan sah ich vor Jahren als gütigen Menschen. Aber jetzt ist er nicht mehr er selbst. Ich war bereits mehrfach Zeuge seiner Unberechenbarkeit. Vor drei Jahren im Frühsommer begleitete ich ihn in seinem Sultanats-Kayik mit 14 Doppelrudern und 28 Ruderern. Wir fuhren am Topkapi-Ufer entlang auf dem Marmarameer. Es war ein schöner Tag mit leichtem Lüftchen, das Sommerdüfte von Land und Meer mit sich trug. In Kumkapi, wo viele Weinschenken waren, war an diesem Tag viel los. Wir hörten fröhliches Gelächter und Musik und wieder Musik. Diese Schenken, die überall, insbesondere in von christlicher und jüdischer Bevölkerung bewohnten Stadtteilen an Häfen mit internationalem Handel, anzutreffen sind, werden schon lange nicht mehr nur von der christlichen und jüdischen Bevölkerung Istanbuls, sondern auch von manchen Muslimen und Soldaten besucht.

Als das Kayik des Sultans vor so einer Schenke dahinglitt, erhoben sich die Janitscharen, die im uferseitigen Garten der Schenke an den Tischen saßen, und hoben ihre Gläser zum Wohle des Sultans und wünschten ihm ein langes Leben. Dieser launische Mensch mit dem roten Weintrinkergesicht wurde zornig und blickte böse auf seine Elitesoldaten. Die Janitscharen, die da ein bisschen feierten, aber nicht annähernd so viel tranken wie ihr Sultan, hatten sich etwas Unangebrachtes erlaubt. Wieder im Palast angekommen erließ er ein Weintrinkverbot für Muslime, das nicht einmal einige Wochen hielt.

Ich berichtete also dem Sultan die Situation nach dem Löschen des Brandes und wurde an einer Diwansitzung mit dem Großwesir und anderen Wesiren beteiligt. Dort wurden überwiegend die Maßnahmen für den Wiederaufbau besprochen. Viele Wesire waren der Meinung, dass zukünftig nicht so dicht gebaut werden dürfe. Das war in der Vergangenheit auch oft gewünscht, aber nicht verwirklicht worden. Die Landflucht in Richtung Istanbul nimmt ständig zu. Die Menschen bleiben lieber in Istanbul, hier fühlen sie sich sicherer, ganz gleich, was hier passiert. Hier kommt jeder mehr oder weniger zu Wohlstand und Glück.

Seit der Gründung des Osmanischen Reichs im Jahre 1299 waren die Sultane ständig mit Eroberungen und Erweiterungen beschäftigt. Die wirtschaftliche und soziale Stabilisierung des Kernlandes Türkei, zwischen Thrakien und der iranischen Grenze und im Süden bis Syrien, kam zu kurz. Naturkatastrophen, Epidemien, Kriege, immer wieder Nachschub von Soldaten, Verwaltern und Bauern für die neu eroberten Länder vermindern die Bevölkerungszahl Anatoliens.

Das Einkommen der Bevölkerung und des Staates wird immer geringer. Die Mehrzahl der Bevölkerung kann, nicht zuletzt wegen der schwierigen arabischen Schriftzeichen, eine Schrift ohne Vokale, weder lesen noch schreiben. Dagegen ist die Schrift in lateinischen, selbst in griechischen Buchstaben, die im Osmanischen Reich von der christlichen Bevölkerung gelernt wird, sehr leicht zu lernen.

In der Diwanversammlung anlässlich der Brandkatastrophe sprachen die Wesire über Maßnahmen für die Zukunft. Haben diese hohen Herren je daran gedacht, dass das, was sie da beschließen, niemals ein Volk erreicht, das in der Mehrzahl weder lesen noch schreiben kann? Insgeheim ist ihnen das möglicherweise recht. Die Unterstützung von Wissenschaft und technischem Fortschritt ist kein Thema in solchen Diwansitzungen.

Ich sorge mich um die Zukunft meiner Familie, der es in letzter Zeit weniger gut als früher geht. Ich weiß nicht, womit meine drei Söhne, die zwischen sieben und fünfzehn Jahren alt sind, zukünftig ihr Geld verdienen sollen. Das Einkommen des Staates reicht im Laufe der Zeit nicht einmal für die Ausgaben und die Bedürfnisse des Topkapi-Palastes aus. Der Wert des Geldes verfällt, weil den Goldmünzen ständig mehr Kupfer beigemischt wird. Der Staat ist an Wucherer im Lande verschuldet und die Importe übersteigen die Exporte in andere Länder.

Als die Diwansitzung im Topkapi-Palast zu Ende ging, hatte draußen die Bevölkerung bereits begonnen, aufzuräumen und nach heil gebliebenen Sachen zu suchten, und reparierte Gebäude, wo es möglich war. Mir kam das Leben draußen nach dem überstandenen Brand weniger tragisch vor als dort im Topkapi- Palast.

In der Aufbauzeit nach dem großen Brand war die Zahl der kriminellen Delikte nicht wesentlich höher als sonst. In zwei Jahren waren die Schäden nahezu beseitigt. Die Bevölkerung hatte wie ehedem den Wiederaufbau aus Holz betrieben und dicht aneinander gebaut. Als Verantwortlicher für die Sicherheit der Bevölkerung konnte ich daher kaum erleichtert sein.

An einem kalten Wintermorgen wurde ich in meinem Amt benachrichtigt. Die Eilmeldung lautete: Im Innersten des bedachten Basars wurden mehrere Vertrauenskassen geleert. Das war noch nie vorgekommen. Ich eilte mit meinen Leuten sofort hin.

Kapitel 14

Ich, Irfan, der Sekretär des Sicherheitschefs Ridvan Aga, fand mich mit anderen Mitarbeitern in Blitzesschnelle im bedachten Basar ein. Als wir dort ankamen, waren schon längst alle achtzehn Tore des Basars verschlossen worden. Ich ließ die Tore wieder öffnen und verstärkte die Zahl der Aufpasser an den Toren, sodass sie bei Verdacht und Auffälligkeiten Leute und Lasttierladungen durchsuchen durften. Dazu wurden noch verdächtige Leute gründlich befragt. Das galt auch ohne Ausnahme für alle, die im Basar arbeiteten.

Die Basartore wurden in der Regel morgens geöffnet und gegen Abend verschlossen. Nur wenn außerhalb in nahe gelegenen Stadtteilen große Brände begannen, wurde der Basar zur Vorbeugung geschlossen. Der Basar bekam meistens an den mit Blei gedeckten Dächern kleine Schäden, wegen der Hitze bei einem Brand. So war es auch vor zwei Jahren bei dem großen Feuer.

Der Basar war von morgens bis abends geöffnet und hatte einen straff organisierten Sicherheitsdienst, der meistens seit Generationen aus nachweislich sehr vertrauenswürdigen Leuten bestand. Im Basar selbst hatten in Istanbul ansässige Händler ihre Läden. Die Händler waren nicht nur seit langer Zeit osmanische Einheimische, sondern waren zum Teil aus den fernen Provinzen des Osmanischen Reiches zugezogen. Darunter gab es auch angesiedelte Vertriebene, die hier heimisch geworden waren. Wie sicher dieser Basar ist, staunte jeder, der es selbst erlebt hat. Wenn jemand seine Wertsachen verlor, fand er sie in den meisten Fällen beim basareigenen Sicherheitsdienst wieder.

Der Sicherheitsdienst verrichtet seinen Dienst auch nachts nach dem Schließen der Tore. An den Hauptstraßen des Basars werden Öllampen entzündet und wird Wache gehalten. Auch tagsüber ist der Basar sehr sicher. Die Geschäftsleute schließen nicht einmal ihre Geschäfte ab, wenn sie kurzfristig irgendwo in der Nähe etwas zu erledigen haben, denn es ist üblich, dass die benachbarten Geschäftsleute dann den Nachbarladen im Auge behalten. Das aber, was nun geschehen ist, war atemberaubend. Wer könnten die Täter sein? Ich selbst, obwohl ich so einiges in Begleitung meines Chefs Ridvan Aga erlebt habe, konnte diese Frage nicht beantworten. Ich wagte nicht einmal Vermutungen zu äußern.

Die Vertrauenskassen werden im innersten Basar aufbewahrt. Dieser innere Bedesten ist ein Ladenkomplex mit hohen Decken und dicken Mauern und hat vier Tore. Innen und außen sind Läden. Innen befinden sich 44 Läden. Die meisten inneren Läden kaufen und verkaufenden wertvollem Schmuck und andere Wertgegenstände. Außerdem wird Ware für seltenen Bedarf in guter Qualität angeboten. Die Vertrauenskassen werden dort in den hinteren Räumen mehrerer Läden gegen geringe Gebühr wie Augäpfel gehütet. Zwischen dem vorderen Laden und dem rückseitigen Raum befindet sich immer eine Eisentür, denn in den hinteren Räumen, die "Mahzen" heißen, aber nicht was das Wort eigentlich bedeutet, "Keller" sind, werden nicht nur Wertgegenstände von Kaufleuten, Reichen und bessergestellten Personen aufbewahrt, sondern auch Wertgegenstände, meistens Schmuck, Silber- und Goldmünzen von Leuten, die für lange Zeit verreist sind, außerdem die Mittel von Waisen und Mündeln jeden Alters auf richterlichen Beschluss.

Dieser Raub der Vertrauenskassen müsste selbst für den allergemeinsten und geschicktesten Dieb eine Stelle sein, an die er nicht einmal zu denken wagen sollte, geschweige denn, dass er dort einen Raub begeht. Darüber hinaus konnte sich niemand vorstellen, wie das geschehen sein konnte. Wer konnte so viele Edelsteine, Schmuck, Silber- und Goldmünzen schnell beiseite schaffen? Das Gewicht allein wäre zu viel.

Dieses Rätsel der allergemeinsten Art musste schnell gelöst werden. Mein Ridvan Aga, ein sehr selbstsicherer und von allen sehr geachteter, unbestechlicher Mensch, wollte diesen Fall mit Hilfe aller Sicherheitsleute im und gegebenenfalls außerhalb des Basars, nicht zuletzt mit allen Beschäftigten im Basar auf seine Art und mit System lösen. Das würde aber doch einige Tage dauern. Denn wie sollte man sonst einen Dieb oder die Diebe in dieser Welt des Basars mit einigen tausend Läden und Leuten finden. Seine Vermutung war in diesem Fall folgende:

Verschuldete Geschäftsleute kamen in Betracht. Diese müssten nicht unbedingt aus dem Basar sein. Es könnten auch Berufsdiebe sein, Helfer im Geschäfts- oder Produktionsbereich, möglicherweise auch ein Neuling im Basar oder jemand von außerhalb. Es könnten aber auch Reisende sein, die kurz im Basar waren und die lockere Atmosphäre ausnutzten, die nicht auf Nachlässigkeit der Sicherheitsmaßnahmen beruhte, sondern auf dem seit Jahrzehnten gewachsenen Frieden im Basar. Es könnte also jemand gewesen sein, der darin eine Gelegenheit gesehen hat, um sein Vorhaben durchzuführen. Der Raub könnte im Auftrag anderer durchgeführt worden sein. Aber auch andere Überlegungen waren noch in Betracht zu ziehen.

Der innere Basar ist ein separat gesichertes Gebäude, ein Basar im Basar. Dorthin bringen die Geschäftsleute des Basars aber auch solche von außerhalb des Basars selbst oder durch einen Vertrauten oder sogar durch basareigene Lastträger, die lange, krumme Säbel am Gürtel tragen, jeden Abend ihre Wertsachen, wie Silber- und Goldmünzen, wertvolle Edelsteine und Schmuck. Da legt jeder seine Sachen in einen oder mehrere nummerierte Eisenkassen, verschließt und versiegelt sie mit seinem Siegel. Am nächsten Morgen holen diejenigen, die ihre eingelegten Sachen benötigen, diese ab, indem sie das Siegel brechen und aus der Eisenkasse ihre Sachen herausnehmen. Diese Vertrauenskassen werden von allen Bevölkerungsschichten benutzt. Während die Leute ihre Arbeit an den Vertrauenskassen erledigen, stehen die zuständigen Sicherheitsleute ein paar Schritte entfernt und dürfen nicht wissen, wie viel und was da hinein gelegt wird oder was und wie viel jeweils herausgenommen wird.

Jetzt waren ausgerechnet die Kassen geleert, die nicht für Geschäftsleute im Basar vorgesehen waren, sondern die von der Bevölkerung, Kassen, in die überwiegend die Mittel von Waisen, Witwen, alten Leuten und Mündeln eingelegt worden waren.

Dieser alte innere Basar hatte sich in der Vergangenheit gegen sämtliche Brände und Erdbeben behauptet. Darüber hinaus war er bei Turbulenzen jeder Art und Diebstahl immer sicher gewesen. Wenn dort abends die Wertgegenstände eingeschlossen, die vier Tore verschlossen und die Sicherheit den zuständigen Sicherheitsleuten und Nachtwächtern überlassen war, durfte kein Mensch, nicht einmal die Ladenbesitzer, eingelassen werden. Dabei spielte es keine Rolle, was sie für Gründe hatten, um in den Basar hineinzumüssen. Nur ein schriftlicher Befehl des Sultans, der vom zuständigen Wesir vorzulegen wäre, konnte eine Ausnahme sein. Selbst dies musste begründet sein. Mir ist so ein Fall in der Geschichte des Basars nicht bekannt.

Die Verantwortlichen für die Vertrauenskassen wurden zuerst verhört. Sie schätzten den Wert der gestohlenen Wertgegenstände, die wie üblich überwiegend aus Edelsteinen, Schmuck, Goldmünzen verschiedener Länder in verschiedenen Größen und unterschiedlichem Gewicht bestanden, auf etwa 20000 bis 30000 osmanische Goldmünzen.

Die Wächter sagten, dass sie die Aufsicht über die Vertrauenskassen stets erfüllt haben. Die Kassen seien auch zu den Gebetszeiten nicht unbeaufsichtigt gewesen, weil sie zeitversetzt gebetet haben.

Ridvan Aga verhörte am ersten Tag viele Leute, zuerst die Geschäftsleute, die ihre Schmuckläden im inneren Basar hatten. Gegen Abend waren die Verhöre älterer und kränklicher Geschäftsleute abgeschlossen; sie durften nach Laden- und Leibesvisitationen nach Hause gehen. Ihre Läden wurden mit Schloss und Siegel gesichert.

Wir waren froh, dass, als der Raub um 8.30 Uhr bemerkt wurde, noch keine Kunden im Basar waren. Die Kundschaft wurde immer um 9.00 Uhr eingelassen. Unsere Arbeit wäre sonst schwieriger, als sie ohnehin ist. Einige hundert Kamelladungen Waren waren eingetroffen und den begleitenden Leuten erlaubten wir, ihre Sachen abzuladen. Wer nach getaner Arbeit den Basar verließ, wurde, einschließlich der Sättel der Lasttiere und sonstigem, von unseren Leuten gründlich untersucht.

Wir wollten unsere Ermittlungen so schnell wie möglich hinter uns bringen, denn eine Verzögerung hätte für die Versorgung der Bevölkerung, die sich von dem großen Brand vor zwei Jahren gerade erst erholt hatte, nichts Gutes bedeutet. Es war jetzt schon bedauerlich, dass viele Leute, die ihre Angelegenheiten im inneren Basar erledigen wollten oder zu den Vertrauenskassen wollten, unverrichteter Dinge zurückgehen mussten. Das galt auch für viele Händler, darunter viele christliche und jüdische Kaufleute aus Galata und aus dem Ausland, die dort Großeinkäufe tätigen wollten oder schon Gekauftes abholen lassen wollten. Nichts durfte vom inneren Basar hinausgebracht werden. Darüber hinaus wollten wir nicht, dass wir der Ermittlungen überdrüssig würden, einschließlich unserer 36 Karabasch, den intelligenten Schutzhunden, die an allen 18 Toren des Basars seit dieser Raubsache durchgehend mit ihren Sicherheitsbeamten Dienst schoben.

Während unsere Ermittlungen liefen, wurde die Buchhaltung der Läden kontrolliert und Soll und Haben und die Kassenbestände verglichen und die Vermögensbestände in Silber und Gold nachgezählt. Wenn sich bei diesen Kontrollen ein Überschuss in Silber- und Goldmünzen ergab, bedeutete dies eindeutig Steuerflucht. Vernehmungen wurden durchgeführt, Protokolle gefertigt, um die Angelegenheiten an die Finanzbehörden weiterzuleiten und eventuell den Raub betreffende Ermittlungen zu gegebener Zeit fortzusetzen.

Nahrung und Schlaf der Leute, die bis zum Ende der Untersuchungen den inneren Basar nicht verlassen durften, waren gesichert. Im Basar befindliche Lebensmittel und Wasser würden einige Wochen ausreichen und von außen durfte alles, was benötigt wurde, kontrolliert hinein.

Als am Abend des ersten Tages die Dämmerung anbrach, war die Bilanz des Tages für uns nicht ermutigend. Mein Chef Ridvan Aga war schlechter Laune, jedoch beherrscht. Wir hatten mit gut ausgebildeten Mitarbeitern, von denen jeweils einer ein erfahrener Verhörbeamter war, nur einen Teil der Läden durchsucht und die Inhaber oder die Leiter der Läden und die Belegschaft verhört und die Bücher mit dem Kasseninhalt verglichen. Wer von diesen Leuten nach Hause gehen wollte, durfte gehen. Ihre Läden wurden dann geschlossen und versiegelt.

Die restlichen Geschäfte, die noch nicht durchsucht und deren Inhaber, Leiter und Mitarbeiter noch nicht verhört waren, mussten dort in ihren Räumen unter Aufsicht übernachten.

Die Hälfte der beauftragten Durchsuchungsbeamten übernachteten im Sandal Bedesteni, wo tagsüber eigentlich überwiegend kostbare Stoffe, Teppiche, Sklavinnen und Sklaven verkauft oder versteigert werden.

Ridvan Aga ging zur späten Abendstunde zur Übernachtung nach Hause. Dieser korrekte, langsam alternde, gute Mann war recht erschöpft.

Kapitel 15

Ich bin Ursula, die Küchengehilfin der Kaiserlich Deutschen Gesandtschaft im Nemtschi Han, wo ich mit der älteren Küchengehilfin Maria zusammen ein kleines Zimmer im zweiten Stock bewohne. Wenn ich mit meiner Arbeit in der Gesandtschaft fertig bin, sitze ich spätnachmittags gern am Fenster unseres kleinen Zimmers, denn hier ist die Aussicht sehr schön.

Von hier aus schaue ich auf den Neander-Leuchtturm, um den sich Geschichten ranken und der auf Türkisch Mädchen-Turm heißt. Er ist etwa doppelt so groß wie unsere Küche in der Gesandtschaft. Diese Insel mit dem Leuchtturm befindet sich dort, wo der Bosporus endet und das Marmarameer beginnt. Auf dem Wasser wimmelt es von Ruderbooten, Segelbooten, Schiffen in allen Größen und unablässig kreisen Möwen. Auch den Galata-Turm, links am Bosporus, oben auf dem Hügel, mag ich. Diese Aussichten sehen aus wie die Kupferstiche, die von deutschen Künstlern angefertigt wurden, die manchmal für einige Tage zur Erledigung ihrer Formalitäten bei uns zu Gast waren und diese als Dank hinterlassen hatten. Inzwischen ist die Sammlung der Kupferstiche von verschiedenen Künstlern auf zwei Dutzend angewachsen. Sie schmückt die Wände der Korridore in unserer Gesandtschaft. Einer dieser Künstler hatte gesagt, dass er von der Atmosphäre in Istanbul durchgehend angenehm berauscht sei, obwohl er keinen Wein zu sich nehme.

Ich bin jetzt im dritten Jahr in der Gesandtschaft und mache Pläne für meine Zukunft. Noch bin ich ledig, aber seit einigen Monaten denke ich, das könnte sich bald ändern, denn ich habe mich in einen jungen Mann im Basar verliebt. Er heißt Yusuf und wir haben uns dort, wo er arbeitet, im Parfumladen kennen gelernt. Na ja, zwischen Tür und Angel miteinander ein paar Worte gewechselt, die überwiegend meinen Einkauf betrafen. Ein bisschen Deutsch konnte er ja auch. Im Laden konnten wir nicht allzu viel reden. Das ist auch nicht üblich, es würde als Gefallsucht angesehen werden. Beim nächsten Mal, drei Wochen später, haben wir uns für einen Freitagnachmittag verabredet. Zur verabredeten Stunde haben wir uns außerhalb des Basars getroffen. Es war Juni und nicht besonders heiß, gerade angenehm sonnig. Wir gingen über den Beyazit-Platz, dann über den Aksaray-Platz und dann die Langa entlang an Obst- und Gemüsegärten und Häusern vorbei, die nach dem großen Brand erst jetzt repariert wurden oder neu gebaut waren. Weil Freitag war, ruhte überwiegend die Geschäftigkeit, die an den anderen Tagen äußerst rege war. Das Hämmern und Sägen und die Geräusche vom Abladen der Balken und Bretter, die Rufe der Zimmerleute und das Stöhnen angestrengt arbeitender Zugochsen unter dem Joch schwerer Fuhren und Zurufe der Wagenführer lag aber wie eine Ahnung über dem Ganzen. Stapel von Dachpfannen lagen geordnet für den folgenden Tag bereit, an dem die Arbeit fortgesetzt würde.

Hundegekläff und Kindergeplärr erfüllten die Luft. Es duftete nach frischem Holz der Fassaden, nach Pferdeäpfeln und nach Meeresbrise. Das Marmarameer glitzerte bereits hinter den Gärten und schreiende Möwen zogen weite Kreise. Ab und an kam uns ein Reiter entgegen oder jemand ritt im Trab an uns vorbei. Wir liefen bis nach Yedikule, wo wir durch ein Tor in der Stadtmauer gingen. Außerhalb der Stadtmauer waren unzählige Friedhöfe mit schön beschrifteten, mit Blumenornamenten behauenen Grabsteinen. Manch einer war mit einem steinernen Turban geschmückt. Es war noch gar nicht lange her, dass die Friedhöfe von Istanbul enorm gewachsen waren, aber die Natur hatte bereits mit üppigem Bewuchs die Ruhestätten überzogen und der Wind spielte in den Halmen. Distelfinken schwirrten über den hohen stacheligen Pflanzen. Die Hagebutten leuchteten schon an noch teilweise blühenden Sträuchern wilder Rosen. Einige Zypressen spendeten etwas Schatten.

Vor einem Friedhof war eine Wiese, da setzten wir uns. Wir waren dort nicht allein und packten die unterwegs in einer kleinen Börekbäckerei gekauften Teigtaschen, die mit frischen Kräutern und Käse gefüllt waren, aus dem Körbchen und aßen sie genüsslich. Um uns gab es viele Leute, die an diesem islamischen Freitag mit ihrer Familie, mit Freunden und Bekannten auf der Wiese saßen, Kinder spielten, die Leute aßen ihre Mitbringsel, Obst, Börek, Köfte und sonstige Sachen, und tranken dazu Obstsäfte oder erfrischenden Ayran, der aus mit Wasser verdünntem gesalzenem Joghurt gerührt wird. Auch uns bot man Ayran an. Wir freuten uns und nahmen das Angebot dankend an. Ich hatte mich bereits daran gewöhnt, dass es den Gebenden größere Freude bereitet etwas zu schenken, als denen, die etwas empfangen. Ich merke bereits, wie schnell ich eine Istanbulerin werde; ich fühle mich so, als sei ich schon immer in Istanbul gewesen, dabei bin ich erst seit drei Jahren hier.

Wir begannen einander zu erzählen und bedienten uns der Landessprache, in der wir uns ganz gut verständigen konnten.

Ich lebte, bis ich 15 Jahre alt war, in einem katholischen Waisenhaus in Nürnberg, bis mich ein Mann und seine Frau nach Istanbul mitnahmen. Der Mann, der mich mitnahm, war vom Hof Kaiser Rudolfs II. als Schreibkraft für die Kaiserlich Deutsche Gesandtschaft nach Istanbul beordert. Wir fuhren mit einem osmanischen Handelsschiff von Venedig aus nach Istanbul, der Stadt, die mich beim ersten Anblick vom Marmarameer aus schon bezauberte. Mir wurde alles schnell vertraut. Bewaldete Berge, unzählige Moscheen und prächtige Bauten gibt es und Häuser, die in verschiedenen Farben gestrichen sind. Überall das Meer, wohin man blickt, und Menschen aus allen Teilen der Erde in unterschiedlichsten schönen Kleidern. Ich kam mir vor, als sei ich in ein zauberhaftes Märchenland geraten.

Ich arbeite seit der Zeit in der Gesandtschaft und sollte später dem Ehepaar, das mich hierher gebracht hatte, bei der Kinderbetreuung helfen. Ich erweiterte meine vorhandenen Kochkenntnisse bei der Köchin Hildegard und lernte von ihr und anderen die Landessprache. Der Klang der Sprache war meinen Ohren von Anfang an sehr angenehm und ich lernte schnell.

Im Waisenhaus in Nürnberg hatte ich sechs Jahre lang die Klosterschule besucht und außer Lesen, Schreiben, Geschichte, Religion, Geographie, Mathematik, für die Kirche etwas Latein, Haushaltsführung, Nähen und Kochen gelernt. Hier ist Hildegard für mich wie eine Mutter. Sie war mit einem Mann, der in der Gesandtschaft arbeitete, über 15 Jahre verheiratet. Hildegards Mann soll für den Keller des Gesandtschaftshauses als Kellermeister verantwortlich gewesen sein. Kinder hatten sie nicht. Der Keller war voller Weinfässer, die überwiegend aus Deutschland stammten. Außerdem war der Keller auch Lebensmittellager. Hildegards Mann, der allmählich der Trunkenheit verfiel ohne dass man ihm das unbedingt ansah, soll vor drei Jahren an Alkoholvergiftung gestorben sein.

Yusuf erzählte seine Geschichte. So erfuhr ich, dass seine Eltern in einem Grenzkrieg zwischen die Fronten geraten waren und starben. Er und seine zwei Jahre ältere Schwester wurden von Reitern von der Krim gefangen genommen und verkauft. Wo seine Schwester ist, die gleich nach der Gefangennahme von ihm getrennt wurde, weiß er nicht. Er vermutet sie irgendwo auf der Krim, aber vielleicht war sie auch an Sklavenhändler verkauft worden.

Das Schicksal war jedoch mit Yusuf, trotz allem, was geschehen war, glimpflich umgegangen. Er erzählte mir, dass er auf dem Schiff nach Istanbul war, um auf dem Sklavenmarkt verkauft zu werden. Dass er auf Bitten des Vizekapitäns Latif vom Schiffskapitän gekauft wurde und er seitdem beim Bruder des Kapitäns, dem Parfumladenbesitzer, arbeitet und in einem Ledigenheim am Goldenen Horn in der Nähe des Limon-Anlegers wohnt. Er sei dem Vizekapitän Latif dankbar und zu religiösen Festtagen besuche er Latif und küsse seine Hand. Latif habe eine ganz herzliche Familie. Wenn er sie besuche, bringe er den Zwillingen Hale und Lale kleine Leckereien wie zum Beispiel Sesam-Zuckerkugeln mit.

Yusuf fragte mich, ob ich zum nächsten Kandil-Fest in drei Tagen mit ihm zu Latifs kommen würde? Ich versprach ihm, wenn ich frei bekomme, mitzukommen.

Diese Kandil-Feste sind insgesamt fünf islamische religiöse Feste im Jahr. Dazu kommen noch drei Tage Ramadanfest und siebzig Tage später vier Tage lang Opferfest. Alle diese Tage verschieben sich, weil sie am Mondkalender ausgerichtet sind, der elf Tage kürzer ist als unser Kalender. So kann man jedes Jahr elf Tage früher feiern.

An all diesen Festen werden Öllampen an den Minaretten angezündet. Bäcker backen besonders leckere, kleine, mit Sesam bestreute Butterkringel zum Verkauf, und Istanbuler Kinder gehen mit Kandil-Lampions von Haus zu Haus, auch in die Läden und sammeln mit speziellen Kandil-Gesängen Geld und Naschereien. Ich liebe diese Feste und habe auch beobachtet, dass sogar nichtmuslimische Kinder mit Lampions singend von Haus zu Haus gehen und Geschenke bekommen.

Yusuf brachte mich noch vor der Dunkelheit bis zur Gesandtschaft zurück. Wir wollten am nächsten Kandil-Abend Latif und seine Familie besuchen. Ich freute mich schon darauf.

Kapitel 16

Ich bin Yusuf, der in Istanbul als Sklave verkauft werden sollte. Glücklicherweise wurde ich schon auf dem Schiff vom Kapitän Emin Efendi losgekauft und bekam sofort ein Papier, das vom Kapitän unterschrieben war, und war ein freier Mann.

Wenn ich zurückblicke, so hat es vor meinem 16. Lebensjahr keine besonderen Ereignisse gegeben; ich lebte zusammen mit meinen Eltern und meiner Schwester, hatte drei Jahre die Schule besucht und half dann meinem Vater bei Feldarbeiten. Als das Unglück über uns hereinbrach, kamen meine Eltern ums Leben. Wir Geschwister wurden gefangen genommen und verschleppt. Aber mein Leben nach meiner Freilassung war sehr reich an Ereignissen.

Kapitän Emin Efendi brachte mich zu seinem Bruder Ferhat im Basar, der einen Parfumladen besitzt. Ich war in kürzester Zeit im Basar in alles einbezogen. Ich lernte die Sprache, was mir nicht schwer fiel, ließ mich beschneiden und wurde Moslem. Nicht besonders eifrig, aber immerhin...

Ich lernte mit Düften umzugehen und reiste auch ein- bis zweimal im Jahr wegen unserer Parfum- und Weihrauch-Großeinkäufe nach Bagdad mit großen Karawanen, die mit je 100 bis 200 Kamelen und fast so vielen Händlern, ihren Helfern und den Schutzsoldaten unterwegs sind.

In Bagdad wird aus allen Teilen des Orients, insbesondere aus dem Jemen, aus Indien und China wertvolles Parfum und Weihrauch verkauft. Anfänglich halfen mir erfahrene Einkäufer aus unserem bedachten Basar in Istanbul. Diese Händler helfen ohne irgendwelche listigen Hintergedanken, die mir oder meinem Chef finanziellen Schaden verursachen könnten. Das kommt daher, dass im Osmanischen Reich Neid und Konkurrenz verpönt sind, denn man ist aufeinander angewiesen. Die Reisewege sind gut gesichert und die Karawanen machen am Ende jeden Tages bei Einbruch der Dunkelheit Rast in Karawanenherbergen. Dort wäscht man sich, isst und schläft, lernt Menschen kennen und hört zur Unterhaltung Musik und Märchen an. Manchmal habe ich auch Lieder in meiner Muttersprache vorgesungen oder sang die Lieder der anderen in anderen Sprachen mit.

Diese Karawanenreisen sind für mich jedes Mal sehr aufregend. Ich versuche aber mir meine Aufregung nicht anmerken zu lassen, weil das als Übertreibung der Gefühle gedeutet werden könnte. Außer in der Unterhaltung, in Erzählungen und Märchen ist jede andere Übertreibung in dieser Gesellschaft unerwünscht.

Bei meinen Reisen kaufe ich in Bagdad auch auf meine Kosten so viel ein, wie meine Ersparnisse erlauben, preisgünstige Edelsteine und Diamanten, Smaragde und Saphire, die ich mit kleinen Gewinnen in Istanbul im Basar verkaufe. Bis zur nächsten Reise nach Bagdad arbeite ich dann im Parfumladen. Im Laden begegne ich unterschiedlichen Kunden.

In meiner Freizeit gehe ich in Istanbul spazieren und besuche zu religiösen Festtagen Onkel Latif, den Vizekapitän, und seine Familie mit den inzwischen siebenjährigen Zwillingsmädchen, die Hale und Lale heißen. Sie sind zu mir so freundlich, als gehörte ich zu ihnen.

Wenn ich an meine toten Eltern und an meine Schwester denke, von der ich nicht weiß, wo sie nun ist, bin ich in bedrückter Stimmung und wünsche mir, dass ich sie so bald als möglich wiedersehe. Ob das Schicksal meine Schwester wohl auch nach Istanbul verschlagen haben könnte? Die Stadt ist groß und um Istanbul einschließlich der asiatischen Seite zu durchstreifen müsste man mindestens zehnmal länger als ein Mensch leben und Tag und Nacht durch die Straßen und Gassen gehen.

Groß ist diese Stadt und andererseits sehr klein, weil jeder, der hier beabsichtigt zu wohnen, sich vom ersten Tag an als Istanbuler fühlt. Sicher liegt es daran, dass jeder Mensch hier ständig mit etwas und mit wem auch immer beschäftigt ist. Für Langeweile gibt es hier keinen Platz. Man verliebt sich hier immer in irgendetwas, zum Beispiel in die Natur und die Menschen. Ich habe mich in Ursula verliebt von der Kaiserlich Deutschen Gesandtschaft in der Nähe vom bedachten Basar.

Durch die Liebe zu Ursula und ihre Zuneigung, so groß auch meine Freude und mein Glück sind, werden meine Erinnerungen an meine Schwester Sanya wieder wach. Es schmerzt mich, dass wir voneinander nichts wissen. Deshalb halte ich stets nach einem Mädchen mit Sommersprossen und rötlichen Haaren Ausschau, wo immer ich bin. Selbst Ursula hatte ich das Aussehen meiner Schwester Sanya beschrieben.

Mit Ursula war ich einmal in Yenikapi. Wir mieteten ein Boot und ruderten nach Samatya, wo wir auch eine armenische Kirche besuchten. In der Kirche in Samatya verströmte Weihrauch seinen betörenden Duft und wir hörten den Gesängen der Betenden zu. Am Eingang der Kirche hingen Christus- und Heiligenbilder an den Wänden. Vor uns berührte eine gläubige alte Frau mit ihrer rechten Hand ihre Lippen und warf der Christusabbildung eine Kusshand zu. Dabei leuchteten ihre Augen mit einem verzückten Ausdruck, den ich zuvor bei keinem Menschen gesehen hatte. Sie schien ihn zu lieben, als sei es ihr eigener Sohn.

Wir kamen dann mit der Frau ins Gespräch. Sie erzählte uns, dass früher in Konstantinopel zum Wohnen und Arbeiten keine armenischen Christen eingelassen wurden. Denn dort war nur das oströmische Christentum erlaubt. Erst seit der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen im Jahre 1453 hatten armenische Christen Zutritt. Der Eroberer Sultan Mehmet ließ die Stadt umbenennen und schenkte den Armeniern für die Ausübung ihrer Religion zwei große Kirchen innerhalb der Stadtmauer und erlaubte ihnen in der Stadt zu arbeiten und zu leben. Den bis dahin einheimischen Christen ließ er weiterhin genügend Kirchen.

An anderen Tagen, wenn ich frei hatte, besuchte ich auch Synagogen in Istanbul. Ich schaute mir die Gebete der Gläubigen an und hörte ihre Gesänge.

Zu Kandil-Zeiten ging ich, wenn Onkel Latif da war, mit ihm zur Bayezid-Moschee, um zu beten und Mevlit zu hören. Wir beteten, jeder innerlich, arabische Gebetsstücke mit bewegten Lippen, von denen auch ich einige auswendig gelernt hatte. Wenn von jungen Hafiz mit ausgebildeter Stimme gesanglich Koranverse vorgetragen wurden, freuten wir uns über den schönen Vortrag, obwohl zumindest ich davon nicht viel verstand, weil ich noch kaum Arabisch gelernt hatte. Aber mit Mevlit ist es anders. Mevlit kann ich verstehen, denn er wird von ausgebildeten Hafiz in musikalischer Form ohne Musikinstrumente in türkischer Sprache vorgetragen. Mevlit erzählt das Leben des Propheten Mohammed. Es ist sehr beeindruckend. Mevlit wird auch in kleinen Moscheen oder in privaten Häusern anlässlich von Geburt, Beschneidung oder vierzig Tage nach der Beisetzung eines Verstorbenen vorgetragen.

Ich fuhr mit Ursula einmal nach Galata auf die andere Seite vom Goldenen Horn. Der Ruderer unseres Kayiks war ein griechischer Istanbuler, der uns die Sehenswürdigkeiten von Galata beschrieb. Wir beide saßen im Kayik auf dem kiellosen Boden auf einem dünnen Kissen und spürten das Wasser vom Goldenen Horn unter unserem Sitzfleisch. Wie ein Blitz brachte uns das Kayik zum Galata-Ufer. Da waren Fremde aus der ganzen Welt, Muslime, Christen, Juden und andere, kenntlich an ihren farbigen, unterschiedlichen Kleidern. Geschäftig bewegte sich die Menschenmenge, Männer, Frauen, Kinder. Die Läden waren voller Waren. Die Schenken und bekannten Herbergen waren gut besucht.

Wir erklommen hunderte Stufen von Yüksekkaldirim. Da waren rechts und links Geschäfte aller Art, Werkstätten, Bücherläden und Häuser, Eingänge zu einer kleinen Moschee, einer Kirche und einer Synagoge.

Wir liefen zum Galata-Turm und stiegen mit Erlaubnis des osmanischen Sicherheitsbeamten bis zum Umgang hinauf und hatten eine herrliche Aussicht. Da unten breitete sich das Marmarameer, das Goldene Horn und der Bosporus aus, der sich im Norden nach 20 Meilen mit dem Schwarzen Meer trifft, diese Wasserlinie hatte ich gesehen, als ich das erste Mal mit dem Schiff nach Istanbul kam. Meine Schwester Sanya fiel mir wieder ein. Ob sie wohl noch lebt? Ist sie vielleicht in dieser Stadt da unten?

Wie funkelnde Stickerei lag Istanbul mit all den Gärten, Häusern, Villen und Palästen, Moscheen, Kirchen und Synagogen, Märkten und unserem bedeckten Basar zu unseren Füßen. Weiß leuchtete der Mädchenturm am Treffpunkt von Bosporus und Marmarameer. Auf den Wassern wimmelte es von Schiffen, Booten und unten auf der Erde von Hunden und Katzen, Pferden, Kamelkarawanen und Menschen, Menschen wohin das Auge blickt. Dieser atemberaubende Zauber beflügelte mich; ich gab Ursula einen Freudenkuss. Sie weinte.

Selbst ich trocknete eine Träne an meinem Auge. Alles, was mit mir bis jetzt passiert war, ging mir durch den Kopf. Ich schloss meine Augen. Istanbul tönte gedämpft wie ein Teppich aus Klängen. Mein Herz wurde warm... Möwen kreischten...

Fliegen müssten wir können...

Die Beamten des Turms beobachteten die Geschehnisse zu Wasser und zu Lande. Nach den verheerenden Stadtbränden war ihre Aufmerksamkeit auf solche Gefahren besonders konzentriert.
Aber mein Herz brannte...

Vom Turm herabgestiegen, schlenderten wir zum Ordenshaus der tanzenden Derwische in Galata. Im Garten des Hauses des Mevlevi-Ordens spielte ein Derwisch die Rohrflöte, deren wehmütiger Klang unsere Herzen rührte. Der Derwisch war bereit, uns das Haus zu zeigen. Er sagte uns, dass Iskender Pascha im Jahre 1491 das schöne Gebäude in dem herrlichen Garten mit Springbrunnen hatte bauen lassen. Knapp vierzig Jahre nach der Eroberung wurde dieses Haus gebaut. Das hätten sich die Priester von Konstantinopel, die während der Eroberungszeit untereinander heiß diskutierten, ob Engel weiblich oder männlich sind, bestimmt nicht im Traum vorstellen können. Im Hause des Mevlevi-Ordens war gerade kein Sema-Gebetstanz. Über der inneren offenen Tür, die zum großen Andachtsraum führte, hing eine bemalte hölzerne Tafel, auf die das Symbol des Mevlevi-Ordens, der weiße konische hohe Filzhut, umschlungen von einem verflochten gewickelten weichen Stoff in grüner Farbe gemalt war. Er war umgeben von Schrift und Blumenmotiven. Der Derwisch sagte, dass dieses Symbol als Krone bezeichnet wird und dass die Mevlevis glauben, dass zu Gott viele Wege führen. Wir zogen unsere Schuhe aus und betraten den weiten Raum, in dem der Gebetstanz sonst stattfindet. Der Derwisch zeigte uns die Instrumente, die seine Ordensbrüder zum Gebetstanz erklingen lassen und die in einem Wandschrank aufbewahrt werden. Dieser Orden habe Musik und rituellen Tanz als seinen Andachtsweg gewählt. Die unablässig sich drehenden Tänzer mit sich öffnenden Glockenröcken stelle das Einswerden mit dem göttlichen Universum dar, erklärte er uns.

Vor Anbruch des Abends kehrten wir wieder zurück zur Bootsanlegestelle und nahmen ein Kayik zum gegenüberliegenden Ufer. Ich begleitete Ursula bis zum Haus der Kaiserlich Deutschen Gesandtschaft.

Kapitel 17

Ich, Selaniki Mustafa, war glücklich, als meine Tochter Gülhayat ihren lieben Altunbay heiratete. Mein Glück wurde ein paar Tage später sehr getrübt. In Istanbul verursachte ein großer Brand Sachschäden und Menschenleben waren zu beklagen.

Nun sind zwei Jahre vergangen; die Schäden sind größtenteils beseitigt worden. Die Menschen in dieser Stadt, aus vielen Teilen der Erde, verschieden in Sitten und Gebräuchen, leben nach wie vor friedlich miteinander. Das kann ich von anderen Ländern, die ich gesehen oder über die ich mich durch Bücher und Zeugen informiert habe, nicht unbedingt behaupten.

Westlich des Osmanischen Reiches gibt es, trotz wirtschaftlicher, religiöser und sozialer Turbulenzen, eine mehr und mehr erstarkende bürgerliche Schicht, die durch wissenschaftliche und aufklärerische Bewegungen und den davon ausgehenden Reformen in Staat und Gesellschaft sich gegen die Kirche und den Feudalismus behauptet. Wenn auch partiell und von oben nicht unbedingt gewollt, wird die Macht politischer Entscheidungen mehr und mehr auf die Bevölkerung übertragen. Wissenschaft und Technik werden gefördert. So gesehen sind bereits reformierte Staaten den Osmanen zumindestens potenziell überlegen.

Das Osmanische Reich ist seit langem verschuldet. Die Verantwortlichen haben keinen Durchblick mehr. Letztlich heißt das, dass in unserem Osmanischen Reich die Lage immer noch nicht realistisch eingeschätzt wird und nicht die nötigen Maßnahmen getroffen werden.

Korruption, Ämterverkauf, Verschuldung, mehr Verbrauch als Erzeugung von Gütern, unnötige Kriege, Krankheiten, Erdbeben, Analphabetismus, gesetzliche Ungleichbehandlung der jeweiligen Religionsgruppen, Nichttrennung von Staat und Religion, Geschlechtertrennung, konzentrierte Macht des Staates, das alles kann in naher Zukunft schlimme Folgen haben. Wenn das Volk nicht mit Schrift und Wissen auf breiter Ebene vorbereitet wird und dem Volk dann die Macht nicht übertragen wird, sehe ich schwarz.

Die Einnahmen des Staates sind willkürlich und die Ausgaben ebenso ungerecht verteilt. Manch einer wird begünstigt, andere wiederum benachteiligt. Von einem einigermaßen gerechten Staat kann man schon lange nicht mehr reden.

Als Rüstem Pascha, der gleichzeitig Großwesir und Schwiegersohn Sultan Süleymans des Gerechten war, im Jahre 1561 im Amt starb, hatte der ein Gesamtvermögen hinterlassen, das fast dem osmanischen Staatsvermögen entsprach. Er hatte ungeheuer viel unbeweglichen und beweglichen Besitz angehäuft, hatte 1000 landwirtschaftliche Güter in Anatolien und auf dem Balkan, 476 Mühlen, 1100 Kamele, 2900 Pferde, unzählige wertvolle Teppiche, mit Gold und Silber verzierte Waffen und Gold- und Silbermünzen im Überfluss. Sein Barvermögen, das er überwiegend durch Korruption und Ämterverkauf erworben hatte, betrug annähernd zwölf Millionen Goldmünzen. Sultan Süleyman der Gerechte überlebte seinen Schwiegersohn Rüstem Pascha noch fünf Jahre.

Nichtmuslimische männliche Erwachsene Untertanen des Osmanischen Reiches zahlen pro Jahr und Person eine Goldmünze an den Staat. Das macht jährlich etwa eine Million Goldmünzen. Es ist mehr als die Hälfte des jährlichen Staatseinkommens. Die nichtmuslimische Bevölkerung wird vom Staat geschützt und ist somit von den im westlichen Europa jahrzehntelangen blutigen Konfessionskriegen nicht betroffen.

Von Ägypten, Tunesien, Algerien und anderen Enklaven kommen jedes Jahr reichlich Gelder, die oft in dunklen Kanälen verschwinden. Der Oberverwalter Ägyptens sendet jedes Jahr etwa eine Million Goldmünzen nach Istanbul. Wenn aber selbst der Sultan eine von Staatsfinanzen unabhängige Kasse hat, worüber er niemandem Rechenschaft ablegen muss, kann man sich denken, was mit anderen Geldern passiert und was die Obrigkeit sich innerhalb der Hierarchie alles erlaubt.

So sieht es aus in unserem Osmanischen Reich. Was soll da schon ein osmanischer Geschichtsschreiber tun? Ich gehe meiner Arbeit nach und bin von der Situation, die ich beschrieben habe, nicht gerade ermutigt, beschäftige mich mehr als sonst mit meinem Privatleben und versuche mich mehr um meine Angehörigen zu kümmern. Ich besuche Verwandte und Bekannte häufiger und höre mir Erfreuliches und ihren Kummer an und helfe ihnen, wo ich kann. Ich beschäftige mich je nach Jahreszeit mit den fälligen Arbeiten in unserem Garten, in dem alles gut gedeiht. Unser Hausmädchen Sabriye ist eine rundum ausgebildete, praktisch veranlagte Frau geworden und vor fünf Jahren haben wir sie mit einem Zimmermann verheiratet. Sie haben noch keine Kinder, wohnen in unserer Nähe und Sabriye besucht uns sehr oft.

Seit zwei Jahren wohnt Gülhayat bei ihrem Mann im Hause ihrer Schwiegereltern. Meine Frau Nurten Hanim und ich pflegen seit langen Jahren mit der Familie des Astronomen sehr herzliche Beziehungen. Als drei Monate vor Gülhayats Heirat die geliebte Großmutter Bülbül Hanim starb, waren Gülhayat und meine Frau Nurten Hanim sehr bekümmert. Uns allen wird diese liebenswerte Frau in freundlicher Erinnerung bleiben.

Obwohl uns Gülhayat oft mit ihrem Mann Altunbay und manchmal auch mit anderen Angehörigen besucht, ist es doch eine immer währende Trennung. Selbst ihre steinalte, kluge Katze Raziye hat sie mitgenommen.

Meine Tochter Gülhayat schreibt an einem Roman. Im Bericht eines Geschichtsschreibers erstarren die Begebenheiten zu Fakten. Sie bedient sich eines anderen Blickwinkels und kann offener als ich schreiben und Wahrheiten mit einer Prise Phantasie würzen.

Anhand schlimmer Tatsachen, deren Zeuge ich werde oder die ich mit Dokumenten bestätigt bekomme, kann ich als Mensch meine Gefühle nicht immer zügeln. Wären nicht die Gespräche mit meinen Vertrauten und unsere gegenseitige Zuneigung, dann hinge ich nicht so am Leben, denn oft bekomme ich zu hören, dass ich in manchen meiner Schriften eine scharfe Zunge habe.

Kapitel 18

Ich bin Safiye, die Sultanin, die erste Frau Sultan Murads III. Vögel haben mir mitgeteilt, dass in Istanbul eine junge Frau mit dem Namen Gülhayat ein Buch schreibt, in dem unter anderem wichtige Persönlichkeiten sogar selbst zu Wort kommen. Wie man mir erzählte, soll Gülhayat eine wunderschöne, gescheite Frau sein. Schönheit ohne Geist wäre ein leeres Gefäß.

Gott hat bis jetzt Gülhayat vor den Augen unseres Sultans bewahrt, weil er ihr zum Glück nicht begegnete. Sie ist die Adoptivtochter des Geschichtsschreibers Selaniki Mustafa Efendi. Ich denke, Murad weiß schon, wo überall in Istanbul, besser gesagt im ganzen Osmanischen Reich, eine Schönheit steckt. Seiner Mutter, der Sultanin Nurbanu, verdankt er diese Sucht. Sie wollte damit nicht zuletzt die Gunst des Sultans mir gegenüber schwächen. So geht es zu in diesem Palast. Anderes hätte die Sultanin Nurbanu, die ursprünglich selbst auch eine Sklavin war, sich nicht vorstellen können. Sie ist nur 58 Jahre alt geworden.

Ich bin die Tochter des Baffo, des venezianischen Präfekten von Korfu. Mein eigentlicher Vorname ist Cecilia. Im Jahre 1564 wurde ich auf einer Schiffsreise von Korsaren gefangen genommen, die das Schiff gekapert hatten. Damals war ich 16 Jahre alt und wurde als Sklavin verkauft und Murad, dem Sohn von Sultan Selim II., geschenkt. Murad lernte und übte damals in Manisa als Stellvertreter eines Präfekten die Staatsgeschäfte als künftiger Thronfolger.

Ich erhielt meinen Namen Safiye; er bedeutet "die Reine". Ich wurde schnell in die Gegebenheiten meines neuen Lebens integriert und habe dem Sultan nur ein einziges Kind, einen Sohn, geboren. Da der Thron oder das Erbe jedoch durch Geburt mehrerer Jungen gesichert werden muss, haben die Herrscher in solchen Fällen immer auch andere Frauen genommen. Nun, bei unserem Murad sind es mit hunderten Frauen und fast hundert Kindern auch meines Erachtens etwas zu viel.

Den Herrschern oder ihren Angehörigen, die heimlich Herrscherinnen genannt werden, wird vieles angedichtet. Meine Schwiegermutter, Sultanin Nurbanu, war allerdings eine Herrscherin. Ob ich auch eine sein werde, das müssen andere beurteilen. Manche Leute glauben und behaupten, ich sei eine venezianische Spionin, um das Osmanische Reich auszukundschaften und den Sultan in seinen Handlungen zugunsten Venedigs zu beeinflussen. Das ist lächerlich. Die bisherigen Handlungen des osmanischen Staates beweisen das Gegenteil. Die Macht von Venedig ist erst durch die Osmanen in die Schranken gewiesen worden; so gut wie alle Kolonien Venedigs sind in die Hände der Osmanen gefallen, überwiegend in den Zeiten Süleymans des Prächtigen, aber auch teilweise zu Zeiten meines Sultans Murad.

Allerdings sagen die Gelehrten, dass die einseitig gegebenen Handelsprivilegien zu Zeiten Süleymans des Prächtigen an die Franzosen, dann zu Zeiten meines Sultans an die Engländer für die Zukunft des osmanischen Staates kein gutes Zeichen wären. Im Zusammenhang mit den Handelsbeziehungen ließ mir die englische Königin Elisabeth durch ihren Botschafter Barton unzählige wertvolle Geschenke überreichen, die ich hier nicht aufzählen möchte. Sollte ich die Geschenke abweisen? Wäre das nicht eine Beleidigung? Das hätte mich sehr wahrscheinlich zwar nicht den Kopf gekostet, mir aber eine Rüge des Sultans eingehandelt.

Ich hatte als etwa 12-jährige in einem Buch über Philosophie einige Weisheiten des fernöstlichen Weisen Konfuzius gelesen. Er hatte vor zweitausend Jahren gesagt: "Was ich höre, vergesse ich nicht, was ich sehe, bleibt mir im Gedächtnis, was ich tue und erlebe, verstehe ich."

Ich versuche so zu leben, wie der weise Mann aus dem Fernen Osten es gesagt hat. Aber die Umstände verlangen, dass ich mich danach richten muss und dann entstehen Ungereimtheiten mit meinen Ansichten.

Der Lehrer meines Sultans, Hodscha Sadeddin Efendi, ist ein weiser Mann. Er ist nicht nur ein Mensch, der über religiöse Angelegenheiten Bescheid weiß, sondern auch über Philosophie und Kunst. Einmal in einem Zusammenhang hatte er gesagt: "Haben und Sein wird sehr oft verwechselt." Wie Recht er hat, sehe ich im Nachhinein noch klarer.

Die Mächtigen dieser Welt haben viel "gehabt". Manche von ihnen sind auch etwas "geworden". Zu diesen zähle ich den großen, gerechten Sultan Süleyman. Seine hinterlassenen Bauten benennt das Volk mit seinem Namen. Es gab wiederum welche, die "gehabt" haben, jedoch nicht viel geworden sind. Manche, auch wenn sie viel hinterlassen haben, werden mit ihren Hinterlassenschaften namentlich nicht genannt.

Jetzt bin ich einundvierzig Jahre alt. Ich habe für ein Vorhaben Pläne machen lassen. Am Ausgang des Goldenen Horns zu Bosporus und Marmarameer soll eine Moschee und die dazugehörenden Sozialbauten in Nachbarschaft des Fischmarktes entstehen. Solche Baukomplexe werden Külliye genannt. Auch ein bedeckter Basar mit über hundert Läden soll dazugehören. Die Mieteinkünfte der Läden sollen dann die Ausgaben der restlichen Sozialbauten für immer finanzieren. Solche Bauten im Osmanischen Reich werden von neu gegründeten oder bereits vorhandenen Stiftungen geleitet und somit, was Besitz und Leitung betrifft, vor der Willkür des Staates verschont.

Ich wünsche, dass mein Sultan Murad noch lange Jahre lebt. Wenn nicht, dann wünsche ich, dass mein einziges Kind Mehmet ohne Machtkämpfe und Querelen der neue Sultan wird. Wenn nicht, dann muss ich, wie üblich, den Topkapi-Palast verlassen und im alten Palast oder in einem geeigneten Hause wohnen.

Mein Sohn Mehmet hat mir versprochen, dass er keinen seiner Brüder töten lässt, wenn er der neue Sultan wird. Er wird auch dieses unbarmherzige Gesetz abschaffen, sagt er. Das ist auch mein Wunsch. Mehmet hat jetzt schon mehrere Dutzend Halbgeschwister unzähliger Nebenfrauen Sultan Murads, seinem Vater.

Wie es wohl mit meinen Finanzen aussehen wird, wenn ich nicht mehr im Topkapi-Palast sein werde? Wie auch immer, am Ufer, das mich an meine Geburtsstadt Venedig erinnert, wird etwas von meinem "Haben" entstehen. Der gestiftete Baukomplex soll meinen Namen tragen. Ob ich die Fertigstellung dieser Bauten erleben werde? Die Verhältnisse ändern sich so schnell.

Im bedeckten Basar und allgemein in Istanbul kommen im Vergleich zu anderen Großstädten dieser Welt kaum Diebstähle und ähnliche Kriminalität vor. Nun ist aber ein Raub geschehen. Dieses Vorkommnis ist beinahe ein kleiner Weltuntergang, auf jeden Fall kein gutes Zeichen. Es zeigt, dass sich im Osmanischen Reich etwas in eine ungute Richtung bewegt. Es muss wohl das Spiegelbild sonstiger Angelegenheiten im ganzen Lande sein. Die Menschen ändern sich. Selbst mein Sultan, der anfänglich nur Gutes im Kopf hatte, ließ sich von anderen Menschen beeinflussen. Beispielsweise ließ er erst eine Sternwarte bauen und zwei Jahre später ließ er sie beschießen und dem Erdboden gleichmachen. Von vielen Menschen wurde dieser Befehl als sinnlos verurteilt.

Ich wünschte, mehr Menschen würden das Buch "Tadsch üt-Tevarih" lesen. Das Buch unseres Hodscha Sadeddin Efendi ist handgeschrieben und erzählt die Vorkommnisse im Osmanischen Reich seit seiner Gründung im Jahre 1299 bis 1520, bis zum Tode des Sultans Yavuz Selim.

Sultan Yavuz Selim hatte viele Länder erobert und besiegte im Jahre 1517 in Ägypten den letzten Abbasiden-Kalif Mütevekkil. Damit endete der dortige Staat. Den höchsten religiösen Titel für sunnitische Muslime und die damit verbundenen heiligen Reliquien brachte er zum Topkapi-Palast. Von da an wurden die osmanischen Sultane in Erbfolge auch Kalif, um die damit verbundenen religiösen Aufgaben zu leiten und zu verantworten.

Andererseits denke ich, wie sollten denn Menschen ohne Lesekenntnisse das Buch "Tadsch üt-Tevarih" lesen. Die Bücher können erst unter dem Volk Verbreitung finden, wenn sie in Druckereien in tausenden Exemplaren gedruckt und unters Volk gebracht werden und das Volk diese Bücher zu lesen und zu verstehen lernt.

So gesehen sind handgeschriebene Bücher zwar Schmuckstücke wegen ihrer Seltenheit und dienen ihrem Besitzer, wenn sie möglicherweise gelesen und verstanden werden. Aber das Wissen um den Inhalt ist damit nicht verbreitet. Vielleicht würde solche Lektüre manch einen davon abhalten zu rauben oder zu morden.

Ich konnte in kurzer Zeit die osmanische Sprache gut sprechen und schreiben. Allerdings, die Amtssprache und die gehobene Literatur, Dichtung, Reiseberichte, Texte philosophischer Art sind ein Gemisch aus gleichen Anteilen Türkisch, Arabisch und Persisch. Davon ausgenommen sind Märchen und Gedichte von Volksdichtern und Sagen, die überwiegend in reinem Türkisch sind.

Ich musste mir oft die sprachlich schwierigen Bücher und Schriften von sachkundigen, meistens älteren Frauen erläutern lassen, um die Bedeutung gänzlich erfassen zu können. Es ist wie Latein, das das einfache Volk in Venedig ja auch nur ansatzweise, etwa bei kirchlichen Ritualen versteht.

Dieses Osmanisch ist parallel zur Entwicklung und Vergrößerung des Staates ziemlich schnell entstanden. Viele Bücher über Verwaltung und Schriftstücke mussten kurzfristig übersetzt werden. Für viele Übersetzer war die türkische Sprache nicht ihre Muttersprache und somit gingen sie den leichteren Weg und ließen persische und arabische Wörter in ihren Übersetzungen unübersetzt. Was vor allem von vielen Menschen als sehr störend empfunden wird, sind die überlangen Sätze ohne Satzzeichen mit sehr vielen Wiederholungen. Am Ende weiß oft keiner, was gemeint ist.

So wurden Sprache und Volk einander verfremdet. Das Volk sagt hier zu Recht ironisch: "Ist das nicht Osmanisch, improvisier mal!"

Na ja, allzu viel werde ich nicht erzählen. Es gehört sich auch nicht, dass sich eine Exsklavin als jetzige Sultanin in einem ihr fremden Gebiet wie der Sprache etwas zumutet. Die Gebildeten könnten mir das übel nehmen.

Ich wünsche, dass Gülhayat ihren Roman, überhaupt den ersten Roman im Osmanischen Reich, beendet. Ich wünsche mir auch, dass es Druckereien für das Osmanische geben möge und Bücher gedruckt werden dürfen - und noch ein Wunsch, allen Menschen sollten Bücher zugänglich sein und niemand sollte Analphabet bleiben müssen.

Man hat mir die Schönheit von Gülhayat so beschrieben, wie man mich vor zwanzig Jahren beschrieb. Demnach müssen wir einander sehr ähneln. Wir unterscheiden uns in Alter und Stand, oder anders gesagt: Ich "habe", sie "ist".

Kapitel 19

Eine Woche nach dem Raub im innersten Basar des Kapalitscharschi ließen Kapitän Emin und ich, der Vizekapitän Latif, den Anker lichten und nahmen mit unserer Mannschaft Abschied vom Goldenen Horn. Der Raub war immer noch nicht aufgeklärt. Das Volk in Istanbul war sehr beunruhigt.

Wir hatten unsere Fracht in Trabzon am Schwarzen Meer zu löschen. An Bord hatten wir Stoffe aus Bursa und Saloniki, Hanffasern in Ballen für Ünye, Hanfsäcke und Tee aus Indien, Teppiche aus Konya, Kaffee aus dem Jemen und sonstige Ware. In Trabzon sollten wir Hülsenfrüchte, gesalzene Fische und anderes laden.

Ich arbeite nun seit Jahren auf der Schwarzmeerroute, die im Vergleich zum Mittelmeer hundertmal sicherer ist vor Seeräubern. Hier passiert kaum so etwas. Dagegen ist dieses Meer hundertmal weniger sicher, was das Wetter und seine schlimmen Folgen für die Schifffahrt betrifft. So wünsche ich mir jedes Mal, dass nichts, oder wenn, dann wenig passiert.

Ostwärts von Istanbul nach Trabzon fahren die Schiffe überwiegend am Ufer entlang. Diesmal wollte ich wieder einige Bücher zum Lesen mitnehmen. Der Buchhändler im Basar hatte mir ein neues Buch von Cervantes mit dem Titel "Galatea" besorgt. Meine liebe Frau und die Töchter hatten mich mit selbstgebackenem Mandelgebäck, gewürzt mit Rosenwasser und Nelken, versorgt. Ich ließ mich verwöhnen, nahm die Kuchen mit, vergaß aber leider, das Buch von Cervantes einzustecken. Es wurmt mich, dass ich mich nicht auf mein Gedächtnis verlassen kann. Aber auf dem Lande, insbesondere in Istanbul, in dieser Stadt, die jeden Menschen, unabhängig von seinen Stärken und Schwächen, bezaubert, sollte man aufpassen und seine Seele und sein Glück als irdisches Wesen in die Realität zurückrufen.

Ich ersteige die tausend Stufen des Himmels, seit ich in Istanbul bin. Hinter mir weiß ich immer meine lieben Leute: Selaniki Mustafa Efendi, der mich von Anfang an wie seinen Sohn behandelt, seine freundliche Frau Nurten Hanim, ihre Tochter Gülhayat, eine wahre Prinzessin aller Zeiten und Märchen, meine herzensgute Frau Periseda und nicht zuletzt meine munteren Töchter Hale und Lale.

Als der Anker am Goldenen Horn gelichtet wurde, fiel mir der Raub im Basar wieder ein, der alle Menschen auf einen Schlag verunsichert hat. Es seien mehrere Vertrauenskassen geleert worden, war bekannt geworden. Das war in der Tat eine Ungeheuerlichkeit. So etwas war noch nie vorgekommen und Istanbul ist, was die Kriminalität betrifft, verglichen mit westlichen Mittelmeerstädten, die ich kenne, in dieser Hinsicht wesentlich ruhiger.

Außer Sicherheitsleuten und Soldaten darf in Istanbul kein Mensch Waffen tragen; höchstens ein Klappmesser mit blinder Spitze. Wenn jemand erwischt wird mit einer Waffe, wehe ihm, es kann für ihn unter Umständen mit der befristeten Rudererstrafe auf einer Lastgaleere enden. Ob Leute in ihren Häusern überhaupt und in welchem Umfang Waffen besitzen, ist mir allerdings nicht bekannt.

Insgesamt bin ich ein halbes Jahr auf dem Lande, ein halbes Jahr auf dem Wasser. Beides macht mir Spaß. Wie sollte es denn keinen Spaß machen? Hat denn jeder Mensch, der in meiner ursprünglichen Heimat Abessinien oder sonstwo auf dieser Erde versklavt wurde, so viel Glück wie ich? Bereits unterwegs zu den Käufern kommen die transportierten versklavten Menschen scharenweise durch Krankheiten oder Kämpfe oder sinkende Schiffe ums Leben. Ich habe so manches Unglück dieser Leute selbst gesehen und erlebt. Ach, mein Gott... Wie verlassen und wie ausgeliefert die Menschen sind. An das alles muss ich, trotz meines Glückes in meinem bisherigen Leben, oft denken. Ich hatte die letzten Jahre in Istanbul gut überstanden und für mich und meine Familie sogar etwas Geld gespart, um bald ein Haus mit Garten in Süleymaniye oder Umgebung zu kaufen. Mein gespartes Geld, wenn auch nicht allzu viel, lag in einer Vertrauenskasse im Basar. Und jetzt? Ob wohl auch mein Geld dem Raub zum Opfer gefallen ist? Bei der Rückkehr werde ich es schon erfahren. Ich musste alles weitere Gottes Hand und den osmanischen Sicherheitskräften überlassen.

Mit der alltäglichen Arbeit ging unsere Reise ostwärts am Schwarzen Meer weiter. Im ersten Hafen in Samsun nahmen wir eine Ladung nach Trabzon mit. Die Fracht bestand aus Salz, Fellen und Weizen. Dann gerieten wir am Kap Yasun, kurz vor der Stadt Ordu, in einen schrecklichen Sturm. Unsere Besatzung kämpfte einige Stunden lang dagegen. Es war am frühen Nachmittag und weit und breit gab es dort keine geeignete Bucht, wohin wir uns vor dem Sturm in Sicherheit hätten bringen können. Wir hatten den Sturm überstanden, aber der Hauptmast war gebrochen, als wir in der Abenddämmerung vor Ordu Anker warfen. Unsere Fracht hatte, abgesehen von zwei Ballen Hanfsäcken, die etwas Feuchtigkeit bekamen, keine Schäden. In Ordu trockneten wir die Säcke und ließen den gebrochenen Mast reparieren. Ein Teil des Mastes musste erneuert und angesetzt werden. Das dauerte länger als erwartet. Nach einer Woche war es dann so weit. Ohne Zwischenfälle kamen wir drei Tage später in Trabzon an. Dort luden wir die Fracht ab und suchten nach neuer Fracht. In Trabzon waren wir Gast bei den Verwandten unseres Matrosen Halit. Sie bewirteten uns drei Tage lang. Wir aßen verschiedene Gerichte. Viele davon waren mit Hamsi-Fisch. Man mache dort sogar süße Paste aus Hamsi als Aufstrich für Fladenbrot, sagte man mir scherzend. Die jungen Leute fiedelten auf ihren Kniegeigen, sangen witzige Liebeslieder dazu und tanzten temperamentvolle Reihentänze, wobei ihre Silberketten und die daran hängenden Utensilien wie Fische sprangen und zappelten.

Diesmal gab es in Trabzon leider nicht allzu viel Fracht für uns. Nach drei Tagen mit wenig Fracht und Steinen als Ballast fuhren wir westwärts. Wir hatten vor, in Ünye, in der Hafenstadt nach Kap Yasun, die Ballaststeine und die Hanfballen abzuladen und von dort Tontöpfe für Küchen-Backöfen aufzuladen. Tonwaren aller Art, insbesondere die Tontöpfe aus Ünye, sind wegen der roten Farbe des Tons und der Tonqualität sehr begehrt und daher in Istanbul immer gut zu verkaufen. Auch Hanfseil für verschiedene Zwecke in allen Sorten ist von Ünye bekannt.

In Ünye kauften wir Seile. Vor allem aber war der Rotwein Hirtaritsch aus Ünye schon zur Römerzeit begehrt. Selaniki Mustafa Efendi hatte es in einem Gespräch erwähnt. Wenn die Ankunft des Rotweins, aus welchen Gründen auch immer, sich damals in Rom verspätete oder lange Zeit keiner zu bekommen war, jammerten die römischen Dichter, wo denn der Wein aus Oney bliebe, denn so hieß früher diese Stadt. Also kauften wir bei einem Griechen in Ünye fünfzig Fässer Wein, der traditionell im Tal des Walnussbaches gewachsen und gekeltert war.

In Ünye leben auch Armenier, deren Kupferarbeiten, Schreiner- und sonstiges Handwerk besonders geschätzt wird. Wie überall im Osmanischen Reich leben Menschen verschiedener Religionen friedlich miteinander. Die wichtigste Regelung ist, dass sie sich gegenseitig achten. Ein Christ darf beispielsweise, wenn er Alkohol zu sich genommen hat, niemanden belästigen oder schädigen, weil er betrunken ist. Trunkenheit als Ausrede mindert nicht die Strafe, die dafür vorgesehen ist.

Den Wein würden wir an die Händler in Galata oder am Fischmarkt am Goldenen Horn sehr gut verkaufen können. Außerdem gibt es in Ünye sehr schöne Wiegen, die mit bunten Holzperlen und Ringen geschmückt sind. So eine habe ich in einem Laden gekauft, um in Istanbul jemanden damit zu überraschen. Dann wollte ich mir noch einen Herzenswunsch erfüllen. Dieses Mal war die Gelegenheit da. Denn wir mussten zwei Tage auf die Öffnung eines Tonbrennofens warten, da die anderen Werkstätten, insgesamt fünfzehn, alle ihre Vorräte schon verkauft hatten. So hatte ich zwei Tage Zeit, um mir 20 Meilen westlich von Ünye auf den Weiden hinter der Stadt Terme ein Wildpferd auszuwählen und mitzunehmen. Ich bat meinen Kapitän um Erlaubnis, die er mir gewährte, und nahm den Matrosen Halit mit.

Wir fuhren mit einem Zweispänner mit drei anderen Reisenden nach Terme. Dort angekommen, suchten wir nach Salih, einem Wildpferdfänger, den mir namentlich ein Kapitän in Istanbul empfohlen hatte. Salih fanden wir in einem Kaffeehaus. Ich redete mit ihm und beschrieb ihm, dass ich ein oder zwei Hengste mit dem längsten Rumpf, verglichen mit den übrigen Pferden, haben wollte. Er fragte mich, ob ich das Pferd als Zuchtpferd für Rennpferde verwenden wolle. Das wollte ich. Er sagte, meine Beschreibung sei für den Zweck sehr zutreffend. Wir verständigten uns über den Preis. Am gleichen Tag, in der Abenddämmerung, kamen wir in die Nähe der Stelle, wo die Wildpferde, vielmehr seit vielen Generationen verwilderte Pferde ohne Besitzer, weideten und ruhten.

In gehörigem Abstand warteten wir still unter einem Baum. Salih bat uns, uns flach auf den Boden zu legen und still zu sein. Er suchte mit seinen aufmerksamen Augen nach geeigneten Pferden. Ein Pferd wäre für ihn kein Problem, hatte er gesagt. Aber nach dem ersten Pferd gleich noch eines zu fangen gelinge nicht immer. Unter Umständen müsste man dann nach dem ersten Fang so lange warten, bis sich die Pferde wieder beruhigen.

Er schlich wie ein Schatten zu einem etwas abseits liegenden Pferd, auf das die Beschreibung passte, und warf seine Schlinge. Das überraschte Pferd wehrte sich. Salih schaute, soweit ich in der Abenddämmerung sehen konnte, ins Gesicht des Pferdes. Zu unserem großen Staunen wurde das Tier, anfänglich zögernd, dann immer ruhiger. Das war wie Hexerei. Er hatte aber zuvor gesagt, dass er nicht jedes Pferd sofort beruhigen könne, ein Pferdefänger müsse das bereits vorher spüren. Auch die Erfahrung sei wichtig.

Für das zweite Pferd waren die Bedingungen nicht günstig. So gaben wir uns mit einem Hengst zufrieden. Salih hatte den Hengst mit einer beruhigenden Kräutermischung gefüttert, das Zaumzeug angelegt und übergab mir die Zügel. Er bat uns, für das Tier eine bestimmte Mischung in einem bestimmten Laden für Futtermittel zu kaufen und außerdem ausreichend Futter für die Reise. Wir verabschiedeten uns von Salih und kauften für unterwegs von der trockenen Kräutermischung, die das Pferd beruhigen sollte. Unterwegs nach Ünye konnte das Pferd auf freien Flächen fressen. Für die Reise selbst würden wir Futter und Streu in Ünye kaufen. Für die Fellpflege würde ich außerdem eine Bürste und für Mähne und Schwanz einen groben Kamm kaufen. Mindestens drei Tage lang sollte der Hengst nicht geritten werden, erst danach werde das Tier bereit sein, sich reiten zu lassen. Bis dahin habe sich das Pferd dann an seine neue Umgebung gewöhnt und an diejenigen, die mit ihm umgehen. Ich gab dem Hengst den Namen "Ala", denn sein Fell hatte eine hellkastanienbraune Farbe. Wir begaben uns also zu Fuß auf den Weg nach Ünye. Nachdem wir den ersten der drei Flüsse, die zwischen Ünye und Terme ins Meer münden, erreicht hatten, wurden wir in der Nähe der breiten, ruhig fließenden Militsch von einer Bande überfallen, die uns das restliche Geld abnahm. Es .waren etwa ein Dutzend Leute. Das Geld, das sie uns abnahmen, war nicht der Rede wert. Das Pferd nahmen sie uns nicht ab, weil sie sahen, dass das eingefangene Tier von den frei grasenden Pferden ohne Besitzer war. Damit wollte sich die Bande nicht herumplagen oder sie hatten genug Pferde in ihrem Versteck. Möglicherweise haben sie aber auch gedacht, einem dunkelhäutigen Menschen aus den Wüsten ferner Länder alles abzunehmen würde ihnen Unglück bringen, wer weiß?

Überall auf dem Lande wurden diese Banden zahlreicher. Ursprünglich waren das Leute, die durch Steuer- oder Beamtenrepressalien, durch Arbeitslosigkeit, Ernteausfall und aus sonstigen Gründen ihre Umgebung verlassen hatten, sich Banden anschlossen oder selbst Banden gründeten. Wir waren froh, dass unsere Begegnung mit der Bande glimpflich überstanden war. Die Landwege waren unsicherer geworden. Dagegen war der Seeweg, insbesondere auf dem Schwarzen Meer, viel sicherer.

Wir erreichten Ünye zu Fuß und sorgten für die Verladung der Tonwaren. Schon sechs Stunden nach unserer Ankunft konnten wir den Anker lichten und in Richtung Istanbul fahren. Ich kümmerte mich bei jeder Gelegenheit um Ala, gab dem Hengst genügend zu fressen und zu trinken und striegelte das Tier, sprach zu ihm in meiner abessinischen Muttersprache, außerdem in Spanisch und Türkisch. Mein Gemurmel schien der Hengst zu mögen, er spitzte die Ohren, was mich freute.

Ohne besondere Vorkommnisse kamen wir zu den Gewässern von Kefken, etwa vierzig Meilen östlich des Bosporus. Der Hengst wurde unruhig. Das Wetter schlug um, ein Sturm brach los. Wir kämpften gegen riesige Wellen. Doch alle Mühe war vergebens. Unser Schiff strandete.

Kapitel 20

Ich bin Periseda, die Frau des Vizekapitäns Latif, der immer noch nicht zurück ist von seiner Handelsfahrt zum Schwarzen Meer. Allmählich mache ich mir Sorgen, obwohl die Frau eines Kapitäns gewöhnt ist, dass es mit der Schifffahrt nicht immer so klappt, wie es sich die Schiffsbesatzung und ihre Angehörigen wünschen. Geduld haben und ruhig Blut bewahren sind wichtige Eigenschaften, die nicht jedem Menschen gegeben sind. Ich versuche es, bin aber froh, dass ich meine Zwillinge und so gute Nachbarn und Bekannte habe, die Familie Selaniki Mustafa Efendi und Gülhayat und ihre Familie. Mit all diesen Leuten kann ich meine Freude und meine Sorgen teilen.

Gülhayat ist jetzt seit zwei Jahren verheiratet und wohnt mit ihrem Mann bei ihren Schwiegereltern, aber sie besucht manchmal allein, manchmal mit ihrer Schwägerin und den Schwiegereltern oder mit ihrem Mann ihre Bekannten oder Mutter Nurten Hanim und Vater Mustafa Efendi, die mir auch sehr ans Herz gewachsen sind, denn ich lebe ja hier im Gartenhaus. Gülhayat kommt zu uns. Wir sehen einander häufig, denn ich besuche sie auch. Ihre Großmutter Bülbül Hanim war schon längere Zeit vor Gülhayats Heirat nicht mehr gut zu Fuß. Sie benutzte einen Stock und wir merkten alle, dass ihr das Gehen immer schwerer fiel. Meistens blieb sie zu Hause. Als sie drei Monate vor der Heirat sehr plötzlich erkrankte, schickten wir nach Aron, dem jungen Arzt. Aber der konnte auch nichts mehr machen, sie hatte einen Schlag erlitten und starb, noch ehe er eintraf. Wir waren alle betrübt und weinten. Es war eine so freundliche, fromme Frau und ein aufgeschlossener Mensch gewesen. Jeder hatte sie gern gehabt. Nurten Hanim schickte Nachricht an alle, die sie in den letzten Jahren gekannt hatte, und bestellte zwei Leichenwäscherinnen und den Sarg. Die Frauen kamen und der zarte Leichnam der alten Frau wurde gewaschen. Er war bleich, fast durchschimmernd wie Alabaster und makellos. Am Rücken waren Leichenflecken. Gülhayat und ich kleideten die Verstorbene in das Totenhemd, welches sie lange vorher selbst aus weißer Seide für sich genäht und mit feinen durchgezogenen Bändchen geschmückt hatte. Wir kämmten ihr das mit Henna goldrot gefärbte Haar, banden das Kinn mit einem den Kopf umhüllenden Musselintuch und bedeckten die Stirn zur Hälfte mit der Spitzenkante. Die Leichenwäscherinnen breiteten das Leichentuch im Sarge aus und betteten den Kopf des Leichnams auf ein Heukissen, das mit Seide unterlegtem Spitzenbezug bezogen war. Bis zur Hälfte wurde die Tote mit dem Leichentuch bedeckt, auf dem ihre zarten Hände lagen. Dann wurde der Leichnam aufgebahrt und das Räucherwerk entzündet. Die Türen wurden geöffnet und Nachbarinnen und Bekannte kamen um zu kondolieren. Die Totenklage wurde angestimmt. Nurten Hanim hatte eine liebe Freundin verloren und Gülhayat küsste die zerbrechlichen, erkalteten steifen Hände, die ein Leben lang so zärtlich und hilfreich gewesen waren. Der Leichnam wurde nun ganz in das Leichentuch eingeschlagen und der Sarg mit einem grünen Tuch verhüllt. Die Träger hoben den Sarg auf die Schultern, schafften ihn aus dem Hause und trugen ihn bis zur Süleymaniye-Moschee. Im Hof wurde er auf dem Trauerstein abgesetzt. Der Geistliche und die wenigen Männer, die diesem Trauerzug gefolgt waren, standen in einem Halbkreis und beteten das Totengebet. Die Trauergemeinde verlor sich zu Füßen des mächtigen Bauwerks. Dann wurde die Leiche von Männern zu Grabe gebracht und bestattet. An Bedürftige wurden Münzen verteilt. Nach vierzig Tagen ließ Nurten Hanim in der Süleymaniye-Moschee zum Gedenken an die Verstorbene den Mevlit rezitieren.

Gülhayat unterrichtet wieder wie früher vor der Hochzeit. Sie gibt Mädchen, die nicht weiter zur Schule gehen können, weil ihnen die Möglichkeit verwehrt ist, ihr eigenes Wissen weiter und bildet sich selbst fort in anderen Sprachen. Sie besucht die Bibliotheken, in denen sie als Tochter des Selaniki Mustafa Efendi bekannt ist und forscht in den handgeschriebenen Büchern und in den gedruckten Büchern anderer Sprachen, die in den Bibliotheken zu finden sind.

Jetzt, nach diesem Raub im Basar, schreibt sie selbst an einem Buch, denn sie möchte den ersten osmanischen Roman schreiben. Wir sprechen viel miteinander. Gülhayat kann gut zuhören und gut erzählen. Ihr habe ich erzählt, was ich erlebt habe, ehe ich Latifs Frau wurde. Ich erinnere mich, dass im Kaukasus die Leute gegen Pocken mit Hilfe von Blutegeln geimpft wurden. Ich selbst bin auch so geimpft worden. So konnte man die Impfung leichter durchführen, weil die Tiere einfach zu transportieren waren. Durch Sklaven und Sklavinnen aus dem Kaukasus fand in Istanbul bei osmanischen Ärzten diese Behandlung Verbreitung. Von Latif habe ich gehört, dass Seeleute aus Westeuropa berichten, dass diese Methode inzwischen auch in westlichen Ländern angewendet wird.

Im Kaukasus wurden über hundert Sprachen gesprochen. Neben friedlichem Miteinanderleben gab es auch oft blutige Streitigkeiten, welche die Menschen zwangen, dieses wunderschöne Berggebiet zu verlassen und sich anderswo, insbesondere im Osmanischen Reich, anzusiedeln.

Im Kaukasus gab es auch Sklavenmärkte, wo junge Frauen und Männer verkauft wurden. Ich wurde aber nicht im Kaukasus als Sklavin verkauft. Ich kam mit meiner Mutter von Batum nach Istanbul, weil mein Vater bei kriegerischen Auseinandersetzungen sein Leben verloren hatte. Wir hatten alle unsere Ersparnisse für die Seereise bezahlt und kaum noch Geld. Ich war zwölf Jahre alt und wir wussten nicht, wo und wie wir in Istanbul leben sollten. Auf dem Schiff gab es einen Palastangehörigen, der dort in Batum einige Mädchen gekauft hatte. Sie sollten im Harem Musikinstrumente lernen und die Sultanin und ihre Gäste unterhalten.

Als ich mich mit meiner Mutter auf dem Oberdeck unterhielt, hörte mich dieser Palastbeamte sprechen und war von meiner Sprechstimme angetan. Er fragte mich, wie ich heiße, und Sedef, meine Mutter, stellte sich ihm auch vor. Er fragte, wohin wir reisen, und so kamen wir ins Gespräch. Wir beide erzählten, einander ergänzend, unsere kurze Geschichte. Meiner Mutter gefiel es, dass ein vornehmer Mann sich für mich interessierte. Der Mann fragte meine Mutter, ob sie damit einverstanden sei, wenn ich zum Palast käme und dort ein Musikinstrument spielen und singen lernen würde. Er würde sich auch um meine Mutter kümmern, eventuell würde er auch für sie eine Arbeit an einem der Kaffeeherde im Harem oder anderweitig finden, sagte er. Meine Mutter willigte nach kurzer Überlegung ein.

So kamen wir zum Topkapi-Palast. Ich erhielt eine Musikausbildung im Harem und meine Mutter wurde einem Kaffeeherd im Harem zugeteilt. Wir waren froh, dass uns unser Schicksal vor schlimmen Begegnungen verschont hatte. Ich wurde gut aufgenommen und die Frauen lobten meine Stimme und meine blonden Haare und nannten mich bei jeder Gelegenheit "schönes Mädchen". Ich nahm dieses Lob mit Würde und ließ mich in meiner Haltung nicht beirren, denn schließlich waren dort alle Mädchen ausgesuchte Schönheiten.

Meine Mutter war mit ihrer Arbeit zufrieden. Sie hatte im Harem erlebt, dass nicht nur ich, sondern alle Mädchen dort etwas Sinnvolles lernten, Webarbeiten, Stickereien mit farbiger Seide, mit Gold- und Silberfäden und mit Perlen, Kleidung anfertigen, Bordüren häkeln und knüpfen und Spitzenklöppeln. Nach einem Jahr wurde sie an einen verwitweten Kaufmann in Tahtakale als Ehefrau vermittelt. Der Mann war etwas älter als sie; von seinen zwei erwachsenen Söhnen war einer in Kairo und der andere in Budapest Staatsbeamter. Meine Mutter wurde die Ehefrau des Kaufmannes, der Großhändler für gesponnene Seide ist, und lebt seither bei ihm. Sie kommt mit ihm und seinen Verwandten und Bekannten gut zurecht, denn sie hatte in einem Jahr im Palast gut osmanisches Türkisch gelernt.

Auch ich hatte schnell gelernt und die Sitten und Gebräuche kamen mir nicht allzu fremd vor. Beide Sultaninnen, Nurbanu und Safiye, behandelten uns Mädchen gut. Insbesondere aber liebten beide die Musikerinnen. Ich lernte das Lautenspiel und viele Lieder und Tänze. Nurbanu ist die Schwiegermutter der Sultanin Safiye, die eine wunderschöne Frau ist. Groß, blond, und wenn sie lief, schritt sie wie eine Fee, mit Schwung und Grazie. Wir alle liebten sie.
Wenn Frauen zwanzig Jahre oder älter wurden und schon fünf oder mehr Jahre im Palastdienst waren, fragte eine der Sultaninnen, ob sie glücklich verheiratet werden wollten. Sie waren über alles gut informiert und wussten auch auf diesem Gebiet viel und vermittelten durch ihre Beziehungen glückliche Ehen für die Frauen außerhalb des Palastes, damit sie aus dem Dienst in gesicherte Verhältnisse entlassen werden konnten.

Ich habe im Topkapi-Palast mit den Mädchen und Frauen nicht unglücklich gelebt. Alles, was wir draußen niemals gelernt, gesehen und gehabt hätten, haben wir dort gelernt, gesehen und bekommen.

Es gab im Topkapi-Palast alles, sogar einen Teich, auf dem wir mit kleinen Booten rudern konnten. Wir wurden auch in Begleitung von weißen oder schwarzen Eunuchen in Istanbul zum Einkauf oder zu bestimmten Anlässen, an Feiertagen oder Kandil-Festen mit den Ruder-Kayiks auf dem Goldenen Horn, dem Bosporus und dem Marmarameer spazieren gefahren. Wir fuhren auch zu schönen Wiesen im Grünen und musizierten dort. Wir durften sogar den Reitern bei ihren Kriegsspielen, bei Manövern zuschauen, die in der Nähe auf dem At Meydani vor der Ayasofya-Moschee stattfanden.

Meine Mutter lebt also seit vielen Jahren in einem guten Hause frei und glücklich und verkehrt mit den Bekannten und Verwandten ihres Mannes Mahir Efendi, der übrigens ein sehr netter Mensch ist und dazu ein geschickter Organisator. Ich hatte beide all die Jahre oft in Begleitung einer älteren Frau des Harems besucht.

Meine Mutter Sedef hatte ihn dazu ermuntert, mit ihr gemeinsam Waren aus Seide und anderen Fäden herzustellen, und hatte ihm ihre Vorstellung von Webrahmen für Bändchen beschrieben, die dann für verschiedene Zwecke Verwendung finden konnten. Mahir Efendi hat solche Rahmen bauen lassen und meine Mutter hat die ersten Bänder, Litzen und Bordüren entworfen und gewebt. Diese Muster hat Mahir Efendi dann in seinem Laden im Basar ausgestellt und jeder, der davon wollte, konnte eine Bestellung aufgeben. Eine der neuen Bestellungen war umfassend und meine Mutter hatte sie nicht rechtzeitig fertig und bat deshalb ihren Mann, er möge von den Kundinnen erfahren, wo sie wohnen, wenn sie die Ware abholen kämen, diese ihnen aber leider noch nicht ausgehändigt werden konnte. So würde meine Mutter Sedef selbst die Bestellung ins Haus bringen können und die Kundinnen sicher damit sehr zufrieden sein.

Es war ein glücklicher Zufall, denn diese Kundinnen waren die Großmutter Bülbül Hanim und Nurten Hanim. Als meine Mutter Sedef schließlich die bestellte Ware ins Haus brachte, war das nicht nur ein Tausch von Ware gegen Geld. Es wurde ein richtiges Kennenlernen und daraus hat sich eine gute Freundschaft über die Jahre entwickelt. Ja, sogar geschäftliche Beziehungen sind daraus geworden, denn Bülbül Hanim war sehr angetan von der Idee, neuen Zierrat für Bekleidung und Wäsche zu schaffen, und schließlich haben Mahir, Bülbül und Sedef, die drei findigen Leute, sich zusammengetan, eine ordentliche Herstellung finanziert und die nötigen Heimarbeiterinnen gefunden.

Meine Mutter liebt mich von Herzen und hat sich immer gewünscht, dass ich heirate und glücklich werde, und hat die Augen offen gehalten nach einem für mich geeigneten Ehemann, und als sie den für mich geeigneten Ehemann meinte gefunden zu haben, hat sie dafür gesorgt, dass ich ihn mir ansehen konnte.

Dunkelhäutig, schlank und wohlgestaltet erschien Latif in Begleitung eines Palastbeamten im tiefer gelegenen Garten des Harems, als dort keine Mädchen waren. Nur die Gärtner arbeiteten dort. Da konnte ich unbemerkt hinter dem Sichtschutz des Haremsfensters von oben ein Auge auf meinen zukünftigen Ehemann werfen. Er gefiel mir vom ersten Augenblick an und ganz fremd war er mir nicht. Ich erinnerte mich, ihm einmal anlässlich eines Besuches mit meiner Mutter und der Begleiterin aus dem Harem im Garten des Hauses von Nurten Hanim, der Mutter von Gülhayat, begegnet zu sein. Das muss das Bändchenfest gewesen sein.

So wurde ich, als ich dreiundzwanzig Jahre alt war, von der Sultanin Safiye gefragt, ob ich verheiratet werden möchte, obwohl, wie sie sagte, ihr in meinem Falle die Trennung von einem lieben Menschen und einer guten Musikantin Leid täte. Etwas verlegen antwortete ich, aber zustimmend, und deshalb wurde ich mit guter Aussteuer und ausreichend Geld Vizekapitän Latifs Frau.

Mein Einverständnis mit einer Hochzeit war das Signal zum Beginn der Formalitäten und Vorbereitungen für eine bescheidene Hochzeit. In dem kleinen Haus im Garten des Selaniki Mustafa Efendi, Gülhayats Vater, kam ich mit Latif zusammen und wir gewöhnten uns aneinander. Latif und ich reisten mit einem Transportsegler eine Woche nach der Hochzeit bis nach Mudanya und von dort durch die schöne Landschaft mit einem Pferdewagen nach Bursa. Dort wohnten wir in einem der vielen Thermalbäder im Stadtteil Tschekirge. Das Zirpen der Grillen war eine großartige Begrüßung, mit der wir gar nicht gerechnet hatten. Wir blieben zehn Tage dort. Ach, war das schön!

Diese Stadt Bursa ist anders als Istanbul: kein Bosporus, kein Marmarameer und kein Goldenes Horn, jedoch voller Moscheen und Sozialbauten, Schulen, Medressen, Karawanenherbergen und Häuser, in denen Kranke gesunden und in denen mit Musik behandelt wird. Wir stiegen auf den Berg Uludag und genossen die Aussicht. Wir machten Reitausflüge und aßen Früchte aus den umliegenden Ländereien von Bursa. Wir genossen Bäder und Bett in Bursa und kehrten überglücklich wieder nach Istanbul zurück.

Vom ersten Tag an, haben wir uns geliebt und miteinander leben gelernt und als Dank dieser Welt gleich zwei hübsche Töchter, Hale und Lale, geschenkt, die nun mit mir sehnsüchtig auf ihren Vater Latif warten. Sicher macht er sich Sorgen, ob bei dem Raub im Basar etwa auch unsere Ersparnisse verloren gingen, denn als er abreiste, hatte sich das gerade erst ereignet und die Suche nach den Schuldigen und dem geraubten Inhalt der Vertrauenskassen hatte erst begonnen.

* * *
Kapitel 21

Ich bin Sedef und habe damals mit langem Faden die Ehe für meine Tochter Periseda eingefädelt. Das kam so. Ich hatte einen umfangreichen Auftrag für Borden, Litzen und Bändchen aus Seide zu liefern, war aber nicht rechtzeitig fertig geworden, weil die Technik damals noch Tücken hatte. Mahir und ich hatten die Herstellung erst neu begonnen und wir hatten die Frist für die Bereitstellung im Laden zu knapp eingeschätzt. Mahir hat glücklicherweise die Kundinnen freundlich bedient und ihnen angeboten, ich könne die Bestellung auch selbst zu ihnen nach Hause liefern, dann brauchten sie sich nicht noch einmal zum Laden zu bemühen.

Als ich die bestellten Sachen fertig hatte, schön vermessen und gewickelt mit der dazugehörigen Liste und dem vorbereiteten Beleg im Einschlagtuch, machte ich mich auf zum Hause von Selaniki Mustafa Efendis Frau Nurten Hanim und richtete mich nach der Wegbeschreibung, die Mahir mir gegeben hatte. Ich wurde dort freundlich empfangen und ins Haus gebeten. Bei Nurten Hanim wohnte Bülbül Hanim. Diese beiden hatten also die Sachen bestellt, die ich nun ausbreitete und für die ich mein Geld wie vereinbart erhielt. Wir kamen dabei ins Erzählen und es stellte sich heraus, dass Bülbül mit ihrer Mutter und ihrem Vater vor langer Zeit aus dem Kaukasus nach Istanbul gekommen waren, dass aber ihre Eltern und ihr Mann bereits seit langem gestorben waren und sie eine Zeit lang mit ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter anderswo gelebt hatte. Ich war ja auch mit meiner Tochter aus dem Kaukasus nach Istanbul gekommen, weil mein erster Mann gestorben war und ich mit einer Tochter irgendetwas Neues machen musste, weil uns die Verhältnisse dazu gezwungen hatten. Ich erzählte von meiner Tochter, die im Topkapi-Palast als Musikantin ausgebildet wurde, und von meiner vorübergehenden Tätigkeit als Kaffeebereiterin an einem der Kaffeeherde im Harem und dass ich dann an meinen lieben Mahir vermittelt worden und mit ihm sehr glücklich sei. Wir ergänzen uns, er mit seinem Großhandel in Seidengebinden und ich mit den neuen Vorschlägen für die Bändchen- und Bordürenherstellung, auf die ich durch die Mädchen im Harem gekommen war, die dort ausgebildet werden. Bülbül Hanim war nicht nur wegen der Qualität der gelieferten Seidenbändchen und der Bordüren sehr zufrieden, sondern hatte auch noch weitere neue Pläne im Kopf, die sie sich gründlich überlegen und mir demnächst unterbreiten wollte. Deshalb lud ich Nurten Hanim und Bülbül Hanim als meine Gäste zu mir ein. Sie würden mich eine Woche später nachmittags zum Tee besuchen kommen.

Ich hatte alle meine Angehörigen in Bewegung gesetzt, nicht dass es sonst etwa bei uns schmutzig gewesen wäre, aber im Hause wurde alles blank poliert und hübsch hergerichtet. Für den vereinbarten Nachmittag hatte ich importierten schwarzen Tee kaufen lassen, mit unserem Hausmädchen Mandelhörnchen und Mürbeteigpastetchen gebacken, Trockenpflaumen und Rosinen mit Haselnusskernen in Silberschalen und mein bestes Teeservice mitsamt meinen schönsten Silberlöffelchen bereit gestellt. Wir empfingen meine Gäste, und während wir bei duftendem süßem schwarzem Tee plauderten, freute ich mich, dass meinen Gästen alles gut mundete, was ich vorbereitet hatte. Unsere weiße Katze streifte umher und Bülbül Hanim nahm sie auf den Arm und streichelte Ipek und kam zu mir in die Küche, in der ich gerade neuen Tee in die Gläser goss. Der Samowar summte. Bülbül Hanim lobte mein Gebäck. Sie sagte, sie habe sich inzwischen Gedanken gemacht und sei zu folgendem Ergebnis gekommen: Durch eine Hinterlassenschaft einer weit entfernten Verwandten, die in Istanbul gestorben sei, und durch einige Ersparnisse könne sie etwas Geld investieren. Sie denke daran, die Herstellung von Knöpfen, Gürtelschließen, Gürteln, Litzen und Bändchen für Kleidung und andere Zwecke zu entwerfen und würde sich gern an der Herstellung beteiligen. Da ich ja bereits mit der Herstellung von Borden, Litzen und Bändchen begonnen hatte, wollte sie wissen, ob es mir wohl möglich sei, mit ihr gemeinsam dieses Werk auf die Beine zu stellen, und was ich davon halte. Das war genau, was auch ich wollte, und so ergab es sich, dass wir uns danach häufig sahen.

Ich freundete mich mit Nurten und Bülbül an und so erfuhr ich bald auch alles über Latif und seine Vorzüge. Wenn ich einen Menschen für meine Tochter gefunden hatte, der charakterlich und menschlich zu ihr paßte, dann war er es. Ich behielt ihn im Auge.

Wir wackeren Frauen verbreiterten tatsächlich das Angebot und schufen eine ganze Liste von Waren, welche wir in Heimarbeit bei verschiedenen Mädchen und Frauen, die wir kannten, in Auftrag gaben. Die erforderlichen Webrahmen und Gestelle, das Material sowie die Anleitungen für alle Erzeugnisse stammten von uns und die anderen arbeiteten genau nach Maß und erhielten festen Lohn. Mit der Zeit erweiterten wir die Musterliste und ließen bei den Werkstätten, die sonst Löffel oder Kämme herstellten, nun Knöpfe machen und bei den Silberschmieden geschmückte und schlichte Schnallen und Schließen.

Nachdem wir uns zusammengetan hatten und die erste Bändchenherstellung aus Seide in drei verschiedenen Breiten reichlich Erfolg brachte, feierten wir ein Bändchenfest, welches Bülbül Hanim ausrichtete und das wir selbst erfunden hatten. Nurten Hanims Haus ist so geräumig. Sie und Bülbül Hanim luden ihre Bekannten und Freundinnen mit ihren Töchtern ein. Ich sorgte dafür, dass auch Periseda mit uns feiern konnte. Anlässlich dieses Festes hat meine Tochter Periseda das erste Mal den hübschen Latif gesehen, der da im Garten zu tun hatte, aber nicht mit uns feiern konnte, weil das Bändchenfest nur für uns Frauen war. Es war ein wunderbares Fest. Bülbül Hanim hatte überall lange Bändchen ausgerollt und aufgehängt, wir sangen und musizierten und sogar wir älteren Frauen waren übermütig und tanzten mit wiegenden Schultern und bebenden Brüsten, neckten einander und wurden mit so manchem Türkü auf den Arm genommen, indem unsere Namen in den Liedtext hineingelegt wurden. Da jubilierten dann die Nachtigallen, denn unsere Bülbül war ja eine Nachtigall und so ging es heiter zu bis zum Abend. Die Bewirtung war köstlich und abends war alles bis auf den letzten Pastetenzipfel aufgegessen.

Kapitel 22

Im Frühjahr 1591 wurde ich, Köchin Hildegard des Hauses der Deutschen Gesandtschaft, Zeugin einer merkwürdigen Begegnung. Es waren Bayram-Feierlichkeiten. Kinder, Frauen, Männer aller Altersgruppen kamen zu solchen Feierlichkeiten auf den Platz vor dem Nemtschi Han, unserer Kaiserlich Deutschen Gesandtschaft. Zu solchen Festen werden immer Karussells aufgebaut. Artisten, Gaukler und Zauberer zeigen ihre Künste. Es gibt Leckereien wie türkischen Honig, Nüsse, Obst und vieles mehr. Festivitäten zum Ramadan dauern drei Tage und zum Opferfest vier Tage. Auch die Kandil-Feste und in der dritten Märzwoche die Nervuz-Feste, wenn auch in geringerem Umfang, werden dort gefeiert.

Mir macht es immer Spaß, diese Feste vom Fenster der Gesandtschaft aus zu beobachten. Wenn ich etwas kaufen oder etwas näher beobachten will, wenn es ein Karussell oder eine Schaukel gibt, gehe ich, mal allein, mal mit anderen, nach unten. Diesmal war ein Zelt, wie schon einige Male in den Jahren vorher aufgebaut, in dem eine Riesenschlange mit dem Kopf einer Frau gezeigt wurde. Geschöpfe mit Frauenkopf und Schlangenkörper heißen Schahmeran. Meistens gehörten diese Frauenköpfe zu blonden oder rotblonden Sklavinnen mit langen welligen oder lockigen Haaren.

Ich hatte gehört, dass so manche Schahmeran an interessierte Käufer am Ende des Festes für teures Geld verkauft worden sein soll. Es soll auch schon Fälle gegeben haben, dass der Verkauf ein Scheinverkauf war, die Schahmeran bald ihrem neuen Herrn oder ihrer Herrin weglief und mit Hilfe eines der Schausteller zu ihrer Schaustellertruppe zur Ortschaft oder Stadt gelangte, wo ihr Zelt demnächst aufgestellt werden sollte. Das Osmanische Reich ist groß genug für solches Verschwinden ...

Ich ging ins Zelt, um mir diese hoffentlich noch nicht bekannte Schahmeran anzuschauen. Tatsächlich hatte ich sie noch nie gesehen. Sie war eine hübsche rotblonde Schahmeran mit vielen Sommersprossen. Wie die sonstigen Schahmerans, war auch sie wie erstarrt und nahm keine Notiz davon, was in ihrer Umgebung passierte.

Könnte denn diese Schahmeran Sanya sein, die Schwester von Ursulas Verlobtem Yusuf? Nach Yusufs Beschreibung müsste Sanya etwa so alt sein und wohl so aussehen wie diese Schahmeran. Ich sah mir die Schahmeran lange und sehr genau an, rief leise Sanyas Namen, bemerkte jedoch keine Reaktion und wusste nicht, was zu machen wäre. Eine Anzeige bei den Sicherheitsbeamten ohne Yusuf hätte überhaupt nichts gebracht. Darüber hinaus besaßen eventuell ihre Halter reichlich gefälschte Unterlagen über die Personalität ihrer Schahmeran und unter Umständen musste selbst die Schahmeran ihre Personalität mit oder ohne Absicht, freiwillig oder unter Druck verleugnen.

Ursula war seit zwei Monaten wegen der Entbindung der Ehefrau eines Gesandtschaftssekretärs als ihre Begleiterin in München. Nach dem Raub im Bazar, als die Läden wieder zugänglich waren und ich einkaufen ging, hatte ich Yusuf nicht mehr im Laden gesehen. Er war wohl auf Einkaufsreise nach Bagdad.

Es kursierten allerhand Gerüchte wegen des Raubes. Noch immer nicht war eindeutig und offiziell herausgekommen, wer gestohlen hatte. Einmal hieß es, es sei ein junger Mann, Helfer in einem Teppichladen, ein andermal hieß es, es sei ein Medresseschüler, der in einem Gewürzladen als Aushilfe arbeitete, dann hieß es gar, es sei ein aus der Janitscharentruppe wegen Diebstahls entlassener Soldat, der sich fünfzehn Tage lang in einem ungenutzten Sattlerladen mit seinem Diebesgut eingeschlossen hätte, weil er den Basar nicht verlassen konnte. Was mir Sorgen machte, war das Gerücht, der Dieb sei ein in einem der Parfumläden beschäftigter junger Mann.

Einmal habe ich gewagt, im Parfumladen nach Yusuf zu fragen. Auf meine Frage, wo Yusuf sei und wie es ihm gehe, sagte der ziemlich wortkarge Gehilfe nur "unterwegs". Ich wagte auch nicht, noch mehr zu fragen.

"Unterwegs"... Wahrscheinlich hatte der Parfümeur Ferhat Efendi seine Gehilfen angewiesen, keine Gespräche außer Verkaufsgesprächen zu führen, wie alle anderen Geschäftsleute im Basar es vorzogen, Kunden gegenüber keine Gerüchte zu verbreiten, bis der Fall total abgeschlossen ist. Der Fall war anscheinend noch nicht abgeschlossen. Angekommen in meinem Zimmer, wünschte ich mir, dass Ursula und Yusuf, die Verliebten, die wortwörtlich "unterwegs" sind, lieber nach Istanbul unterwegs sind und wir bald ihre Hochzeit feiern.

Vielleicht weiß Gülhayat etwas mehr? Immerhin ist ihr Vater ein osmanischer Geschichtsschreiber, der viel weiß. Oder Periseda, die Frau von Kapitän Latif, die im Gartenhaus bei Gülhayats Eltern wohnt? Yusuf und Ursula waren dort zu Festen manchmal zu Besuch gewesen. Ich nahm mir vor, Gülhayat in Fatih zu besuchen. Vielleicht könnte ich bei ihr mehr erfahren.

Kapitel 23

Ich bin Ibrahim, der deutschstämmige Exmatrose, der jetzt Türke ist und in Galata eine Herberge leitet. Also, Latif hat schon, wenn auch nicht allzu viel, über mich erzählt, nämlich dass auch ich auf dem Handelsschiff von Alvarez arbeitete und letztlich gefangen genommen und auf dem Istanbuler Sklavenmarkt verkauft wurde. Ich bin seit mehreren Jahren hier in Galata, habe eine gute Arbeit und bin glücklich verheiratet mit einer Griechin. Wir haben drei Kinder. Ich bin dem osmanischen Staat gegenüber die Verpflichtung eingegangen, Auffälligkeiten, welche die Sicherheits- und Geheimdienste interessieren, zu melden. Um Bericht zu erstatten, fahre ich immer mit einem Kayik auf die andere Seite des Goldenen Horns.

Einmal, als ich mit einem Kayik übersetzte, begegnete ich Latif. Auf einem der vielen Schiffe an der Ankerstelle winkte er mich heran. Er ließ gerade irgendwelche Reparaturarbeiten erledigen. Wir grüßten uns und ich fragte ihn, ob wir uns gegen 17 Uhr in Tahtakale, nicht weit vom Fischmarkt, in einer Kuttelsuppenküche treffen könnten. Das war ihm recht und wir trafen uns dann zur verabredeten Stunde dort in der Garküche.

Bei der sämigen Kuttelsuppe mit viel Knoblauch und Essig tauschten wir Neuigkeiten aus. Der Koch schnetzelte mit Kuttelzange und breitem Hackmesser weich gekochte Kutteln, die er aus der Brühe schöpfte. Immer wieder schlugen Kuttelzange und Hackmesser rhythmisch dynamisch aneinander und auf das Holzbrett. Tack, tacketack, tacketack, tacke, tack, tack ... und zwischendurch wetzte er das kräftige Hackmesser am Wetzeisen.

Wir freuten uns, dass wir uns wieder gesehen hatten. Latif bat mich um einen Gefallen. Es handle sich um Sanya, die Schwester von seinem Schützling Yusuf. Er beschrieb sie mir ganz genau und bat mich, ein Ohr und ein Auge dafür zu haben. Es könnte sein, dass sie irgendwo in Galata mit ihrem Einverständnis oder gegen ihren Willen gehalten werde. Denn in Galata waren nicht nur internationale, ehrenwerte politische und wirtschaftliche Vertretungen, sondern auch allerlei Sumpf und nicht zuletzt Freudenhäuser, in denen auch manche Mädchen teilweise gegen ihren Willen gehalten wurden.

Ich versprach Latif, nicht nur ein Ohr und ein Auge zu haben, sondern mich mehr und gezielt dafür zu engagieren. Latif hatte erzählt, dass er auch eine armenische Hausiererin, die Stoffe in Istanbuler Häusern verkauft, kontaktiert hatte. Sie hatte wiederum die auf der anatolischen Seite von Istanbul in Üsküdar arbeitenden Hausiererinnen informiert und gebeten, sie in Kenntnis zu setzen, wenn sie einem Mädchen begegneten, das zu der Beschreibung passe.

Hinsichtlich meiner Informantentätigkeit hat Latif keinerlei Fragen gestellt. Meine Arbeit für Geheimdienste ist in einer Stadt wie Istanbul nicht außergewöhnlich. In einem Staat wie diesem und einer Stadt wie Istanbul müssen alle Dinge im Zaum gehalten werden, sonst rette sich, wer kann, wenn es keine Ordnung gibt. Ordnung muss sein.

In früheren Zeiten, zwischen dem 11. und 15. Jahrhundert hatten die Kreuzzügler nicht nur den seldschukisch-osmanischen Boden, sondern sogar das damalige Konstantinopel, dem sie doch zu Hilfe gegen die Feinde kamen, zweimal derart ausgeraubt und somit den baldigen Untergang der Stadt vorbereitet. Und es gibt nun nicht immer und überall nur Freunde des osmanischen Staates, sondern auch Feinde. Allein diese Stadt Istanbul hat immer schon ausreichend Feinde gehabt, deshalb können die Osmanen nicht vorsichtig genug sein und sie haben einiges aus der Geschichte gelernt. Allerdings kann es auf Dauer nicht gut sein, wenn außer dem Sultan und irgendwelchen Paschas kein Mensch offen politisch etwas zu sagen hat. Wenn man zu dieser Tatsache noch die Verhinderer der kleinen Lichtblicke, die rückschrittlichen Kleriker, zählt, dürfte dieses Osmanische Reich nicht allzu lange bestehen.

Die breite Bevölkerung ist nicht alphabetisiert und somit über Gerüchte und Aberglaube hinaus überhaupt nicht informiert. Nach 150 Jahren seit Gutenberg und der Erfindung der modernen Buchdruckerei gibt es kein Anzeichen dafür, dass hier auch bald Schriften und Bücher für die Verwaltung oder für die Bildung der Bevölkerung und für private Zwecke gedruckt werden. Solange es das nicht gibt, sehe ich keinen Fortschritt.

Fortschritte wie die Gründung einer neuen Sternwarte in Tophane und Rückschritte wie deren befohlene Zerstörung durch Beschuss lassen eher Stillstand vermuten. Ein Jahr vor meiner Ankunft in Istanbul soll das passiert sein. Ich war mal an der Stelle, wo die Sternwarte gestanden hat. Dort, zwischen den nicht wieder zu erkennenden Baukrüppeln, grasen jetzt Milchziegen. Es muss doch ein Zeichen des totalen Machtverlustes des Sultans bedeuten, wenn er sich beeinflussen lässt und das Symbol des Fortschritts in Wissenschaft und Technik, das er selbst hat errichten lassen, dem Erdboden gleichmachen lässt. Ich denke da insgeheim, der Sultan braucht den gesamten Staat mit seinen Geheimdiensten und sonstigen Organen.

Die Kuttelsuppe wärmte den Magen und die Unterhaltung schärfte die Sinne. Latif brachte mich noch zum Fischmarkt, wo er für mich ein Kayik nach Galata bestellte. Wenn ich für ihn eine Nachricht haben sollte, solle ich mich bei der Kayikaufsicht am Hafenwohnheim des Fischmarkts melden.

Kapitel 24

Ich bin Ingo Seidel, der Kupferstecher aus München. Dass auch ich etwas zu erzählen habe, muss wohl am delikaten Thema Istanbul am Ende des 16. Jahrhunderts liegen.

Dazu kommt noch, dass ich unter anderem in Kapalitscharschi, dem bedeckten Basar, genauer gesagt, dort einige Straßen, Gassen und Läden gezeichnet habe.

Ich bin seit einem Jahr hier in Istanbul, weil ich mich für die Illustration eines Türkei-Märchenbuchs verpflichtet habe. Der Verlag befindet sich in München. Die Märchen waren schon von verschiedenen Orientalisten und Märchensammlern fast fertig gesammelt und aufgeschrieben. Der Verlag fordert, dass Landschaft, Architektur, Leute und Bekleidung in den Illustrationen der Wirklichkeit entsprechen und zu den gesammelten Märchen passen sollen. Märchenbücher verkaufen sich gut im deutschsprachigen Raum und die Konkurrenz geht ebenso vor. Mein Verleger legt viel Wert darauf, dass zum Beispiel ein orientalischer Palast oder ein Haus kein Spitzdach hat, wie in meiner regenreichen Heimat, sondern so gezeichnet wird wie in Wirklichkeit. Auch die Bekleidung der Menschen muss authentisch sein. Da ich bereits einige slawische Märchenbücher illustriert und mir damit einen Namen gemacht und etwas Geld verdient hatte, traute ich mir diesen Auftrag zu.

Als ich vor einem Jahr über Venedig mit einem Handelsschiff nach Istanbul kam, grüßten mich schon über dem Marmarameer und dem Bosporus nicht nur schreiende Möwen, Zugvögel, Kraniche und Störche. Es grüßte auch der Topkapi-Palast an der Landzunge, wo der Bosporus, das Goldene Horn und das Marmarameer sich begegnen, außerdem unzählige Kuppeln vieler Bauten und die zahlreichen Minarette der Moscheen. Dazu die Paläste und in Ocker, Rot und Blau gestrichene kleine und große Häuser lagen zwischen Bäumen allerlei Art, von denen ich bis dahin viele überhaupt nicht kannte. Der Himmel wölbt sich wie ein Baldachin über diesen drei Wassern. Die Hügel am Bosporus sind bewaldet mit Pinien, Akazien und anderen herrlichen Bäumen. Um das alles zu zeichnen und in Kupfer zu stechen, müsste ich wohl tausend Jahre leben, dachte ich. Das war mein erster Eindruck von dieser Weltstadt. Ich hatte mir vorgenommen nach der jeweiligen Farbzeichnung zumindest einige Stiche in Istanbul zu fertigen.

Nach meiner Ankunft begab ich mich zur Deutschen Gesandtschaft. Mit ihrer Hilfe fand ich ein kleines Haus, das sich etwa fünfzig, sechzig Schritte vor einem der vielen Basartore befindet. Es ist in der Nähe der Bayezid-Moschee. Sultan Bayezid war der Erbauer der Moschee und der dazugehörigen Gebäudekomplexe. Die Moschee, zu der eine Medresse, eine Schule, eine Armenküche, eine Karawanserei, ein Hamam und Grabmale gehören, befindet sich im Stadtteil, welcher aber volkstümlich Beyazit genannt wird. Das Volk erfindet wohl sprachlich einfachere Lösungen. Auch der große Platz dort wird deshalb Beyazit-Platz genannt.

Das Haus, das mir zum Wohnen angeboten wurde, liegt an einer Straße hinter einem kleinen Blumengarten, in dem eine Bank steht. Ich kann Leute und Lasttiere von meinem Fenster aus gut beobachten, dessen unteres Fensterteil sich hochschieben und feststellen lässt. Es ist ein luftiges, lichtes Haus mit üblicher osmanischer Einrichtung: hölzernen Wandschränken, breiten, niedrigen, dicken Diwanpolstern, die mit Kelims geschmückt sind und auf denen man sitzen und auch schlafen kann. Es gibt Kissen und die notwendigen Decken, Gerätschaften für die Küche und einige zusammenklappbare Teile. Das Haus ist ausgestattet mit einem Kamin und mit den notwendigen Kannen und Schüsseln und einem Becken für Holzkohlenglut. Es hat einen Abtritt aus grauem Marmor und nachfüllbare Behälter für frisches Wasser. In einem der Wandschränke ist ein Abfluss am Boden und die Wände sind mit grauem Marmor verkleidet. Der Diener erklärte mir, dass ich mich dort von Kopf bis Fuß mit Wasser überschütten könne. Nach oben führt eine Holztreppe in einen weiten Raum, durch dessen Fenster viel Licht hereinkommt. An den Fenstern sind bis zur Hälfte Sichtschirme aus Gitterholz. Weiße Vorhänge mit gehäkelter breiter Kante mit Fransen zieren die oberen Fenster, deren untere Teile sich hochschieben und feststellen lassen. Inmitten des Raumes stehen ein fester Tisch, der schon anderen als Arbeitstisch gedient haben mag, und einige Klappstühle, auf denen mit Teppich überzogene Sitzpolster liegen. Der Boden ist mit geflochtenen Matten ausgelegt. Die Rückseite des Hauses hat einen kleinen, ruhigen Garten, in dem Gebüsch und eine Birke im Sommer Schatten spenden. Ein steinerner Trog mit einem Überlauf fängt das Regenwasser auf, welches durch Rinnen und Rohre hineingeleitet wird.

Das kleine Haus gehört der Bayezid-Stiftung, zu der die Moschee und der Sozialbautenkomplex gehören. Zu solchen Stiftungen gehören meistens auch im gleichen Ort oder anderswo Mietläden und Ländereien, deren Einkommen der Unterhaltung der Stiftung dienen.

Diese Häuser im Stadtteil Beyazit werden für ein, zwei Jahre befristet an Gäste aus dem Ausland vermietet. Auch ein schwarzer Diener gehört zum Mietpreis. Er ist in erster Linie für die Beheizung der Räume, für Wasser und für Einkäufe zuständig. Nun ja, wenn das so üblich ist, dachte ich, akzeptiere ich. Ich würde also nur noch dafür sorgen müssen, dass meine Wäsche gewaschen, die Räume gereinigt und für mich gekocht wird. Hier ließ ich mich also nieder und mein Gepäck herschaffen.

Mein Diener heißt Musa und ist kein Sklave mehr. Er ist frei und hat sich der Stiftung gegenüber zu dieser Arbeit vertraglich verpflichtet. Musa bewohnt eines dieser Häuser mit Frau und Kindern in der Nähe. Jedenfalls macht er seine Arbeit gut und hilft mir auch, Türkisch zu lernen.

Kurzfassungen der insgesamt zwanzig Märchen hatte ich mitgenommen. Der Ort dieser Märchen war Istanbul. So müsste ich mir erst einmal die Stadt genauer ansehen, was eine gewaltige Aufgabe war und sehr viel Zeit in Anspruch nehmen würde.

Die Stadt ist wie Rom auf sieben Hügeln erbaut und von einer gewaltigen Stadtmauer und drei Meeren umgeben. Ich unterhielt mich bei der Deutschen Gesandtschaft mit den Gesandtschafts-angehörigen, wo und wie ich am besten die Stadt erkunden sollte, und lernte bereits die ersten Begriffe auf Türkisch und erfuhr, dass ich die beiden wichtigsten Fragen beantworten können müsste, Fragen, die mir zwar nicht direkt am Anfang einer Begegnung, aber im Verlaufe von Unterhaltungen vom Kind bis zum Greis immer wieder gestellt werden würden. Ich sollte sagen können, wer ich bin und was ich mache. Das sei der Anfang aller Dinge. So lerne ein Mensch hier einen anderen Menschen kennen und daraus wachse das Vertrauen und das schaffe die Grundlage für mögliche Gespräche.

Es war Ende April 1590 und das Wetter günstig. Zuerst wollte ich die Gewässer der Stadt kennen lernen. Es sollten am Goldenen Horn wie an vielen Anlegern in Istanbul, türkische, griechische, armenische und jüdische Kayiktschis geben, von denen ich mir einen aussuchen müsste. Ich wollte am Limon-Anleger nach einem Kayik fragen, das ich ganztägig für etwa fünfzehn Tage mieten wollte.

Das schien keine leichte Aufgabe, war aber wohl nicht unlösbar und ich stellte fest, dass die Ordnung, die dort herrscht, mir die schwierige Entscheidung abnahm, denn ich musste einen nehmen, der gerade an der Reihe war. Es war ein jüdischer Kayiktschi, der glücklicherweise auch etwas Deutsch sprach. Von ihm erfuhr ich, dass in Istanbul zur Zeit mehr als zehn Prozent der Bevölkerung Juden sind. Ich erfuhr von ihm, dass im Osmanischen Reich überall Juden leben. In Saloniki seien fünfundfünfzig Prozent der Bevölkerung Juden.

Avram, mein Kayiktschi, empfahl mir zuerst das Goldene Horn zu erkunden. Ich vereinbarte mit ihm für die nächsten Tage die Zeit von morgens neun Uhr bis abends sechs Uhr. Am jeweiligen Anleger müsste er dann auf mich warten, falls ich an Land ginge und mich vielleicht in die Stadtteile begebe.

Das war ihm recht. Er fragte mich, ob er mich auch manchmal begleiten könne, wenn er möchte. Das überließ ich ihm. Mich würde es nicht stören. Seinem Kayik würde nichts passieren, wenn er das Kayik nicht am Anleger, sondern irgendwo an einem Ufer festmachen würde. Istanbul sei keine Stadt der Diebe.

Avram sagte, er sei dreiundzwanzig Jahre alt und frisch verheiratet. Mich, einen zwanzig Jahre älteren, akzeptierte er wie einen Onkel, den er schon immer kannte. Er sagte, dass sie hier in Istanbul seit Generationen sehr glücklich leben. Das glaubte ich ihm. Ich würde auch sehr gerne hier in dieser Märchenstadt leben.

Meine Besichtigung am Goldenen Horn dauerte zehn Tage. Ich sah mir die Häuser, Villen und Lager am Ufer an und zeichnete sie manchmal vom Kayik aus, manchmal am Ufer. Dann kamen die Kriegsschiffe und Handelsschiffe, die vielen Kayiks und Segelboote und die unzähligen Docks an die Reihe, in denen Schiffe gebaut und repariert werden. Auch Obst-, Gemüse- und Getreidehäfen sind da. Die Lager liegen im hinteren Bereich des jeweiligen Anlegers.

Am Ufer sind Werkstätten, in denen aus Metall, Stoff und sonstigen Materialien alles Mögliche produziert wird. In diesen Arbeitsbereichen herrscht beispielloses emsiges Treiben, die ganze Welt scheint ihre Sachen hier ganz selbstverständlich anzuliefern und Gewünschtes zu erhalten. Eine erstaunliche Ordnung.

Dann die abendliche Stille! Wenn es dunkel wird, ist es Zeit für andere Emsigkeiten. Auf schwankenden Booten werden die auf Holzkohlefeuer gegarten Fische in Fladen geklemmt und den hungrigen Käufern am Ufer entgegengestreckt. Die Suppen- und sonstigen Garküchen und Weinschenken füllen sich mit Leuten aus aller Welt.

Bisher sah ich keinen Menschen, der in einer Schenke war oder aus einer kam, der hochmütig oder betrunken war oder jemanden gar belästigte. Sicher gäbe es viele Antworten auf die Fragen nach der Ursache. Hatten sie das Miteinanderleben deshalb so gut gelernt, weil sie einfach miteinander leben?

Ich zeichnete die Straßenzüge, die meistens von den Hängen parallel zum Goldenen Horn verlaufen. Es gibt viele Stadtteile, in denen Türken, Griechen, Armenier und Juden in Nachbarschaft wohnen. Sie haben alle ihre religiösen und sonstigen Einrichtungen, in deren Umgebung sie gern leben.

Das ist keine notwendige Isolation, sondern wird als eine glückliche Gegebenheit gesehen. Sie dürfen aber auch überall in der riesigen Stadt wohnen, ob in Yedikule oder Samatya, Kumkapi oder Üsküdar, in Galata oder gar auf einer der vielen dünn besiedelten Prinzeninseln, die in Sichtweite von Istanbul im Marmarameer liegen.

Ich zeichnete Kinder und Frauen, Greise, junge Männer und allerlei Tiere, Pferde, Esel, Karawanenkamele, Hunde und Katzen. Die meisten Katzen haben ihre Besitzer. Katzen haben einen extra Ein- und Ausgang, ein Katzenloch an den Häusern und deshalb können sie, wann sie wollen, ein- und ausgehen. Für Hunde sieht es etwas anders aus. Es gibt Hunde, die im Garten des Hauses gehalten werden. Sie sind tagsüber frei und ohne Leine, bewegen sich meistens in ihren eigenen Gärten und abends werden sie an der Leine der Hundehütte im Garten festgemacht. Hunde dürfen nicht in ein muslimisches Haus hinein, weil sie Krankheiten hineintragen, die insbesondere für Kleinkinder gefährlich sein könnten. Die meisten Hunde sind ohne Besitzer und laufen in der Stadt herum. Ihr Kot wird gesammelt und getrocknet. Hundekot dient zur Ledergerbung und ist sogar als Exportartikel sehr gefragt.

Ich besichtigte am Ende des Goldenen Horns den Stadtteil Eyüp-Sultan, wo die älteste große Moschee Istanbuls ist. Sie und die dazugehörigen Sozialbauten wurden von Sultan Mehmet, dem Eroberer der Stadt, gestiftet. Ich zeichnete diese Bauten und dann stieg ich am nächsten Tag auf den dahinter liegenden Berg.

Auf dem Berg vom Stadtteil Eyüp-Sultan ist ein unvergleichbar beeindruckender muslimischer Friedhof mit kunstvollen Grabsteinen, die verschieden geformt, mit eingemeißelten Inschriften versehen und in unterschiedlicher Technik ausgeführt sind. Reliefs mit Blumen und Ornamenten, ja sogar welche mit Obst in Schalen sind abgebildet.

Ein Mann, der da an einem Grab betete, fragte mich, ob ich auf diesem Friedhof auch Gräber habe. Ich antwortete mehr mit Mimik und Gestik, dass auch jemand von meinen Ahnen hier irgendwo begraben sein könnte. Möglich wäre es, doch weiß ich keinen bestimmten Vorfahren.

Kreuzzügler waren einst durch Konstantinopel gezogen, hatten geplündert und getötet und manch einer war getötet worden. Auch aus meiner Heimat stammende Menschen waren in Kriegen oder im Beuteraub versklavt, als Sklave, als Freigelassener oder gar als jemand, der Karriere gemacht hatte, in Istanbul gestorben, wenn sein letztes Stündlein geschlagen hatte. Andererseits, wie viele Osmanen wurden wohl bis ins Deutsche Kaiserreich verschleppt und was war wohl mit denen geschehen? Falls es denn stimmt, dass auch ich hier meine Toten habe, sollten sie weiterhin hier ihre Ruhe haben, meinte der Mann. So verstand ich ihn jedenfalls. Er schickte ein Gebet zum Himmel für meine Toten, ehe er weiterging.

Unten wand sich das Goldene Horn wie eine Schlange, um am Ende den Bosporus und das Marmarameer zu erreichen. Der Himmel, das Wasser, blau, grün, gelb-rotschillernde Farben gossen sich auf die Stadt mit ihren Moscheen, Kirchen, Synagogen, Palästen, Häusern und Gärten. Istanbul, ein Märchen ohne Worte. Jeder Mensch auf dieser Erde müsste mindestens einmal in seinem Leben Istanbul sehen, wünschte ich. Mit geschlossenen Augen lauschte ich den durch einen Windhauch vom Goldenen Horn heraufgetragenen Tönen. Ich war wie berauscht und nahm mich erst nach einer Weile zusammen und zeichnete, was ich sah, und verbrachte den Tag bis zum Abend dort am Eyüp-Hang und erinnerte mich erst daran, als ich nach unten zum Eyüp-Hafen kam und Avram bemerkte, dass ich jetzt wohl etwas essen müsse, denn über dem Zeichnen und Schauen hatte ich die Zeit vergessen. So verging mein dritter Tag am Goldenen Horn und ich war mit meiner Arbeit mehr als zufrieden.

Avram ruderte mich noch zum Anleger am Fischmarkt, wo ich ausstieg, um nach Hause zu schlendern. Unterwegs ging ich zu einer Piyaz-Köfte-Garküche in ein kleines Lokal, in dem sich fünf bis sechs Tische mit je vier Plätzen befanden. Avram hatte mir erzählt, ich könne ohne weiteres in jeder Garküche in einem Geschäftsviertel essen, was angeboten wird. In reinen Wohnvierteln gibt es keine Garküchen. Ich ging also in die Garküche und bestellte mir, weil ich kein Fleisch aß, eine doppelte Portion Piyaz, das sind weich gekochte, kalte weiße Bohnen, die mit gekochtem Ei, zerhackten frischen Zwiebeln, grünem Spitzpaprika, schwarzen Oliven, Tomaten, schwarzem Pfeffer, rotem Paprika, Olivenöl, Essig und Kräutern angerichtet sind. Dazu tunkte ich gezupftes Fladenbrot in die würzige Soße. Woher kam der köstliche Geschmack dieser Bohnen? Woher kam es, dass hier mehr oder weniger mit gleichen Mitteln anders gezaubert werden konnte? Als Nachtisch probierte ich Blätterteigpastete mit geriebenen Pistazien und Honigsirup mit Rosenwasser. Als Getränk nahm ich Schira, einen köstlichen Himmelstrank aus Trauben, nach dem langen, sonnigen Tag. Ich hatte vor, danach nach Hause zu gehen, um meine Zeichnungen, die ich an dem Tag gefertigt hatte, da und dort noch zu ergänzen und an ihnen zu arbeiten.

Angekommen in Beyazit, sah ich an einem Kaffeehaus ein Plakat, auf dem Schattenspielfiguren und Puppenspielfiguren abgebildet waren. Mit Mühe entzifferte ich die Zahlen und verstand, dass das Spiel abends um acht Uhr anfangen sollte. Dann fragte ich die Leute gestikulierend, ob heute Abend gespielt wird.

Bis acht Uhr gab es noch Zeit, so ging ich nach Hause und fand im Garten des Hauses den Diener mit einem farbig bekleideten Herrn. Ich mutmaßte, dass dieser ein Palastbeamter sei. Sie saßen da auf der Gartenbank und unterhielten sich. Als sie mich sahen, standen sie auf und begrüßten mich. Der Mann in farbiger Bekleidung redete deutsch, stellte sich als Rafet vor und hieß mich im Namen des großmächtigen Sultans Murad III. und in seinem Reich herzlich willkommen. Er überreichte mir eine Rolle und einen Kaftan als Geschenk und bot an, mir den Inhalt des Schreibens zu übersetzen.

Musa entzündete die Lampen im Hause. Ich bat den Gast ins Haus und bot ihm an, gemeinsam Kaffee zu trinken. Er bat mich um Verständnis, meiner Einladung ein andermal Folge leisten zu dürfen. Der junge Mann hatte ein sehr gutes Benehmen und sprach gut Deutsch. Ich bat ihn, das Schreiben des Sultans an mich vorzulesen und zu übersetzen.

Die Rolle war aus bestem Papier und kunstvoll mit Namensschrift und Siegel des Sultans versehen. Der Sultan hieß mich in der Türkei, insbesondere in Istanbul willkommen und wünschte meiner Arbeit gutes Gelingen. Wäre ich mit meinen Zeichnungen zu gegebener Zeit fertig, bat er mich, sie ihm zu zeigen. Er sei allgemein an Kunst und Malerei interessiert. Darüber hinaus teilte er mir mit, sollte ich während meines Aufenthalts irgendwelche Schwierigkeiten haben, die seine Hilfe erfordere, so möge ich im Topkapi-Palast den Überbringer der Rolle aufsuchen und ihm meine Angelegenheit vortragen.

Ich war angenehm überrascht und bedankte mich bei dem Palastbeamten. Er sagte, ich könne am Haupttor des Topkapi-Palastes nach ihm fragen. Wenn er zur gegebenen Zeit außer Haus sei, würde jemand anderes sich um mich kümmern. Er müsse nun gehen.

Ich verabschiedete Rafet Efendi, sagte, dass ich den Wunsch des Sultans mit Freude erfüllen werde und ich für sein Interesse und die Geschenke danke. Wir verneigten uns und der freundliche Rafet Efendi wurde von mir und meinem Diener Musa hinausbegleitet.

Als ich allein war, schaute ich mir das Schreiben noch einmal an. Es war mit pastellfarbenen filigranen Frühlingsblumen und Blattgold geschmückt, meisterlich gestaltet, in arabischer Schrift von rechts nach links sehr ästhetisch handgeschrieben, mindestens das Werk eines Obergesellen. Ich legte das Blatt auf die Messingplatte des Sechsbeins, schlug das Einschlagtuch, welches das Geschenk umhüllte, zurück und fühlte die Seide des Kaftans, strich über den leichten Pelz, mit dem er gefüttert war, und zog ihn an. Ich trat vor den venezianischen Spiegel. Wie merkwürdig mein Anblick ist, nicht mehr Europäer und noch kein Orientale. Ein edles Kleidungsstück, geeignet für etwas kühlere Abende im Frühjahr und Herbst, draußen oder im Hause zu tragen. Ich war hocherfreut.

Ich verschob meinen Besuch beim Schatten- und Puppenspiel auf einen anderen Abend, legte mich nach einer Weile schlafen und träumte üppig und durcheinander, befand mich teils in München, teils in Istanbul, das Märchenbuch war fertig, ich blätterte darin und suchte nach meinen Zeichnungen. Als ich wach wurde, erinnerte ich mich nicht mehr, ob ich im Buch meine Zeichnungen gesehen hatte. Vor mir lag noch ein ganzes Jahr in Istanbul, der Stadt der schaubaren, fühlbaren, genießbaren, hörbaren und duftenden Schätze. Wann und wie oft käme sonst ein Mensch in seinem Leben nach Istanbul. Ich genoss mein Privileg.

Kapitel 25

Ich bin der Diwansekretär Ragip Efendi. In der Zeit, in der wegen des Raubes im Basar ermittelt wurde, stellte ich in vielen geschäftlichen Aktivitäten in Istanbul Stillstand fest. Als Diwansekretär, einer von vielen, bin ich direkt dem Sultan gegenüber verantwortlich. Mein Bereich befasst sich mit Außenhandel. Ich verfasse die Bücher, in denen die Importe und Exporte im Osmanischen Reich aufgelistet sind. Mir unterstehen dreißig Sekretäre und Schreiber und manchmal werde ich als Diplomat tätig.

Die Quellen meiner Informationen sind die Zollämter, die sich an den Häfen und den Landesgrenzen befinden. Die Beamten dort sind verpflichtet, einmal im Jahr eine Abschrift der Bewegungen an ihren Zollstellen an uns zum Topkapi-Palast zu senden. Das Zollamt und die Beamten dort sind die wichtigsten Organe des Staates. Die Beamten werden in der Regel sorgfältig ausgesucht und gut ausgebildet. Die Ausbildung der Oberbeamten und Leiter erfolgt in palasteigenen Schulen innerhalb der Mauer des Topkapi- Palastes.

Ich leite das für Zollangelegenheiten zuständige Amt im Topkapi-Palast schon seit fünfzehn Jahren. Daher habe ich die Übersicht über die Handelsbeziehungen mit dem Ausland, die seit etwa zehn Jahren zuungunsten des osmanischen Staates verlaufen, weil die Warenausfuhr mehr und mehr zurückgeht. Von Waren- und Geldmengen aus betrachtet, wird mehr importiert als exportiert. Die steigende Staatsverschuldung gegenüber Händlern innerhalb des Landes und bei ausländischen Banken, die alle in Galata ihre Vertretungen haben, ist auf Dauer sehr schädlich.

Dazu kommt noch etwas. Falschmünzen sind sehr verbreitet und schwächen in erster Linie die Staatsfinanzen. Gold- und Silbermünzen werden mit den dafür geeigneten Metallen, wie Kupfer und ähnlichem, gemischt und somit verfälscht. Was gegen Falschmünzerei unternommen werden kann, weiß zur Zeit kein verantwortlicher Staatsmann oder Staatsbeamter. Da nützen die allerschärfsten Gesetze so gut wie nichts.

Ich bin ein Vertrauter von Selaniki Mustafa Efendi, der seit 1563, also jetzt seit 28 Jahren, die historischen, sozialen und politischen Ereignisse innerhalb des Reiches aufschreibt. Er war mehrfach für verschiedene kurzfristige Aufgaben als Beauftragter des Staates beschäftigt und wurde immer gut bezahlt. Ihm kam diese Form der Beschäftigung gelegen, denn dadurch hatte er für seine Nachforschungen, seine Schriften und zum Lesen genügend Zeit. Wirtschaftliche Fakten und Zahlen hat Selaniki Mustafa Efendi in seinen Schriften mindestens in Stichwörtern erwähnt. In den Büchern von Selaniki Mustafa Efendi liest man wiederum Sachen, die den Finanzleuten und Finanzbeamten sehr viel nützen würden, aber in der Regel interessieren sich solche Leute für diese Themen nicht. Sie denken und handeln kurzfristig und sehen nicht, wohin die Reise geht und wie sie endet.

Ehe ich dieses Amt bekam, habe ich während meiner Ausbildungszeit unter anderem auch bei Selaniki Mustafa Efendi gearbeitet, ihn auf seinen Reisen zu den Orten der Geschehnisse, ja sogar zu Kriegen begleitet und sehr viel dabei erlebt und gelernt, habe Wärme, Kälte, Hunger selbst erlitten und sah Armut, Krankheit, den elendigen Tod von Mensch und Tier und den Untergang von Städten und Dörfern. Jetzt ist meine Arbeit hier im Topkapi-Palast zwar weniger ereignisreich, vom Lauf der Dinge her aber eigentlich erdrückend. So gesehen werde ich immer wieder Zeuge der Folgen des menschlichen Unwissens, der Unbelehrbarkeit und des Elends.

Um ein Beispiel zu nennen: Aus Venedig kommen folgende Produkte zum Istanbuler Zollhafen: Bleiweiß, Bauholz aus der portugiesischen Kronkolonie in Übersee, Kampfer, Kristallwaren, Stoffe, Schönheitsprodukte, Spiegel und Glas, Papier, Terpentin und Farbstoffe. Viele dieser Waren werden auch aus anderen Ländern importiert. Dagegen werden so gut wie nur Landwirtschaftsprodukte und Teppiche ins Ausland verkauft, deren Umsatz im Vergleich zum Import immer geringer wird. Der Topkapi-Palast lebt in Saus und Braus und die Verwaltungen im Lande sparen auch nicht gerade.

So wird das Volk immer ärmer und die Unzufriedenheit wächst. Bei der Thronbesteigung sind Geldgeschenke an Beamte und Soldaten üblich, damit sie dem neuen Sultan gewogen bleiben. Zu religiösen Festen bekommen diese Leute außerdem eine ganze Menge Gelder, und das bei leerer Staatskasse. Also verschuldete sich der Staat, um die in ihn gesetzten Erwartungen der Bediensteten seines Staatsapparates zu erfüllen. Aber das Geldgeschenk zur Thronbesteigung überragt alles andere. Schon aus dem Grunde wünschten und wünschen sich viele Leute, dass der nächste Sultan bald an der Reihe ist, ohne zu wissen, dass die Staatskassen allein auf diese Art und Weise nicht nur leer, sondern bereits bodenlos sind.

Warum ich das alles erwähne? Über solche Sachen wird nicht öffentlich gesprochen, nicht diskutiert und nicht gemeinsam mit den betroffenen Gesellschaftsschichten nach Maßnahmen und Lösungen gesucht. Der Topkapi-Palast muss und kann alles allein erledigen. Und die Verwaltungen überall im Lande, wenn auch in anderem Maßstab, handeln so oder ähnlich.

Die Freundin meiner Tochter Elmas ist Gülhayat, die Tochter meines geehrten und gelehrten Lehrmeisters Selaniki Mustafa Efendi, die nun ein Buch schreibt anlässlich des Raubs im inneren Bedesten des bedeckten Basars. In dem Buch kommen viele Leute zu Wort, hat sie gesagt. Sollen sie ruhig zu Wort kommen. Aber wem hilft das, wenn so ein Buch nicht gedruckt werden kann, weil es hier für unsere Schrift gar keine Druckerei gibt und es nicht erlaubt ist, in unserer Schrift zu drucken, und deshalb meiner Meinung nach auch nicht bald in Druck gehen wird.

Nehmen wir einmal an, es würde bald gedruckt, dann stellt sich die Frage, ob die Leute das sagen, was sie jetzt zu druckereilosen Zeiten sagen. Würde denn gedruckt, was die Leute gesagt haben? Und würde der Verfasser des Buches belohnt oder bestraft? Das alles ist noch offen. Indessen schreibt Gülhayat an ihrem Buch weiter, äugt mit ihren wachen Lorbeeraugen und schreitet einer Zypresse gleich und wunderschön durchs Leben. Meine Frau nennt sie "Sultanin".

Wer weiß, vielleicht ändern sich ja irgendwann die Zeiten.

Kapitel 26

Ich, Sicherheitschef Ridvan Aga, wäre froh, wenn dieser Diebstahl im Bedesten von Kapalitscharschi endlich aufgeklärt wäre. Ich befürchte nämlich, dass ich unter Umständen daran beteiligte Personen näher kenne oder dass es Leute sind, denen ich früher aus Mitleid oder auf Bitte und Empfehlung meiner Bekannten im Basar zu einem Arbeitsplatz verholfen habe. Es sind allein in diesem Basar mehr als zwei Dutzend Leute, die durch meine Fürsprache Arbeit gefunden haben. Obwohl ich selbst immer vom Charakter und Anstand der von mir vermittelten Leute, meistens jungen Menschen, überzeugt bin, kann doch niemand für jemanden seine Hand ins Feuer legen. "Das Menschenkind trank ungekochte Milch" sagt ein Sprichwort. Menschen sind unberechenbar. Erfahrungen in meinem Berufsleben haben das bisher in vielen Fällen bestätigt. Menschen sind in der Lage auch Dinge zu tun, die sie sich nicht mal im Traum vorstellen können. So gesehen stecken in uns allen Teufel und Engel, die miteinander, mal gut, mal weniger gut, zurechtkommen, ja sich manchmal sogar brutal bekämpfen.

Ich habe inzwischen fast alles durchsuchen lassen, jeden Winkel, jede Treppe, die gesamten Dächer, die Läden und Lager, Türen und Fenster. Ich habe einen ganzen Schwarm von Dolmetschern aufgeboten, um alle, die nicht des Osmanischen mächtig sind, in ihrer eigenen Sprache befragen zu lassen. Ich habe die Steuerbeamten die Bücher der Läden auf Unregelmäßigkeiten prüfen lassen und fast sind es zwei Wochen, dass niemand aus dem inneren Bedesten, abgesehen von Erkrankten und anderen Ausnahmen, herausgelassen und nichts hineingelassen wird. Alte und Kranke lasse ich streng durchsuchen, ehe sie hinausdürfen. Die Arbeit in den Schmuckwerkstätten innerhalb des Bedesten habe ich einstellen lassen, weil sonst die Möglichkeit bestünde, die geraubten Gold- und Silbermünzen in ein paar Minuten in Barren umzuwandeln. Der Fall wäre damit nicht mehr zu lösen.

Bereicherung und Korruption auf Kosten des Staates, letztlich der Steuer- und Abgabenzahler sind eine Normalität, worüber die Betroffenen wenig in Kenntnis gesetzt werden, und schon allein daher wissen sie nicht, wer sie beraubt und in welcher Menge. Darüber regen sich die Leute nicht auf, denn irgendwie läuft alles seinen Gang. Aber ein Raub dieser Art und dieses Umfangs? In der Geschichte des Basars ist bisher so etwas nie vorgekommen. Ähnliches außerhalb des Basars auch nicht.

So etwas, noch dazu im Basar, ist direkt eine Sache der Ordnungskräfte und daher meine Angelegenheit. Ich war zwar während meiner langen Berufsjahre ein paar Mal unangemeldet nachts jeweils ein paar Stunden im Basar gewesen, um den Stand der Wache und der Sicherheitsmaßnahmen gegen Raub und Brand selbst in Augenschein zu nehmen, aber bis zu diesem unverschämten Raub bin ich nie so lange und beinahe ununterbrochen dort gewesen.

Nachts ist der Basar wie eine andere Welt, stille, von Öllampen beleuchtete Straßen und Gassen mit geschlossenen Läden. Wächter sind auf ihrem Posten. Nachts sind die Gerüche viel intensiver als tagsüber und in jeder Straße und Gasse anders. Einmal hörte ich aus der Ferne Musik. Sie kam von außerhalb des Basars. Ich verließ mit meinem Sekretär Irfan den Basar. Hinter uns wurde das Tor wieder geschlossen und wir liefen dahin, woher die Musik kam. Wir fanden eine Werkstatt, in der Papier hergestellt wurde. Drei Leute spielten Laute und sangen. Als wir die Werkstatt betraten, beendeten sie ihre Musik und standen auf. Sie wirkten durch unsere Anwesenheit eingeschüchtert und ich bat sie, sich nicht stören zu lassen. Sie musizierten weiter. Die Klänge beflügelten die Seele und machten sie aber auch schwermütig, es war ein Wechselbad der Empfindungen, als klinge ein Echo im Gemüt.

Wir blieben etwa eine Stunde bei diesen Leuten. Die Musik machte es möglich, meine Gedanken frei schweifen zu lassen und von der ärgerlichen Raubsache, über der ich nun schon so lange brüte, Abstand zu nehmen. Mir fiel ein Spruch des großen gerechten Sultan Süleyman ein. Er hatte den Dichter Baki, dessen Name "ewig" bedeutet, mit der wortspielerischen Zeile geehrt: "Ewig ist Wohlklang unter der Kuppel." Ein guter Klang berührt die Seele.

Seit Beginn der Ermittlungen übernachte ich fast jede zweite Nacht im Basar, um den Dingen und Geschehnissen näher zu sein. Meine Nerven sind immer gespannter. Nicht nur die meinen. Es ist zeitraubend, eine Nadel im Heuhaufen suchen zu müssen. Sämtliche Pläne des gesamten Basars hatte ich inzwischen mit meinen Leuten, zu denen ich auch noch Architekten hinzugezogen hatte, auf das sorgfältigste geprüft und mit den Örtlichkeiten verglichen. Dabei fiel uns auf, dass einige nicht genehmigte Veränderungen, Teilreparaturen und Zwischenwände da waren, die nun untersucht und abgerissen werden müssen. Solche willkürlichen An-, Um- und Überbauten sind auch früher schon vorgekommen, es ist nicht sicher, ob uns das weiterbringt. Mir bleibt nichts anderes übrig als einen kühlen Kopf zu behalten.

Bei meinen Ermittlungen in dieser Bedesten-Raubsache ist es schwierig, die Wahrheit herauszufinden. Wenn mir das auch nicht liegt, muss ich doch einige Leute foltern lassen, die ihre Überschüsse in Silber- und Goldmünzen gemäß ihrer Buchhaltung nicht beweisen können, um den Grund herauszufinden. Das sind halt Menschen, die sich nicht mal ihrer Schuld bewusst sind, und unsererseits gibt es eben diese Methode. Unter Androhung von Folter oder angewendeter Folter leichter Art packen sie dann aus. In anderen Ländern wird es auch nicht anders gehandhabt, höre ich öfter von Leuten, die von dort geflohen sind, um bei uns im Osmanischen Reich besser und sicherer zu leben. "Das weniger Schlimme ist besser als das Schlimmste" sagt der Volksmund.

Kapitel 27

Ich bin Aslihan, die Tochter des Astronomen Takiyeddin Maruf Efendi und Gülhayats Schwägerin. Jetzt melde ich mich zu Wort. Denn der Bedesten im großen Basar ist wegen der Ermittlungen nach dem Raub geschlossen. Ich mache mir Sorgen wie viele andere auch, Käufer, Verkäufer, Lieferanten und Einkäufer aus weiten Ländern. Wie ich höre, machen sich sogar die Istanbuler Wasserverkäufer schleunigst daran, bei ihren Kunden ihr Guthaben zu kassieren. Tausende Menschen, reich oder arm, die an ihre Vertrauenskassen wollen, weil sie ihr Geld brauchen, egal für was, Handel, Hochzeit oder für tägliche Bedürfnisse, dürfen nicht. Sie müssen sich anderweitig behelfen.

Ich bin Hebamme und die besten Geräte für Entbindungshilfe werden in Läden im Bedesten zum Verkauf angeboten. Was wäre, wenn die Preise meiner medizinischen Hilfsmittel, die ich bei Entbindungen meiner Schwangeren brauche, am Markt oder Schwarzmarkt ins Unermessliche stiegen oder gar nicht zu finden wären? Wenn der Basar endlich wieder geöffnet würde, könnten alle aufatmen. Ansonsten ist bei uns daheim alles in Ordnung. Mein Vater erteilt Kindern Privatunterricht, die Mathematik, Astronomie und Philosophie lernen wollen oder sollen. Seine Schüler gehören allen Schichten der Gesellschaft an. Er wird von allen Schülern und ihren Eltern sehr geachtet. Ich habe aber den Eindruck, dass meinen Vater das Unglück, vielmehr die Gemeinheit, die Vernichtung der Sternwarte, sehr verletzt haben muss, obwohl viele Jahre vergangen sind, hat diese Sache doch tiefe Narben hinterlassen, auch wenn über Trümmer Gras wächst.

Ich habe alle Möglichkeiten, die einem Mädchen heutzutage zugebilligt werden, mit Unterstützung meines Vaters in Anspruch genommen und drei Jahre lang Geburtshilfe und Hilfe zur Müttergenesung gelernt. Kindern ans Licht der Welt zu verhelfen macht mir Freude. Seit drei Jahren stehe ich Müttern vor und bei der Entbindung bei und pflege sie, bis sie wohlauf sind. Meist sind sie in einem Alter zwischen 15 und 30 Jahren. Meine Lehrerin, die Hebamme Cevahir, deren Name "Juwel" bedeutet, ist eine sehr liebe, Vertrauen erweckende, selbstsichere Frau. Sie kann sogar mit ihrem Schellentamburin und Gesang so manche Mutter, die nach einer Entbindung in gedrückter Stimmung ist, wieder in Schwung bringen und hat mir auch das beigebracht.

Mit meiner Hilfe geborene Kinder betreue ich in der Regel sieben bis acht Wochen lang nach der Geburt. Meine Arbeit ist nicht nur für die Mutter, sondern auch für das Kind wichtig. Wenn ich feststelle, die Schwangere weiß nicht allzu viel über Säuglingsbetreuung, so verwende ich für sie und das Kind mehr Zeit, damit sie die notwendigen Grundregeln beherrschen lernt. Obwohl ich diesen Beruf erst seit drei Jahren ausübe, bin ich bei vielen Leuten zwischen Fatih und Süleymaniye für mein Wissen und meine Sorgfalt bekannt und gefragt. Ich bringe auch in Konaks der Reichen die Kinder zur Welt. Sie zahlen in der Regel besser. Bei den Ärmeren nehme ich etwas weniger, als sie geben wollen.

Säuglinge, die in Istanbul zur Welt kommen, werden gleich gefeiert und sind bei allem dabei, denn nach der Entbindung werden die Mutter im Wochenbett und das Kind von allen Nachbarinnen, Verwandten und Bekannten besucht. Mutter und Kind bekommen kleine Geschenke. Dafür wird das Zimmer mit den schönsten bestickten Tüchern, den mit zierlichen Spitzen versehenen Kissenbezügen, unter denen leuchtend farbige Seide schimmert, geschmückt. Die kostbarsten Spitzendecken werden aufgelegt und alles ist so schmuck wie nur möglich hergerichtet, als komme ein Prinz oder eine Prinzessin. Bei der im Bett geschmückt präsentierten Mutter liegt in einem seidenen Steckkissen, das eigens für diesen Zweck angefertigt wird und an welchem die Gäste die Geschenke befestigen, das gewickelte und in feine Wäsche gekleidete Kind. Die angehörigen Frauen der Wöchnerin reichen den Gästen und der Wöchnerin ein Erfrischungsgetränk, das nur bei solchen Anlässen zubereitet wird. In wohlhabenden Häusern werden eigens dafür benutzte Kredenzen verwendet, in denen das leuchtende Rot des klaren Getränkes besonders schön zur Geltung kommt. Es schmeckt nach Gewürzen und Früchten, ist süß und erzeugt ein angenehmes Volumen auf der Zunge. Es gibt verschiedene Rezepte.

Die nächste Feier steigt, sobald der erste Zahn gesichtet wird. Wer den Zahn als Erster sieht, muss dem Kind ein kleines Geschenk machen und das Zahn-Weizen-Fest wird gefeiert. Dafür werden zuerst Weizenkörner eingeweicht und anschließend schonend gekocht. Die geplatzten Körner sehen aus wie Milchzähne. Der Weizen wird auf einer Platte zum Auskühlen locker aufgehäuft. Gestoßene Nüsse, eingeweichte, abgetropfte Rosinen, geschälte Mandelkerne und gezuckerter Zimtpuder zum Würzen werden untergehoben. Der Jahreszeit entsprechend werden auf das Ganze möglichst Granatapfelkerne gestreut, die dann wie Edelsteine auf dem Wunderhügel leuchten. Die Angehörigen und die Kinder kommen und verzehren mit großem Spaß Portionen von diesem Hügel. Es wird viel erzählt, das Kindlein wird herumgereicht und gelobt. Es wird musiziert und getanzt. Zur Unterhaltung wird ein Orakel veranstaltet: Auf eine große, getriebene, verzierte, runde Kupferplatte werden Gegenstände wie Spiegel, Kamm, Schreibfeder, Papier, ein Hämmerchen oder eine kleine Zange gelegt. Dann wird das Kind auf diese Platte gesetzt. Alle blicken erwartungsvoll auf das Kind, denn was es von den Gegenständen zuerst ergreift, sagt man, deute auf sein Interesse und führe später zu seinem Beruf. Ob das zutrifft, ist natürlich eine andere Frage, wo doch die Berufe weitergegeben werden vom Vater auf den Sohn und nur wenige Kinder andere Berufe ergreifen. Jedenfalls macht es Spaß, ein bisschen zu orakeln. Wenn ich nicht gerade entbinden muss, gehe ich auch zu diesen Einladungen und sonst gehe ich später an einem anderen Tag, um den Zahn des Kindchens zu bewundern.

Söhne werden üblicherweise im Alter zwischen fünf und acht Jahren beschnitten. Das ist dann ein ganz großes Fest. Ich bin ja erst seit drei Jahren Hebamme und deshalb haben meine Kinder, denen ich ans Licht der Welt half, noch nicht das Alter erreicht, in dem sie beschnitten werden. Hebamme bin ich gern.

Was meine Zukunft betrifft, ist es schwieriger, einen Entschluss zu fassen, denn es geht um meine Heirat. Viele Mütter waren schon bei meiner Mutter, um zu erkunden, ob ich denn heiratswillig wäre. Arons Mutter war auch schon bei uns. Aron ist zwei, drei Jahre älter als ich. Er ist der Sohn von Yakob Efendi, dem Buchhändler. Yakob Efendi und Selaniki Mustafa Efendi waren schon als Kinder befreundet, weil sie Nachbarn sind.

Ich war einige Male bei Arons Familie wegen der Entbindung seiner Schwägerin. Da hat er mich angesprochen, ob er denn seine Mutter zu meiner Mutter schicken könne. Ich sagte, dass ich es mir überlegen werde, er solle etwas Geduld haben. Nun ist ein halbes Jahr vergangen und er hat mir einige Male eine Nachricht mit dem Inhalt geschickt, er warte auf eine Antwort von mir. Ich denke, wenn er Muslim würde, könnte ich ihn heiraten, beschnitten ist er ja schon. Üblicherweise ziehen hier aber die Bräute zu den Familien der Ehemänner. Auf diese Weise lernen sie von der Schwiegermutter Brauchtum und Küche des Hauses. Ob Aron wohl einen eigenen Hausstand mit Dienerschaft aufziehen würde? Vielleicht nicht zu Anfang, aber in Zukunft wäre das sicher nicht ausgeschlossen. Arons Vater Yakob liebt seinen Sohn sehr, denn er hat ihm die Ausbildung zum Arzt ermöglicht, obwohl er ihn ja auch in seiner Buchhandlung hätte aufnehmen und ausbilden können. Die ganze Familie ist sehr angesehen.

Meine Mutter müsste vorsichtig bei solch einem Anbahnungsgespräch erkunden, was für Vorstellungen Aron und seine Familie haben. So könnten beide Familien voneinander erfahren, was gewiss beide Seiten bewegt, ohne das Gesicht zu verlieren, denn ich bin mir noch nicht im Klaren.

Wenn ich bei meinen Entscheidungen Zeit brauche, besuche ich meistens eines der vielen Heiligengräber, welche die Bewohner der Stadtteile für ihre verehrten Menschen gebaut haben. Die meisten sind Heiligengräber von Männern. Dort werden in Art der vormuslimischen Türken Stofffetzen oder Fäden an das Grab gebunden und Kerzen angezündet. Es gibt Heiligengräber, die von Leuten für zuständig gehalten werden wegen des Beistands bei Kinderlosigkeit oder in Heiratsangelegenheiten. Ich werde demnächst beim zuständigen Heiligengrab auch eine Kerze anzünden und ein Fädchen von meinem Kleid ans Gitter des Grabes binden und dabei versunken Vergangenes und Zukünftiges in mir vorüberziehen lassen. Vielleicht hilft mir das bei meiner Entscheidung.

Kapitel 28

Unsere Mannschaft, Kapitän Emin Efendi und ich, der Vizekapitän Latif waren heilfroh, dass wir diesem von Schiffsleuten sehr gefürchteten Kefken-Sturm entkommen waren und dass wir bei dieser Schwarzmeerreise keine Reisenden an Bord hatten. Das Schiff war gestrandet und kaum beschädigt. Unsere Haut, auch das Leben des Pferdes und die Fracht waren gerettet.

Diese Kefken-Stürme sind nicht unbedingt jahreszeitlich bedingte Ungeheuer, sie entstehen, wann sie wollen, ausgenommen im Sommer. Dort gibt es Stürme, welche die Schiffe manchmal zwingen, wieder nach Istanbul zurückzukehren. Wenn das gelingt, ist das die sicherste Möglichkeit, Leib und Seele zu retten. Die Landschaft dort, insbesondere die westliche Seite der Landzunge, ist den Winden aus dem Westen ungeschützt ausgesetzt. Seit Jahrhunderten werden dort Schiffe auseinander gerissen, in die Tiefe gezogen oder, wenn es glimpflich verläuft, nur an den Strand geworfen.

Wir waren sozusagen anständig gestrandet und mussten sehen, wie wir das Schiff wieder flottmachen konnten. Dabei hatten wir uns bereits durch kleine Schwierigkeiten und Wartezeiten um fast drei Wochen verspätet. Aber es ging nicht anders. Wichtig war, dass es keine Schäden gab.

Wir schlugen unser Zelt am Strand auf. Mein geduldiger Kapitän Emin und ich kümmerten uns um unsere Leute und die Fracht, die weiter keine Schäden bekommen sollte. Ich fütterte regelmäßig das Pferd "Ala", das zwar von Tag zu Tag umgänglicher geworden war, aber so ein Hengst muss sich an neue Umstände gewöhnen. Jetzt war er getrennt von anderen Pferden. Was das Tier wohl dachte? Ich werde es nie erfahren. Falls ich den Hengst heil nach Istanbul bringe, werde ich dafür sorgen, dass er bei anderen Genossen eine Bleibe findet, am besten in einem Gestüt, wo er von geschickten Lehrern als Rennpferd ausgebildet wird und als Zuchthengst Verwendung findet. "Ala" sollte jedenfalls keine Ausbildung für kriegerische Zwecke haben. Dieser Gedanke tröstete mich; ich war ihm etwas schuldig, weil ich ihn immerhin von seiner Herde getrennt hatte, was mir eigentlich Leid tat.

Am Strand von Kefken waren die Bewohner der Umgebung gewohnt, Zeugen solcher Strandungen oder von Schiffbruch zu sein. Sie waren infolgedessen Sammler geworden, wenn Wrackteile und Treibgut an den Strand gespült wurden. In unserem Fall kamen die Leute und boten uns Hilfe an, falls wir etwas brauchen sollten. Kapitän Emin Efendi gab die Anweisung, abends nach Anbruch der Dunkelheit vorsichtshalber zwei zusätzliche Wachen zu stellen, obwohl im Interesse des Staates von der nächstgelegenen Gemeinde wir und unser Schiff bereits von zwei Wächtern bewacht wurden. Ein kostenloser Staatsdienst, der aber durchaus sinnvoll ist. Ein Wächter begleitete uns, wenn einer oder mehrere der unsrigen zum Dorf gingen, um dort Einkäufe zu erledigen. Seine Aufgabe bestand darin zu helfen und Unvorhergesehenes zu vermeiden.

Wir mussten unser Schiff, das etwa hundert Schritte vom Ufer in seichtem Wasser im Sand steckte, wieder flottmachen. Dafür mussten wir alles, was auf dem Schiff beweglich war, Stück für Stück zum Strand bringen. Das war keine leichte Arbeit. Denn nicht einmal für unser kleines Ruderboot, was wir an Deck hatten, war die Wassertiefe ausreichend. Wir mussten unser Schiff unten, rechts und links mit Balken stützen. Das war bei der Kälte eine harte Arbeit. Die Mannschaft, die im Wasser arbeitete, wechselte sich oft ab und am Strand halfen uns fünf Leute aus der Umgebung, die wir entsprechend bezahlten. Die Arbeiten liefen langsam. "Ala", den Hengst, ließen wir auf dem Schiff, weil es unter diesen Umständen äußerst schwierig gewesen wäre, ihn an Land zu bringen. Er war unruhig und ich besuchte ihn bei jeder Gelegenheit und streichelte sein seidiges Fell, gab Wasser und frisches Futter und erneuerte die Streu. Das half ein wenig, aber ihm fehlte die Bewegung.

Wir brachten das entladene Schiff letztlich nach harter Arbeit mit Seilwinden und durch Schieben wieder frei und zogen es in tieferes Wasser, wo wir es so drehten, dass wir Anker werfen konnten. Dann ließen wir das Schiff von außen gründlich untersuchen und waren froh, als wir hörten, dass nur wenig Schaden entstanden war. Mit einer vorläufigen Kalfaterung konnten die schadhaften Stellen abgedichtet werden und durch Pumpen würden wir noch eindringendes Wasser bis Istanbul beherrschen, denn erst dort konnte das Schiff fachgerecht repariert werden. Nachdem also diese Maßnahmen erledigt waren, wurden die abgeladenen Sachen mit Hilfe der Leute auf unser Ruderboot geladen und wieder zum Schiff gebracht. All das hatte zwei Wochen in Anspruch genommen. Wir waren hinterher froh, als wir es geschafft hatten, die Anker wieder zu lichten, und in Richtung Istanbul unsere Segel setzten konnten.

Kapitel 29

Nun wohne und zeichne ich in Istanbul schon recht lange und habe immer das Gefühl, ich, Ingo Seidel, sei hier geboren oder habe zumindest sehr lange hier gelebt. Warum ich dieses Gefühl habe, weiß ich selbst nicht. Ich vermute, Landschaft und Menschen sind mir inzwischen so vertraut, aber durch die Mannigfaltigkeit, die ich täglich erlebe, werde ich an jeder Ecke überrascht. Wahrscheinlich steckt die Faszination darin, dass der Mensch aus seiner Langeweile herausgerissen wird. Ich freue oder ärgere mich, denke nach und letztlich schöpfe ich daraus neue Kräfte. Der Umgang der Menschen miteinander und die Natur sind beneidenswert.

Ich erlebe diese aus dem Reichtum der Kulturen entstandene Lebensart und vermutlich trage ich auch etwas dazu bei, ohne dass ich und andere es direkt merken. Hier muss sich jeder, ob er will oder nicht, mit allem und jedem auf seine Art befassen, was bei ihm im Überfluss ist, abgeben, und was zu wenig ist, aus anderem schöpfen.

Ich bin mit dem Verlauf meiner Arbeiten zufrieden. An den meisten Abenden gehe ich in den Stadteilen spazieren, mache Pausen in den Kaffeehäusern, in denen die Männer sitzen und sich die Zeit mit Spielen und Unterhaltung vertreiben. Ich trinke Kaffee oder Zitronenmelissentee oder das mir bis dahin unbekannte, heiße Getränk Salep, das aus der pulverisierten Wurzel des Knabenkrauts und gesüßter Milch hergestellt und mit Zimtpuder bestreut wird. Manchmal setze ich mich in einen Laden, wo Boza ausgeschenkt wird. Das ist ein kaltes, dickflüssiges Getränk aus vergorener, gemahlener Hirse und Wasser, mit Zimt und Ingwer bestreut. Vielfach isst man dazu geröstete Kichererbsen. Dieses Getränk ist äußerst sättigend. Es gibt in Istanbul Läden, die nur Boza anbieten. Da kann man stehen oder sitzen, Boza trinken oder Boza in ladeneigenen breithalsigen oder mitgebrachten Flaschen nach Hause mitnehmen. Boza und Salep werden auch von rufenden Straßenverkäufern in Wohn- oder Geschäftsvierteln verkauft. Es gibt auch unzählige Läden, die nur sauer bis süßsauer eingemachtes Obst oder Gemüse verkaufen. In solchen Läden kann man auch nur den Saft des Eingemachten trinken oder diesen abfüllen lassen und mitnehmen. In Istanbul gibt es alles, sogar Hühnerbrustpudding mit Speiseeis, was mir seltsam vorkam, aber lecker schmeckt.

Auf den Straßen und in Kaffeehäusern zeigen die Leute mir gegenüber Interesse, verhalten sich jedoch vorsichtig, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass ich gestört oder belästigt werde. Sie helfen mir, indem sie mir ausführlich etwas erklären, wenn ich frage, und laden mich auch nach Hause zum Essen oder zum Kaffeetrinken ein. So viele Einladungen kann ich gar nicht annehmen. Ich sage in der Regel "eventuell, demnächst" und ähnliches. Avram, der Kayiktschi, der mich in der ersten Woche meines Hierseins am Goldenen Horn mit seinem Zedernholz-Kayik herumruderte, hatte mich zu seiner Familie nach Hause eingeladen. Er wohnt mit seiner Frau und seinen Eltern zusammen im Stadtteil Balat am Goldenen Horn.

Avrams Vater, Moiz Efendi, erzählte mir in gutem Deutsch, dass er Saiteninstrumentenbauer sei und im Großen Basar einen kleinen Laden habe. Er sagte, seine Großeltern seien damals von Wien im Jahre 1460 nach Istanbul ausgewandert. Um das Jahr 1500 hätten auch sehr viele Juden, etwa eine halbe Million Menschen, aus Spanien im Osmanischen Reich vor Verfolgung eine Zuflucht gefunden, viele davon auch in Istanbul.

Moiz Efendi öffnete die Tür zu einem Nebenzimmer und zeigte mir seine Musikinstrumentensammlung. Hunderte Instrumente hatte er bis unter die Decke aufgehängt, aufgestellt oder in Regalen und in Schubladen gelagert. Davon sind mir wohl höchstens dreißig Stück bekannt. Seltsame Objekte zur Klangerzeugung aus fremden Ländern, nicht nur Saiteninstrumente, sondern alle transportierbaren Instrumente, die sich ein Musiker erträumen kann, hatte er gesammelt. Er griff hier und da in die Saiten, zupfte, pochte und strich, blies auf dem einen und dem anderen der Instrumente und klapperte, rasselte und schlug den Gong, der wohl aus China kam, denn es war ein Schriftzeichen eingehämmert. Ein satter Ton, würdig und klar. Moiz Efendi sagte, dass ihm die Karawanen- und Schiffskaufleute aus aller Welt diese Instrumente bringen und in den meisten Fällen schenken, weil sie selbst dafür sehr wenig bezahlt oder sie gar geschenkt bekommen haben. Er habe zwar auch in seinem Laden viele Instrumente, aber hier im Hause seien sie gegen Brand sicherer aufgehoben. Tatsächlich war das Haus aus Stein mit dicken Mauern, ein ganz robust gebautes zweistöckiges Haus aus byzantinischer Zeit und es stand allein in einem kleinen Garten. Er sagte, wenn hier einmal eine Musikschule für Weltmusik gegründet würde, werde er seine Instrumente dieser Schule schenken. Dann fügte er hinzu, wann das allerdings sei, wisse er nicht, es könne auch sein, dass es eine solche Schule erst in 500 Jahren geben werde. Dann müssten seine Ururenkel diese Schenkung durchführen. Er spielte auf einem mir unbekannten Saiteninstrument aus China. Wir tranken einen Feigenschnaps aus kleinen geschliffenen Gläschen, der mir vorzüglich mundete und Moiz Efendi sang dann spanische und Istanbuler Lieder.

Ich erzählte ihm, was ich zur Zeit mache, und von meinen Eindrücken von Istanbul, von Land und Leuten und dass ich hier sehr gerne lebe und arbeite. Er empfahl mir auch andere Städte in der Türkei zu besuchen, beispielsweise Bursa, Konya, Manisa, Izmir und Alanya. In jenen Städten könnte ich, unabhängig von meinem Auftrag, Istanbuler Märchen zu bebildern, sehr viel sehen. Vor der Ästhetik der Bauten, die in jenen Städten zu sehen seien, er erlaube sich es so auszudrücken, würden die Menschen mit offenem Mund stehen bleiben. Die Bauten und Ruinen von Hethitern, Römern und Byzantinern, ebenso die vorosmanischen Kulturen, insbesondere die der Seldschuken, wären sehr sehenswert. Die seldschukischen Bauten, die alle in gutem Zustand seien, nannte Moiz Efendi "Gedichte der Architekturkunst". Ich nahm seine Empfehlungen mit Dank an und verabschiedete mich. Ich hatte ihm eine gefällige Zeichnung vom Goldenen Horn als Gastgeschenk mitgebracht. Er gab mir zum Andenken ein kleines Saiteninstrument aus Ägypten mit, wovon er, wie er sagte, noch einige habe.

Die Gebetsrufe von den Istanbuler Minaretten sind mir inzwischen vertraut. Jetzt zum späteren Abend wurden von allen Minaretten wieder sehr schön klingend die Muslime zum fünften und letzten Gebet des Tages gerufen und somit daran erinnert, dass kurz nach dem Gebet Mensch und Tier zu ruhen haben.

Mittlerweile habe ich auch den Bosporus landwegs besichtigt und Zeichnungen gefertigt. Diese Bosporuszeit erlebte ich wie die Zeit am Goldenen Horn, als sei ich jeden Tag in einer anderen Welt und doch als sei ich immer schon da gewesen. Dieses seltsame Gefühl habe ich fast auf jeder Straße und Gasse Istanbuls. Einige Male war ich auch in Galata, wo Kaufleute aus aller Welt wohnen und arbeiten und wo wieder andere Bauten und andere Leute sind. Ich brauche gar nicht so weit gehen, um mich ist das Abbild der Bevölkerung unserer Erde. Als Nächstes wollte ich die Prinzeninseln direkt vor Istanbul im Marmarameer und das auf der anderen Seite des Bosporus gelegene Üsküdar besichtigen. Es könnte doch sein, dass mir eine Frau in diesem kulturellen Schmelztiegel von Istanbul begegnet, mit der ich eine Familie gründen könnte, denn meine Frau ist vor fünf Jahren an der Pest gestorben. Als sie starb, war sie im dreißigsten Lebensjahr. Ich habe sie sehr geliebt. Ihr Andenken gibt mir den Mut, weiterzuleben und vielleicht sogar wieder eine Ehe zu schließen. Wenn ich die rechte Frau hier in Istanbul finden sollte, könnten wir sogar hier gemeinsam leben, denn ich fühle mich sehr wohl hier.

Inzwischen war ich einige Male bei Schattenspiel- und Puppenspielvorstellungen für Erwachsene. Ich hatte mit soviel Arten von Figuren gar nicht gerechnet. Es waren nicht nur menschliche Typen, sondern alle möglichen Requisiten wie Tiere, Pflanzen, Bauten und Gegenstände im Spiel zu sehen. Schattenspiel und Puppenspiel sind voneinander getrennte Künste. Auch die Vorführungen sind getrennt.

Manchmal sprachen in Puppenspielvorführungen die Puppen die Zuschauer an. Einmal wurde auch ich angesprochen. Es war eine Puppe, die einen schlauen, schlagfertigen Typ darstellte. Er fragte, wie ich heiße. Ich sagte "Ingo". Er sagte "Mingo". Ich sagte "Ingo", er sagte "Ningo". Ich durchschaute sein Spiel und fragte ihn, wie er heiße. "Ibisch", sagte er. "Mibisch", fragte ich. "Ibisch", sagte er, "Bibisch", sagte ich. Dann sagte er zu mir "Tschok yascha Ingo", lang lebe Ingo!

Alle lachten wohlwollend. Ibisch wandte sich seinem "Ihtiyar" zu, von manchen Jungen auch "Moruk" genannt. Der "Alte" stellt einen geizigen Reichen dar. Ich kann von der Sprache wenig verstehen. Das macht mir aber nichts aus. Die Vorführungen sind jedes Mal schön, weil ich das auf die Vorführung reagierende Publikum beobachte. Wortgewandtheit und Witze werden mit Beifall und Gelächter und kleinen Kommentaren begleitet. Ich hatte über diese Schatten- und Puppenspiele in München in einem Bericht eines Gesandten gelesen und unter anderem erfahren, dass die schlimmsten Witze über Missstände und Dummheiten gerissen werden, wobei die Bürokratie in den Palästen auch nicht zu kurz komme. Man lässt die Possenreißer gewähren.

Bis in den Oktober, sechs Monate nach meiner Ankunft in Istanbul, habe ich insgesamt wohl hundert brauchbare Zeichnungen geschaffen, von denen ich ein Dutzend auswählte, um daraus hier in Istanbul Kupferstiche anzufertigen. Die benötigten Platten würde ich hier in Istanbul ziehen lassen. Ich würde in der kalten Jahreszeit bei schlechtem Wetter die Platten in meinem behaglichen, warmen Häuschen bearbeiten. Die Farbe und das Werkzeug hatte ich in einem Lederfutteral aus der Heimat mitgebracht, nur eine Druckerpresse und das geeignete Papier musste ich noch auftreiben.

Kapitel 30

Ich bin der Sohn des Astronomen Takiyeddin Maruf Efendi, heiße Altunbay und bin der Mann von Gülhayat. Aus beruflichen Gründen bin ich jetzt schon seit zwei Monaten in Venedig. Ich wohne hier in einem kleinen Stadtteil, in dem unter anderem etwa fünfzig bis sechzig osmanische Kaufleute mit ihren Familien leben, und bin Gast einer solchen Familie, deren Oberhaupt auch bei uns zu Hause in Istanbul bereits eine Woche zu Gast war. Ich befinde mich hier im Auftrag der osmanischen Handelsmarine.

Seit einiger Zeit sind die Beziehungen zwischen dem Freistaat Venedig und unserem osmanischen Staat recht gut. Es gibt zur Zeit rege Handelsbeziehungen und auch Praktikantenaustausch im Handwerksbereich. Ich bin verantwortlich für zehn osmanische Schiffsbaulehrlinge, die hier sechs Monate lang in Schiffsbautechnik ein Praktikum machen. Unsere Lehrlinge lernen hier neu entwickelte Techniken und Geräte kennen, welche die Arbeit erleichtern und beschleunigen. Zur gleichen Zeit sind auch bei uns in Istanbul in der Werft am Goldenen Horn genau so viele venezianische Lehrlinge. Unsere Lehrlinge sind hier in einem großen Lehrlings- und Gesellenhaus untergebracht, zusammen mit Lehrlingen aus anderen Ländern. Ich trage Mitverantwortung für die beruflichen und zum Teil für die privaten Belange meiner Lehrlinge während ihres Aufenthalts in Venedig.

Diesen ausgesuchten jungen Männern wurde schon in Istanbul die Sprache und die Schrift Venedigs von venezianischen und osmanischen Lehrern in Galata sechs Monate lang täglich drei Stunden beigebracht. Die jungen Männer bekamen auch in Gruppen Verhaltensunterricht. Einmal in der Woche übten sie einen ganzen Tag draußen in der Stadt in Begleitung eines Lehrers das Sprechen in Rollenspielen. Sie konnten frei ein aktuelles oder nicht aktuelles Thema wählen. So etwas ist eine gute Sache. Auch ich hatte diese ganze Ausbildung als junger Mann früher mitgemacht. Ich bin nicht wesentlich älter als sie, nur etwa fünf bis sechs Jahre.

Venedig, die Geburtsstadt unserer Sultanin Safiye, ist eine Art Istanbul, aber mit viel mehr nassen Fundamenten der Häuser und es sind keine Hügel da, aber Berge von Waren in Warenlagern. Die ganze Stadt steht in einer Lagune auf etwa hundertzwanzig Inseln. Vor ungefähr tausend Jahren sollen über Pfahlrosten die ersten Gebäude der Stadt errichtet worden sein. Viele Inseln sind miteinander durch sehr schöne Brücken, die Treppenstufen haben, verbunden. Auf manchen Brücken stehen Häuser und Geschäfte. Es gibt wunderschöne Paläste, Kirchen und Häuser. Der große Markusplatz beeindruckt mich sehr. Vier Bronzepferde schmücken das Portal des Markusdomes, die früher einmal für geliehene aber nicht bezahlte Kriegsschiffe als Entschädigung den Byzantinern abgenommen worden waren. Da ist sehr viel, was sonst noch aus Byzanz geplündert worden ist und jetzt Venedig schmückt.

In Venedig bewegt sich alles mit einer Art Kayik, die hier aber Gondel heißt. Im Vergleich zu unseren Istanbuler Kayiks sind sie ziemlich schwer und werden mit Rudern oder auf den hunderten von Kanalstraßen im seichten Wasser auch mit einem Stechruder bewegt. Die Menschen hier sind gut gekleidet und die Gesichter der Frauen unverschleiert. Ich habe das Gefühl, die Leute hier sind ständig unterwegs.

In meiner Freizeit gehe ich allein oder auch mit einem osmanischen Kaufmann oder seinem Gehilfen spazieren und besichtige Kirchen, Paläste und öffentliche Bauten. Oft nehme ich auch meine Lehrlinge mit. Die Wand- und Deckenmalereien, aber auch auf Leinwand gemalte Bilder sind für Leute aus Istanbul, wie wir es sind, sehr interessant. Ob bei uns auch irgendwann Fresken an Wände und Decken oder Gemälde auf Leinwand oder Holztafeln gemalt werden, wer weiß das schon! Ich denke, jede Malerei, auch die islamische Ornamentik und Miniatur, die mit Verstand angeschaut wird, kann unser Gemüt und unsere Seele bereichern. Unsere wunderschönen Miniaturen sind leider in den Büchern in der Regel dem Volk nicht zugänglich. Sie werden dem Gemüt und der Volksseele vorenthalten.

Einige Male brachte ich meine jungen Leute ins Theater. Uns gefielen die Veranstaltungen und wir verstanden die gesprochenen Texte ganz gut. Ich wünschte, dass auch wir bald bei uns so etwas haben. Theater gab es schon vor einigen tausend Jahren. Die Ruinen sind heute noch überall im Osmanischen Reich zu sehen. Vielleicht werden sie eines Tages als Institution mit Bauten und Schauspielern wiederbelebt. Das würde uns bestimmt nicht schaden.

Diese Venezianer, ein kleines Volk auf einem vom Sumpf gewonnenen Stückchen Land, sind durch Handel und Schiffsbau reich geworden. Raubkriege, Kolonien und Handelsniederlassungen tragen auch dazu bei. Ihre Bürger, in erster Linie ihre Reichen, ihre adligen Bürger, haben durch ihren Reichtum eine gewisse Unabhängigkeit erreicht. Anderswo hat nur die Kirche und haben die Fürsten diese Unabhängigkeit erlangt. Diese Unabhängigkeit ist für die Venezianer unverzichtbar und deswegen wagen sie es immer noch, sogar gegen Großmächte wie die Osmanen, zu kämpfen. Allerdings haben sie fast alle ihre Kolonien und Handelsniederlassungen im Laufe der Zeit an die Osmanen verloren.

Unsere Kaufleute und Palastvertreter, die aus bestimmten politischen und handelsbedingten Anlässen nach Venedig kommen, genießen diese Stadt. Venezianer, die unser Istanbul gesehen haben, sind auch sehr angetan. Venezianer finden die Rechte und das Leben ihrer Kaufleute, die überwiegend in Galata leben, in Ordnung. Jedoch der Macht des Palastes, die in der Gesellschaft kein Gegengewicht duldet, stehen sie kritisch gegenüber. Damit müssen ja nicht nur die Venezianer und andere Leute in Galata leben, auch wir, die osmanische Bevölkerung muss damit leben. Dennoch bleibt nichts, wie es ist. Das zeigt die Vergangenheit. In Unterhaltungen pflegt mein lieber Vater Takiyeddin Maruf Efendi zu sagen, dass selbst die Sterne, die uns umgeben, ihre Laufbahn ändern, explodieren, verschwinden und neue Sterne ständig entstehen.

Stellen sich die Menschen, die in der Fremde sind, viel mehr Fragen als sonst? Das muss wohl so sein und es ist nicht schlecht, wenn Menschen sich Fragen stellen. Auch diese Zeit wird, wie schön Venedig auch ist, an Venedig vorbeirauschen. Bald wird meine Zeit in Venedig für mich zu Ende gehen, dann bin ich wieder in Istanbul und lasse mich von meinem "Rosengärtchen" umarmen. Ich habe Sehnsucht und überhaupt duftet es am Bosporus und in allen Gärten Istanbuls letztlich doch nach mehr Blüten der Jahreszeit entsprechend und anders als hier. Mir fehlen in Venedig die Bäume.

Kapitel 31

Ich bin Ursula und schon seit drei Monaten hier in München im Hause der Eltern der Frau des Gesandtschaftssekretärs. Ich hatte sie in ihrem siebten Schwangerschaftsmonat auf der Reise nach München begleitet und kümmere mich hier seither um die Wäsche des Kindchens. Sie hat einen Jungen zur Welt gebracht. Das Kind und die Mutter sind gesund. Der Gesandtschaftssekretär, der uns beide bis nach München begleitet hatte, hat sein Kind noch gar nicht gesehen, denn er war gleich nach unserer Ankunft in München sofort wieder nach Istanbul abgereist.

Die Frau des Gesandtschaftssekretärs möchte noch etwa ein Jahr in München in ihrem Elternhaus bleiben und dann zu ihrem Mann in der Gesandtschaft nach Istanbul zurückkehren. Die Eltern haben genug Bedienstete und sogar eine Amme ist gefunden, denn die Kindesmutter hatte nicht reichlich genug Milch. Die Taufe war inzwischen auch und eigentlich werde ich nicht mehr benötigt. Ich habe gebeten, nach Istanbul zurückreisen zu dürfen. Die Eltern der Frau des Gesandten wollen für mich eine Möglichkeit finden, mit einer Kaufmannsgruppe nach Istanbul zu reisen, so dass ich wohl in zwei Wochen fahren werde. Auf die spätere beschwerliche Rückreise mit dem Kindchen will die Frau ihre ältere Schwester mitnehmen, um ein wenig Hilfe zu haben. Außerdem sei die Gelegenheit günstig, ihre Schwester, die sie sehr liebe, eine Zeit lang in Istanbul bei sich zu haben.

Ich hatte am Anfang etwas Schwierigkeiten, mich hier in München zurechtzufinden. Die Sprache ist schon anders als in Nürnberg, woher ich doch eigentlich komme. Ich merkte aber sehr schnell, dass es gar nicht die Sprache ist, die mich leicht frösteln macht. Das Wetter ist launisch und schlägt aufs Gemüt. Die Bekleidung der Menschen ist so dunkel. Viel Schwarz wird getragen. Die Beziehungen der Menschen zueinander sind hier schwieriger als früher. Katholiken und Protestanten, Leute aus allen Gesellschaftsschichten machen sich gegenseitig das Leben schwer. Während Kaiser Rudolf die Katholiken unterstützt, steht sein Bruder, der mögliche Thronfolger Matthias, auf Seiten der Protestanten.

Werden sich denn demnächst die beiden Brüder vielleicht bekämpfen? Die Menschen würden doch dazwischen zerrieben, ganz gleich ob Katholiken oder Protestanten. Wohin soll das bloß führen? Allzu viel weiß ich über die gesellschaftlichen und politischen Ereignisse hier auch nicht, weil ich eigentlich schon in Istanbul heimisch bin.

Die hiesigen Probleme und die Ursachen kenne ich zu wenig. Ich hoffe immer, mich aus religiösen Streitereien heraushalten zu können, um keine Scherereien zu bekommen. Aber selbst auf dem Markt kann es passieren, dass es Streit gibt und sich Parteien bilden, die dann herumzanken, und wenn ihnen der eigentliche Kern des Streits abhanden kommt, auf Dogmen oder ihrer Abschaffung beharren, Haarspaltereien betreiben und einander wüst beschimpfen. Ich habe auch gehört, dass die Ursachen für dieses unbehagliche Verhalten im Allgemeinen nicht religiöser, sondern machtpolitischer Art sind. Die Fürsten scheinen sich jeweils ihren Vorteil auszurechnen, und was daraus wird, ist schmerzlich für die Leidtragenden. Im Lauf der Geschichte ist das nichts Neues.

Ich denke immer öfter an Istanbul und an Yusuf. Ob er jetzt wohl in Istanbul ist oder unterwegs? Er fehlt mir so ...

Kapitel 32

Ich bin Antonio Morelli aus Venedig und gehe mit meinen Lehrlingen häufig in den Basar. Wir sind mindestens einmal in der Woche im Basar, oft nicht unbedingt der Einkäufe wegen, sondern um dieses wahrliche Welttheater neugierig zu betrachten und zu genießen.

Dieser Basar ist wie ein Magnet. Aus allen Ländern der Erde trifft man hier Menschen und Waren in Hülle und Fülle an. Gleiche Warengruppen sind in einer Straße. Die Händler sitzen meistens im vorderen Teil ihrer Läden, mit Würde, still, nachdenklich und aufmerksam. Ihre Aufmerksamkeit ist offen gegenüber den Geschehnissen und Kunden. Ich wundere mich immer wieder, woher sie nur diese Geduld nehmen? Die Händler wirken in ihren farbigen Kleidern beeindruckend und sie sind großzügig. Wenn ein Käufer nicht ausreichend Geld bei sich hat, sagen diese Geschäftsinhaber, es sei nicht schlimm. Bei nächster Gelegenheit könne der Mann oder die Frau den fehlenden Betrag zahlen. Wenn es sich nicht ergibt, sei das auch nicht schlimm, sagen sie. Das ist erstaunlich ... Wenn morgens ein Laden seine erste Kundschaft hat, schickt der Händler den zweiten Kunden zum Nachbarladen, weil der noch keinen Kunden hat. Ich wurde mit meinen Jungen Zeuge eines solchen Falls. Das ist für uns merkwürdig, aber so ist es halt. Dann hörten wir, dass im Basar ein Raub vorgekommen sei. An einem Freitag. An jenem Tage waren auch wir im Basar. Was für ein Gegensatz in einem Land, in dem Vertrauen groß geschrieben wird, in dem ein Mensch, wer und von wo er auch ist, von Budapest bis nach Jemen, in einem Dorf oder einer Kleinstadt als Gottesgast jeweils drei Tage kostenlos untergebracht und beköstigt wird.

Sicher wird man auch uns alle befragen, ob wir verdächtige Personen bemerkt haben, und uns durch Fragen in die Enge treiben, denn so ein Vorkommnis bringt alle Sicherheitskräfte auf Trab. Dolmetscher werden eingesetzt und peinliche Untersuchungen werden vorgenommen. Möglicherweise werden auch Hausdurchsuchungen stattfinden und auch das Ledigenheim wird auf den Kopf gestellt. Alle meine jungen Leute sind zu jeder Zeit beaufsichtigt. Niemand würde ihnen diesen Raub anhängen können. Trotzdem werden sicher Verhöre erfolgen und sie werden einzeln gefragt werden.

Mein Gott, wie kann so ein Raub überhaupt passieren, wo doch überall so viel Überwachung ist! Gerüchte sind auch gleich in Umlauf gekommen. Blühende Phantasie! Jeder macht sich eine eigene Version von der Sache und malt sich auch gleich die Folterqualen und das Ende aus, das diejenigen erwartet, die schuldig sind. Die Strafen sind hart, die Köpfe sind sehr locker auf den Hälsen. Mir erscheint die ganze Behaglichkeit, die wir hier bisher erlebt haben, verdorben. Bisher wurden wir überall, wo wir hinkamen, mit Höflichkeit, Freundlichkeit und Anerkennung aufgenommen. Die Menschen hier sind gewöhnt, jeden Tag Menschen aus aller Welt zu begegnen, die anders aussehen, sich anders kleiden, sich in anderen Sprachen unterhalten, aber eben auch bloß im Kern aus Haut und Knochen sind wie sie selbst. Vor allem haben alle diese Menschen Kontakte auf verschiedenen Ebenen unter sich, im Handel und anderen Dingen. Ich hoffe sehr, dass sich die Gerüchte wegen des Raubes nicht nachteilig auf die Beziehungen meiner jungen Leute auswirkt und man uns nun mit Vorurteilen begegnet anstelle der bisherigen Aufgeschlossenheit.

Wir haben uns alle im Ledigenheim zusammengesetzt und miteinander geredet und jeder hat sich Gedanken gemacht über seine Herkunft und seinen Werdegang. Es sind ja noch so junge Leute, die allenfalls aus der Geschichte lernen können. Ihre eigene Lebenserfahrung ist noch nicht so reich. Wir sprachen über Venedig und die Beziehungen zum Osmanischen Reich und die Geschichte der Türken überhaupt, die aus der Steppe Asiens kamen, weil sie von anderen Mächten verdrängt wurden und gezwungenermaßen nach Westen hin Eroberungskriege geführt haben, bis sie eine so große Staatsmacht wurden. Da haben wir uns natürlich gefragt: Warum haben sie all diese grausamen Eroberungskriege gegen unsere venezianischen Kolonien geführt? Die Antwort liegt auf der Hand, auch wir Venezianer hatten uns auf Kosten anderer erweitert, bereichert und für eine unvorhersehbare Zeit stabilisiert und damit unseren Handelsschiffen und der Bevölkerung Raub und Brand und Leid erspart.

Jahrhundertelang war im Mittelmeerraum kein Ort von Piraterie und Krieg verschont. Selbst die verborgensten Schluchten der verlassensten Orte der Mittelmeerinseln dienten den Menschenhändlern als Sklavenquellen. Auf der Insel Ibiza, wo unter anderem die Nachkommen der Phönizier lebten, wurden oft die Leute überfallen und ausgeraubt. Damals wurden mein Großvater, meine Großmutter und drei Kinder, von denen eins später mein Vater wurde, versklavt und in verschiedene Länder verkauft.

Als Zwölfjähriger versklavt, kam mein Vater nach Venedig. Er wurde im Schiffsbau eingesetzt. Recht und schlecht wurde daraus dann später erneut eine Familie unter neuen, anderen Umständen. Mein Vater wurde leider nicht alt. Er war ein gescheiter Mann. Ich habe von ihm viel gelernt. Ihm verdanke ich, die Geschehnisse mit kühlem Kopf zu sehen, zu denken, zu entscheiden und zu handeln, ohne sie auf die eigene Familie, das Land oder die Religion zu beziehen. Das hat mir geholfen. Ich ging auch, aber aus freiem Willen, zum Schiffsbau und gewann bald das Vertrauen der Leute, mit denen ich zusammenarbeitete. Auch mit den Vorgesetzten kam ich klar und die mit mir.

Als für diesen Lehrlingsaustausch Lehrlinge und ein Leiter gesucht wurden, meldete ich mich und bekam die Leitungsposition. Ich durfte mir die Lehrlinge selbst aussuchen. Bei der Auswahl der Lehrlinge ging ich von Eigenschaften aus, von denen ich glaube, selbst darüber zu verfügen. Bis jetzt haben mich meine zehn Lehrlinge nicht enttäuscht. Es sind eifrige Schüler. Sie arbeiten gern und sind erfolgreich.

Ich bin fünfundzwanzig Jahre alt. Die Lehrlinge sind zwischen sechzehn und achtzehn. Einige Rosinen haben sie schon im Kopf. Das ist aber in Ordnung. Die meisten von ihnen haben in Venedig ihre Liebchen oder Enttäuschungen zurückgelassen. In dieser Stadt Istanbul, insbesondere in Galata, fühlen sie sich fast wie in Venedig. Uns läuft die Zeit davon. In einem Monat ist bereits die Rückreise. Ich ahne, dass viele sich einen längeren Aufenthalt gewünscht hätten. Für Istanbul muss man viel viel Zeit mitbringen. Die Zeit entgleitet einem hier wie nasse Seife.

Wir sind in Galata in einem katholischen Ledigenheim untergebracht. Unsere Werft, in der das Praktikum durchgeführt wird, befindet sich auch auf der Galata-Seite des Goldenen Horns. In der kilometerlangen riesigen Werft mit insgesamt 120 Trockendocks werden Schiffe aller Art gebaut und repariert. Handelsschiffe, insbesondere die im Mittelmeer fahren, müssen gegen Piraten gerüstet sein. Diese Schiffe verfügen daher auch über Kanonen und Leute, die damit umgehen können. Auch Matrosen müssen kämpfen können, wenn es darauf ankommt, um Piraten loszuwerden. Rudersklaven sind auf Handelsschiffen überwiegend inländische Gefangene auf Zeit, aber auch Kriegsgefangene werden eingesetzt. Auf venezianischen und allen anderen Handelsschiffen ist es auch so.

Auf der Werft am Goldenen Horn ist die Lern- und Arbeitsatmosphäre ganz gut. Unsere Lehrlinge lernen nützliche Neuerungen, den Umgang mit Holz, Metall und Seilen, die teilweise aus anderen Grundmaterialien bestehen als die uns in Venedig bekannten. Die osmanischen Meister sind großzügig, wenn sie ihr Wissen den Lehrlingen vermitteln. Alle zwei, drei Wochen werden wir von verschiedenen Meistern zum Abendessen eingeladen. Bei diesen Einladungen bekommen wir sehr unterschiedliche, leckere Gerichte, Nachspeisen und Getränke vorgesetzt, die für uns teilweise neu sind.

Männer und Frauen essen in islamischen Häusern in der Regel getrennt. Aber einmal wurden wir von einem Schmied, einem Armenier, eingeladen. Die Familie wohnte im Stadtteil Kumkapi von Istanbul. Da haben seine Frau und zwei hübsche Töchter mit uns zusammen gegessen.

Eine Tochter ist im heiratsfähigen Alter. Sie heißt Mari. Wir tauschten zwischendurch sanfte Blicke. Die Töchter kicherten untereinander. Die jüngere Tochter liebäugelte mit dem Lehrling Ricardo. Wir gaben uns größte Mühe mit unserem Türkisch, das wir in Venedig begonnen hatten zu lernen, und lobten die leckeren Speisen. Ich erzählte von Venedig, womit die Leute ihr Geld verdienen, wie sie wohnen, von regelmäßigen kleinen und von großen Überschwemmungen und der Landwirtschaft in Venezien und davon, wie die Stadt Venedig regiert wird. Der Gastgeber erzählte uns, dass in Galata seit Generationen viele Menschen aus Venedig ansässig sind und die Männer überwiegend in Handels-, Handwerks- und Versicherungsgeschäften tätig sind. Ihre Bekleidung und ihre Sitten haben sich nicht allzu sehr geändert.

Zurück im Ledigenheim gingen wir, wie schon so häufig mit guten Gefühlen und Erinnerungen an den angenehmen Abend zu Bett. Ich dachte an die schöne Mari. Würde ich um ihre Hand bitten, würden ihre Eltern wahrscheinlich nicht nein sagen. Es könnte aber sein, dass sie verlobt ist oder schon jemanden in Aussicht hat. Es wäre gut, wenn ich das herausfinden würde. Andererseits überlegte ich mir, falls es zu einer Heirat käme, wo Mari für sich die Zukunft sieht? Ob sie wohl Istanbul oder Venedig vorziehen würde. Ich hatte beim Essen erwähnt, dass mir hier in der Werft eine dauerhafte, gute Stelle als Aufsichtsingenieur angeboten wurde. Das Arbeitsangebot wollte ich mir noch überlegen. Wenn überhaupt, dann würde ich gerne meine Mutter nach Istanbul holen. Meine Mutter wäre hier in Galata, aber auch irgendwo in einem Stadtteil von Istanbul mit ihrem Sohn und einer schwarzäugigen Schwiegertochter bestimmt glücklich.

Kapitel 33

Ich, der Herbergsverwalter Ibrahim in Galata, musste seit Bekanntwerden des Raubes im Bedesten meine Aufmerksamkeit verdoppeln; am gleichen Tag noch wurde mir, und sicher auch anderen auf ähnlichen Posten, wie üblich die Sachlage mitgeteilt und unsere Aufmerksamkeit verlangt, um zu berichten, falls sich hier Verdächtiges ereignet.

In Galata passiert immer etwas. All die Leute, denen Geldausgabemöglichkeiten in Saufgelagen oder auch Frauenangelegenheiten auf der Istanbuler Seite nicht ausreichen, kommen nach Galata, um hier vom größeren Angebot zu profitieren und weit von neugierigen Blicken ihr Leben zu genießen. Dass es in Galata etwas anders ist, muss allerdings nicht heißen, dass hier Saus und Braus und Gesetzlosigkeit herrschen. Der lange Arm des Staates ist hier in Galata genauso lang wie an sonstigen Orten, aber etwas duldsamer.

Unser Galata hat eine etwas andere Bevölkerungsstruktur. Hier leben Menschen aus allen Teilen der Erde, um ihre geschäftlichen und politischen Angelegenheiten zu vertreten oder zu erledigen. Da gelten eben andere Normen, die man nicht für die Stadtteile drüben geltend machen kann. Bei dunklen Taten wie Raub und Mord oder Betrug werden verdächtige Leute hier in Galata genauso wie woanders verhört oder es wird ihre Mitarbeit bei der Aufklärung verlangt.

Es sind in unserer Herberge wie immer Gäste vom Osten und vom Westen des Osmanischen Reichs und außerhalb des Reichs, aus Asien, Westeuropa, Osteuropa, aus Afrika, und selten zwar, doch auch aus den neuen Ländern in Übersee. In den meisten Fällen sind unsere Gäste Kaufleute und ihre Gehilfen. Unsere Herberge ist ein durchschnittliches Haus unter Gleichen und bietet achtzig Leuten und dreißig Lasttieren Unterbringungsmöglichkeiten. Das Haus gehört einer armenischen Stiftung. Die Leiter solcher Häuser und ihre Beschäftigten müssen natürlich unbestraft sein und ihre Einstellung muss vom Großwesir genehmigt werden. Im Umkreis gibt es genügend Garküchen und Schenken, wo die Leute essen und trinken können.

Hier in Galata gibt es auch Freudenhäuser, die offiziell nicht erlaubt sind. Den Kunden sind sie bekannt. Wenn einer sich nicht auskennt, muss er sich eben in den Schenken danach erkundigen. Die in Freudenhäusern beschäftigten Frauen müssen sich selber vor Geschlechtskrankheiten schützen, indem sie bestimmte Regeln einhalten, sich sorgsam mit wirksamen Mitteln waschen und Hilfsmittel benützen. Im Vergleich zu Freudenhäusern in Westeuropas Städten beispielsweise, in denen Geschlechtskrankheiten grassieren, haben diese in Galata einen weniger schlimmen Ruf. Abgesehen davon wird immer behauptet, diese oder jene Geschlechtskrankheit käme eigentlich aus einem anderen Land.

Tatsache ist, dass die Orte des Vergnügens weniger kriminell sind als die des Anstands. Das ist meine bisherige Erfahrung. Die schlimmsten Dinge passieren in ganz normalen Familienhäusern und ganz normalen Geschäftshäusern, wenn es um Erziehung, Moral, Anstand oder unberechtigten Gewinn, also um Betrug geht.

Istanbul und Galata haben in menschlichen und geschäftlichen Angelegenheiten einen viel besseren Ruf als andere Weltstädte. Das höre ich immer wieder von den Reisenden, die bei uns hier in Galata Quartier nehmen und geschäftlich zu tun haben. Wenn sie etwas verlieren oder etwas irgendwo vergessen, kommen sie in den meisten Fällen wieder an ihre Sachen. Raubüberfälle sind so gut wie unbekannt. In dunklen Nischen innerhalb und außerhalb des Osmanischen Reichs hingegen werden Falschmünzen mit weniger Gold- und Silberanteilen hergestellt, die überwiegend aus Venedig, Holland und England stammen und hier in Galata und anderswo mit anderen Währungen bei Geldwechslern umgetauscht werden und so in Umlauf kommen. Nicht zuletzt wegen der in Umlauf befindlichen Falschmünzen kommt das Osmanische Reich mit seinen Zahlungsdefiziten mehr und mehr in finanzielle Bedrängnis und verliert politische Macht. Eine baldige Besserung ist auch nicht in Sicht.

Die Händler aus Galata und die einquartierten Kaufleute wären froh, wenn die Täter des Basarraubes gefunden und festgenommen wären, weil sie dann wieder ihren Geschäften im großen Basar nachkommen und ihre Handelsbeziehungen pflegen könnten.

Kapitel 34

Ich, Yusuf, bin nach einer überwiegend unbeschwerlichen Reise über Mosul mit unserer Karawane in Bagdad angekommen. Ich hatte nur zwei Kamele gemietet, von denen ich eins geritten hatte und eins einem Kaufmann zum Warentransport weitervermietet hatte. Alle luden die Waren von den Kamelen ab. Auf dem Kamel, das ich weitervermietet hatte, hatte der Kaufmann Ware aus Konya transportiert und wir kamen ins Gespräch. Er handle unter anderem mit Teppichen und Kelims. Er bestelle Kelims bei den Zwischenhändlern, die über die Dörfer gingen und jedes Mal, wenn er wieder in Konya sei, besuche er die Zwischenhändler und hole fertige Kelims ab, die bis dahin angeliefert worden seien. Er schwärmte von den geometrischen Mustern und der Besonderheit der Herstellung auf den schmalen Nomadenwebstühlen, welche die Frauen mit auf die Sommerweiden in kühlere Gegenden mitnehmen. Die Kelims seien zu Läufern zusammengenäht. Manche bestehen aus zwei Kelimstreifen, die ein von Bordüre umrahmtes Mittelfeld ergeben, wenn man den Kelim aufschlägt. Die schönsten Kelims seien seiner Meinung nach welche aus Obruk oder Akviran und Umgebung. Die seien aus Wolle und die Farben besonders schön, aber das sei natürlich Geschmackssache. Mit Kelims hatte ich mich bis dahin nicht befasst. Ich lerne auf jeder Reise dazu. Bis zu unserer Rückreise hatten wir zwei Wochen Zeit, um unsere Einkäufe in Bagdad zu erledigen.

Die Kaufleute aus Istanbul, die Karawanenführer und sämtliche Schutzsoldaten, die uns begleitet hatten, wir alle waren in einer schönen Karawanserei untergebracht.

In Bagdad war das Frühjahr mit ganzer Pracht eingebrochen. Ich begann die Großhändler wegen Essenzen und Parfums aus aller Welt zu besuchen. Es war inzwischen für mich weniger schwer, bei Qualität und Preisverhältnissen der angebotenen Ware Entscheidungen zu treffen. Nur bei Weihrauch musste ich sehr aufpassen, dass die Ware nicht minderwertig vermischt war. In einer Woche erledigte ich meine Käufe und mietete für die verbleibende Woche einen Platz in einem Lager. Meine gekaufte Ware in insgesamt zwanzig Kupferkanistern plombierte ich mit meinem Siegel.

Die Karawanenmannschaft erholte sich von der Reise und kümmerte sich tagsüber um ihre Geschäfte. Wie die meisten Leute blieb ich abends in der Karawanserei und wärmte mich am Kamin in meinem Zimmer, das ich mit zwei anderen Kaufleuten teilte. Gegen Ende der ersten Woche erkrankte fast die Hälfte der Mannschaft einschließlich unserer Schutzsoldaten an einer Erkältung, die mit Fieber und Muskelschmerzen verlief. Unter den Erkrankten war auch ich. Die gerufenen Ärzte behandelten uns mit Süßholz gesüßtem Pfefferminztee, dem Eukalyptusöl beigefügt war, und mit Pillen. Ich musste die ganze Zeit das Bett hüten und tröstete mich nachts mit dem wunderschönen südlichen Sternenhimmel, den ich mir durch das Zimmerfenster anschauen konnte. Wie schade, dass der Himmel im Norden nicht so sternenreich ist! Einer der Händler, mit denen ich das Zimmer teilte, war ein Glas- und Keramikfarbenhändler aus Istanbul-Tahtakale, der andere ein Seidendamastkaufmann aus unserem bedeckten Basar in Istanbul. Wir verscheuchten die Langeweile und erzählten bis zur Schlafenszeit abwechselnd Märchen, die wir kannten. Mein inzwischen gutes Türkisch verdanke ich auch den vielen Märchen, die ich bis dahin in Karawansereien gehört hatte. Die beiden älteren Händler hatten einen erheblich größeren Märchenvorrat als ich, weil sie seit vielen Jahren während ihrer Reisen den Märchenerzählern gelauscht hatten. Sie erzählten, dass die Märchenerzähler ihre Märchen als Familiengut hüten und nur die eigenen Nachkommen diese Märchen als Märchenerzähler erzählen dürfen. Es sei ein richtiger Beruf, so wie wenn ein Weber köstlichen Brokat webt oder ein Silberschmied Ziergegenstände herstellt.

Als wir wieder einigermaßen gesund waren, unsere Geschäfte erledigt hatten und wir die letzten Vorbereitungen getroffen hatten, brach unsere Karawane mit einer Woche Verspätung zur Rückreise auf. Diesmal hatte ich wenig in Bagdad erleben können. Ich genoss es, wieder wohlauf zu sein, und freute mich mit jedem Tag auf das Ende der Reise. Ich hatte Sehnsucht nach allen, die ich kannte, vor allem freute ich mich auf meine liebe Rose Ursula, die wohl inzwischen wieder in Istanbul sein müsste. Wenn unsere Karawane irgendwann in Konya Halt macht, werde ich einen Kelim kaufen. Die Läufer aus Akviran oder aus Obruk sollen ja besonders schön sein. Ich werde nicht mit leeren Händen Ursula fragen, ob wir unseren Lebensweg gemeinsam gehen können, denn um die Antwort bin ich nicht bange.

Meine Freude und die der meisten Mitreisenden wurde östlich von Damaskus getrübt. Wir hatten teilweise unterwegs in Ermangelung von Karawanenherbergen Lager aufschlagen müssen und waren froh, uns der nächsten Herberge bald zu nähern. Die Krankheit in Bagdad hatten wir hinter uns, da kam schon die nächste Bedrohung, denn gegen Abend des vierundzwanzigsten Tages nach unserer Abreise wurde unsere Karawane einige Stunden vor der nächsten Karawanserei von etwa zwanzig berittenen, mit Säbeln bewaffneten Räubern überfallen. Unsere Schutzsoldaten und Freiwillige der kampferfahrenen Kaufleute, die mit mehreren geladenen Pistolen bewaffnet waren, schossen. Es gab ein heftiges Durcheinander von Menschen und Tieren, Geschrei und Schüsse, Säbelhiebe. Unseren Bewaffneten gelang es, die Räuber zum Rückzug zu zwingen. Obwohl der Überfall und der Rückzug der Räuber nur kurze Zeit dauerte, kam uns das vor, als hätten wir Stunden gekämpft.

Die Räuber ließen drei Tote, fünf Verletzte und zwei leicht verletzte Pferde im Stich. Die gefangenen Räuber wurden von unseren Schutzsoldaten gefesselt. Von uns wurde der Seidenhändler, der mit mir in der Herberge mein Zimmer geteilt hatte, durch einen Säbelstich verletzt. Einem beladenen Kamel wurden bei dem ganzen Durcheinander die vorderen Beine gebrochen und es brüllte daher ununterbrochen vor Schmerz. Es musste abgeladen und von einem Freiwilligen durch einen Schuss getötet werden. Warenverluste haben wir nicht erlitten.

Wir versorgten die Wunden unserer verletzten Menschen und Tiere. Auch die Wunden der fünf verletzten Räuber und ihre zwei leicht verletzten Pferde wurden von unseren Leuten, so gut es ging, behandelt.

Die drei Räuber, die während des Überfalls getötet worden waren, begruben wir und daneben auch das erschossene Kamel. Die Last des erschossenen Kamels wurde auf andere Lasttiere geladen. Die Gefesselten wurden innerhalb der Karawane verteilt und mitgenommen, um sie bei der nächsten Station den Ordnungskräften zu übergeben.

Obwohl solche Reisen nicht ungefährlich sind, hatten wir doch insgeheim gehofft, dass uns nicht solch ein merkwürdiges Schicksal ereilen würde. Wir setzten unsere Reise fort und gelangten zur Karawanserei, wo wir gleich bei unserer Ankunft die Gefesselten dem Schutzposten übergaben. Sie wurden eingesperrt, um dem osmanischen Richter in Damaskus vorgestellt zu werden. Die zwei leicht verletzten Pferde, die gut laufen können, nahm die Karawanenführung als Entschädigung mit. Die Pferde sollen, bis sie wieder ganz gesund sind, weder geritten noch mit Last beladen werden. Die Verletzung unseres Seidenhändlers Hadi Efendi wird weiterhin gepflegt und heilt gut.

Kapitel 35

Eines Morgens, als ich aus dem Hause ging, wurde ich von einem Mann angehalten, der mich fragte, ob ich Ingo Seidel sei. Er sagte, ich solle ihm folgen. Die Sicherheitskräfte wünschen mein Erscheinen.

Ich hatte inzwischen durch das Personal bei der Gesandtschaft erfahren, dass sich im Basar ein Raub ereignet hatte, und selbst auch festgestellt, dass ich nicht wie sonst in den Basar konnte, um dort zu zeichnen, wie ich es bislang gern getan hatte. Die Wache war in der Nähe meines Hauses. Ich wurde zum Leiter der Wache gebracht, der mich begrüßte und einen Platz anbot. Er stellte mir einen Schreiber vor und einen Mann, der als Dolmetscher bei unserer Verständigung helfen sollte. Er entschuldigte sich, dass er mich habe rufen lassen. Ein Kaffeediener lugte zur Tür herein und der Beamte ließ mir einen Kaffee bereiten, nachdem er mich gefragt hatte, ob ich auch ein Glas Wasser dazu wolle.

Nachdem er sich vergewissert hatte, dass ich Ingo Seidel bin und in einem der Stiftungshäuser für Fremde wohne, fragte er mich, seit wann ich in Istanbul sei und was ich hier beabsichtige. Ich erzählte, so gut ich konnte, in meinem bisher erlernten Wortschatz, aber der Dolmetscher musste doch helfen. Ich verstehe zwar schon recht gut, was die Leute mit mir im Alltag reden, aber selbst kann ich mich noch nicht gut ausdrücken.

So erzählte ich von meinem Auftrag, Bilder für ein Märchenbuch als Kupferstiche herzustellen. Weil es sich um Istanbuler Märchen handelt, verlange mein Verleger eine originalgetreue Darstellung des orientalischen Lebens, der Gebäude, der Pflanzen, der Schiffe und von Mensch und Tier und allen Gegenständen. Ich erzählte, dass ich an ausgewählten Orten auch inzwischen oft gezeichnet habe und gute Blätter gesammelt habe.

Der Kaffeediener kam, füllte in die winzige Porzellanschale den Kaffee aus dem kleinen Stielkännchen, stellte ein geschliffenes Glas mit kühlem Wasser daneben und verschwand wieder. Während ich an dem starken Kaffee nippte, redete der Vorsteher weiter. Sicher habe ich doch auch im Basar gezeichnet, wollte er wissen. Ja, das hatte ich, denn das Treiben dort und die vielen Läden sind für Märchenbilder wunderbar geeignet. Er wollte wissen, ob ich am Freitag im Basar war. Bis der Basar geschlossen wurde wegen der Raubsache, von der ich gehört hatte, war ich immer freitags da und habe in den unterschiedlichsten Basarstraßen und Gassen gezeichnet.

Ob ich speziell an dem Freitag im Basar gewesen sei, der dem Schließen des Basars vorausging. Ich war da und habe besonders gute Blätter gezeichnet, die ich als Vorentwürfe für die Kupferstiche verwenden werde. In einer Straße waren mehrere Parfumläden. Ich habe unter anderem auch auf der Strasse gezeichnet. Der Vorsteher wollte wissen, an welchen Stellen im Basar ich an dem Freitag gezeichnet habe, und ich beschrieb ihm die Stellen. Er wollte wissen, ob mir irgendetwas aufgefallen sei: eilige Personen, die irgendetwas geschleppt haben, Menschen, die ohne eine Aufgabe herumlungerten. Außer den üblichen Lastenträgern mit ihren typischen Tragegestellen und den darauf üblichen Lasten hatte ich niemanden bemerkt, der etwas Ungewöhnliches geschleppt hätte, und Personen, die ohne Aufgabe herumlungerten, hatte ich auch nicht bemerkt. Es herrschte rege Geschäftigkeit, Menschen jeden Alters waren unterwegs und verhandelten, da und dort Lasttiere, Pferde, Kamele, wenige Esel, beladen oder nicht beladen, alles waren schöne Motive für meine Zeichnungen.

Der Beamte wollte wissen, ob ich irgendwelche Gespräche mitbekommen hatte, da im Basar die Leute gewöhnlicherweise viel miteinander reden. Ich hatte zwar viele Leute miteinander reden hören, aber das ist für mich meist unverständlich, weil es für mich fremde Sprachen sind und Gespräche in verschiedenen Sprachen durcheinander gesprochen werden. Ich hatte den Eindruck, dass die Leute die Sprachen sogar in den Sätzen mischen, wenn sie reden. Es kommt mir vor wie Kauderwelsch. Das erschwert es mir auch, das Osmanische ordentlich zu lernen. Der Vorsteher fasste die Ergebnisse der Vernehmung zusammen und diktierte sie dem Schreiber. Der Dolmetscher übersetzte Satz für Satz und ich konnte bestätigen. Was er gedolmetscht hatte, unterschrieb ich. Der Dolmetscher, der Schreiber und der Vorsteher setzten ihre Signaturen dazu und dann wurde noch ein Tintensiegel aufgedrückt. Ich wurde höflich verabschiedet, bedankte mich für Kaffee und Wasser und durfte gehen.

Wie aufwändig die ganze Suchaktion nach den am Raub Beteiligten inzwischen geworden war! Sogar mich hatte man befragt. Die Wirkung des Kaffees war so anregend wie Wein, aber nicht berauschend und die Bitterkeit hatte ich mit Wasser hinuntergespült.

Ich beschloss, mich in der Gesandtschaft zu erkundigen, wo ich meine Kupferstiche würde drucken können. Denn in der Gesandtschaft hingen bereits eine ganze Reihe von Kupferstichen, die Künstler in Istanbul angefertigt hatten und als Dank für die Hilfe, die ihnen vom Gesandten und seinem Personal gewährt worden war, geschenkt hatten. Ich würde geeignetes Papier benötigen und deshalb bei einer Papierwerkstatt genügend Bögen bestellen müssen und meine Zeichnungen wollte ich sortieren. Da es so viele Blätter waren, würde es sehr lange dauern, bis ich sie alle gesichtet hätte. Außerdem wollte ich die Blätter auswählen, die ich für den Sultan beiseite legen wollte. Zwei Dutzend müsste ich schon auswählen.

Da ich nun aber den Tag ganz anders als sonst begonnen hatte, beschloss ich durch die Gasse der Kupferwerkstätten zu gehen und mir die Gebäudekomplexe, die um Moscheen herum gebaut sind, genauer anzusehen. In der Kupferschmiedgasse liegt eine Werkstatt neben der anderen und in jeder werden bestimmte Gegenstände hergestellt. Flache, große Schüsseln zum Waschen der Wäsche, riesige Kessel zum Erhitzen großer Mengen Wasser, Töpfe mit und ohne Deckel in allen nötigen Größen, Pfannen und Deckelkrüge und zierliche Kaffeetöpfchen mit Stiel, Backbleche und Tabletts in allen Größen und schöne Ziergegenstände, aber auch Rinnen, Rohre und Eimer. Werkstätten in denen Nägel, Schrauben, Haken und Brunnenketten hergestellt, Schlösser und Riegel gefertigt werden, sind auch da und für alle Töpfe und Kannen und Pfannen gibt es den erforderlichen eisernen Dreifuß in mehreren Größen und für Kaffee die eisernen Röstpfannen und Mühlen. Es wird gelötet und gehämmert, gepunzt und poliert, das Kupfer getrieben, gebördelt und in Serie gefertigt und verkauft. Gegenstände können bestellt oder schon fertige gleich gekauft werden. In einer Werkstatt arbeitet ein Verzinner an seinem Rauchfang. Überall sind Lehrlinge zu Gange, die eifrig Kupfer treiben und Bleche schneiden. Die feineren Arbeiten werden den Gesellen überlassen und die Meister beaufsichtigen die Arbeit und legen Hand an, wenn die Organisation es erfordert. Die Gasse der Kupferschmiede tönt von den rhythmischen Schlägen der Kupfertreiber, den gezielten Hammerschlägen der Punzer und dem Rasseln der Ketten und dem Klappern aneinander stoßender Kannen. Esel warten geduldig, wenn sie mit in üppigen Bündeln an den Henkeln miteinander verschnürter Kannen beladen werden. Über allem Treiben zog Rauch aus den Essen und die Zurufe der Schmiede untereinander und die der Käufer versuchten das Getöne zu überbieten. Ich war froh, diese Gasse hinter mir zu lassen.

Es ist nicht weit bis zur nächsten Külliye der Hagia-Sophia-Moschee, zu der ein Bad, ein Krankenhaus, eine Schule, eine Armenküche, eine Karawanserei, eine Bibliothek, ein Basar und Wohnhäuser für Külliye-Bedienstete gehören. Selbst Brunnen, ja sogar Obst- und Gemüsegärten gehören dazu. Alles konnte ich mir unmöglich ansehen oder zeichnen. Ich begann müde zu werden und suchte deshalb die Bibliothek auf, weil ich mir mit Begeisterung die handgeschriebenen Bücher mit Miniaturen anschaue. Ich bedauere, dass diese bezaubernden Kunstwerke in Büchern verborgen bleiben. Aber dafür ist die Ornamentik an öffentlichen und vielen privaten Bauten, in Holz oder Stein und die Ornamentik auf Stoffen und Teppichen sehr formenreich und farblich großartig. Diese Kunstwerke sind jedoch in den meisten Fällen Wiederholungen und daher vor allem anonym. Was nicht anonym bleibt, sind die wunderschönen Bauten wie die des Architekten Sinan und von anderen. Beispielsweise die Weltkarte von Piri Reis, dem Großadmiral der osmanischen Seemacht, hatte ich mir ein anderes Mal in der Süleymaniye-Bibliothek angesehen. Die Karte war im Jahre 1513 gezeichnet und gehörte zu einem von ihm verfassten Buch mit dem Titel "Buch der Meere", wovon auch ein Exemplar dem Sultan vorgelegt worden war, wie mir ein am selben Tisch sitzender Leser erzählte. Dieser Piri Reis musste leider, weil er angeblich im Indischen Ozean seine Kriegsflotte im Stich gelassen hatte, auf Befehl des prächtigen Sultans Süleyman im Jahre 1554 geköpft werden, und das in einem Alter von 89 Jahren ... "Nur Gott kennt die reine Wahrheit" sagt ein Sprichwort, seufzte der Istanbuler.

In der Bibliothek waren auch sehr viele Märchenbücher und Gedichtsammlungen mit Miniaturen. Die Gedichtform des Wortes sei hier sehr verbreitet. Fast alle Leute dichten irgendetwas. Auf das Wort legen die Menschen sehr viel Wert; wie etwas gesagt werden könne, ohne dass ein anderer Mensch davon verletzt wird, sei einem gescheiten Menschen hier sehr wichtig, sagte mir der Mann, mit dem ich ins Gespräch gekommen war. Er könne mir einige Zeilen von Karadschaoglan ins Deutsche übersetzen, wenn ich möchte. Das Buch des Volksdichters Karadschaoglan lag vor ihm. Vor fünf Jahren sei der Dichter gestorben. Er las mir das wohlklingende Gedicht vor und übersetzte es mir. Ich bat ihn, mir die erste Zeile im Original und darunter die Übersetzung aufzuschreiben und reichte ihm eines meiner Zeichenblätter. Er holte einen Stift aus seiner wattierten Jacke und schrieb von rechts nach links die zierlichen handgeschriebenen Zeilen in osmanischer Schrift ab. Er las vor:

"Indschedschikten bir kar yagar, tozar Elif, Elif, diye."

Darunter schrieb er von links nach rechts in deutscher Schrift:

"Ein feiner Schnee schneit und zerstäubt, zerstäubt Elif, Elif."

Elif sei die Geliebte des Karadschaoglan, aber auch der erste Buchstabe der osmanischen Schrift, ein leicht nach links geneigter aufrechter Strich, erzählte er. In den folgenden Texten sieht Karadschaoglan in allen Dingen Elif, seine Geliebte. Welch eine Beschreibung des Verliebseins ... Aus dem Fenster der Bibliothek hatte man Aussicht auf die Süleymaniye-Moschee und ihren Garten. Einige Zweige waren von der Kälte der vergangenen Nacht noch bereift.

Wie oft ich in dieser Süleymaniye-Moschee war, weiß ich nicht mehr. Aber jedes Mal war ich beeindruckt und begeistert. Ich wünschte mir, dass ich unter den Künstlern gewesen wäre, die diese Moschee gebaut und das Innere klar und licht unter Beachtung des räumlichen Wohlklanges gestaltet hatten.

Hier in der Hagia-Sophia-Bibliothek, in der ich mich nun ausruhte, saßen einige Personen an Tischen in der Nähe der Fenster und ich ließ mir einen Band vom Bibliothekar geben, in dem Miniaturen waren und gesellte mich zu den Lesern. Der mir gegenüber sitzende Efendi nickte mir freundlich zu, als ich mich setzte. Er hatte auch ein Buch vor sich liegen mit herrlichen Miniaturen. Leise kamen wir ins Gespräch. Nach den üblichen gegenseitigen Fragen zu Beginn unserer Unterhaltung erzählte mir Tahir Ziya Efendi, sein Sohn sei im Atelier für Buchgestaltung für die Hohe Pforte Miniaturenmaler. Es sei noch gar nicht lange her, da hatten die Künstler einen riesigen Auftrag, denn 1582 seien anlässlich der Beschneidung der Söhne des Sultans lang andauernde Festlichkeiten und Umzüge gewesen. 52 Tage hatten die Feste gedauert. Aus diesem Anlass seien aus aller Welt hohe Gäste eingeladen gewesen. Die Festumzüge und alles, was an Gauklern aufgeboten worden war, an Akrobaten und Maskentänzern, an Musikanten und Tieren, sei damals von den Miniaturmalern in Entwürfen festgehalten worden. Das Volk habe sich diese Festlichkeiten angeschaut und die Gäste haben auf Ehrentribünen zugesehen. Er habe auch diese Festlichkeiten erlebt und die hohen Nahiltürme erstaunt bewundert, die in Stockwerken aufgebautes Zuckerwerk und Zierrat gewesen seien, die da von ganzen Gruppen von Trägern herangeschleppt und aufgestellt wurden. Nachts habe es Feuerwerk gegeben. Paraden seien hauptsächlich auf dem großen At Meydani gewesen, wo auch die Dreischlangensäule, der ägyptische Obelisk und der gemauerte Obelisk stehen. Alle Würdenträger, Gilden, Zünfte, alle Derwischorden seien mit ihren Zeichen vertreten gewesen und haben zur Festlichkeit mit Aufführungen beigetragen. Karussells und Schaukeln und ein Riesenrad habe es gegeben. Auf dem Meer waren Schiffsvergnügen. Es war wundervoll.

Aus Tahir Ziyas Augen sprühte Begeisterung. Die Miniaturmaler hätten alle Hände voll zu tun gehabt, weil sie den Auftrag hatten, ein Miniaturenbuch mit dem Namen "Surname" anzufertigen. Das sollte diese Festlichkeiten für alle Zeiten rühmen. Der Verantwortliche für dieses Werk sei Nakkasch Osman gewesen. 1583 hat er das Werk in Auftrag genommen. Nach seinen Entwürfen sei von einer ganzen Schar von Miniaturmalern, Schreibern, Buchbindern und Lehrlingen das Werk ausgeführt worden. 1588 war es fertig und zeigt 500 Szenen auf 250 Doppelseiten. Bedauerlicherweise wurde dieses Miniaturenbuch nur einmal angefertigt. Es befinde sich im Topkapi-Palast. Er hoffe, dass es nicht Schaden nimmt, wenn die Kinder des Sultans darin blättern und ihr Vergnügen finden. Ich erzählte Tahir Ziya Efendi, dass ich bald nach München reisen werde, aber noch einige Angelegenheiten hier in Istanbul erledigen müsse. Ich wolle Papier für Kupferstiche kaufen und einige Entwürfe bereits hier in Istanbul in Kupfer stechen und drucken.

Es war mir eine angenehme Begegnung, Tahir Ziya Efendi.

Vielleicht sehen wir uns wieder. So Gott will.

Kapitel 36

Kapitän Emin und ich, Vizekapitän Latif, und unsere Mannschaft, waren froh, als wir endlich bei gutem Wind in den Bosporus hineinsegelten. In knapp zwei Stunden würden wir am Goldenen Horn Anker werfen und am Kai zunächst unsere Ware entladen und in den Mietlagern sicher unterbringen können.

Meinen Kapitän Emin Efendi hatte diese Reise ganz schön strapaziert. Er war zwanzig Jahre älter als ich, er war fünfundfünfzig. Müdigkeit und Frust hatte er mit dem Pferd Ala etwas besänftigt, als beide sich anfreundeten. Emin Efendi war zum ersten Mal in seinem Leben einem Pferd so nahe gewesen und sogar auf so lange Zeit und dazu noch auf seinem Schiff. Diese neue Begegnung gefiel ihm. Er sagte, er könne sich schon vorstellen, dass er in dem noch leeren Stall im Garten seines Hauses ein Pferd wie Ala gut würde pflegen können. Ich merkte, dass er noch mehr sagen wollte. Er fragte mich, ob ich ihm das Schiff abkaufen würde. Er überlege sich, seine Arbeit zur See allmählich zu beenden. Er habe als junger Mensch mit der Seefahrt begonnen und sei nun fast 40 Jahre unterwegs. Er wolle sich zur Ruhe setzen. Ich sagte, dass ich nicht so viel Geld gespart habe um das Schiff bar bezahlen zu können. Er mochte keine Zahlungen in Form von Raten und machte das Angebot, wenn ich die Hälfte des marktüblichen Wertes des Schiffs auf einmal zahlen würde und wenn ich ihm obendrein das Pferd Ala überlassen würde, sei das ausreichend und er wäre zufrieden.

Ohne lange zu überlegen, nahm ich sein Angebot an. Ein Drittel meiner Ersparnisse reichten aus, das Schiff zu kaufen. Das Pferd wäre ja dann auch in eine fürsorgliche Hand gekommen. Allerdings müsste er eine Zeit lang die Pflege des Hengstes einem Pfleger überlassen, um von diesem zu lernen. Das würde er tun, sicherte er mir zu. Wir einigten uns. In den nächsten Tagen wollten wir die Formalitäten des Kaufs und der Übernahme der Mannschaft abwickeln. Die Mannschaft war mit ihrer Übernahme einverstanden. Seeleute treffen halt ihre Entscheidungen schnell. Trotzdem war die Ungewissheit, ob meine Ersparnisse durch den Raub aus den Vertrauenskassen gelitten hatten oder ganz verloren waren, riskant.

Wir ließen am Kai die Ladung löschen und sorgten für die Lagerung. Ala bekam wieder festen Boden unter die Hufe und Emin Efendi führte den Hengst nach Hause. Drei unserer Seeleute kehrten ebenfalls heim, weil sie in Istanbul ihre Familie haben, die anderen blieben an Bord und konnten sich abwechseln, damit auch sie ihren Landgang hatten. Ich veranlasste die notwendigen Ausbesserungen am Rumpf, denn nach der Rettung des Schiffes hatten wir nur vorläufig kalfatern lassen, weil unsere Reise fast zu Ende war. Die Pumpen hatten genügt, um bis Istanbul zu gelangen. Es hatte sich mal wieder gezeigt, wie gut das Holz des Schiffes ist, und ich machte mich also mit meinen Geschenken auf den Weg zu meinen Lieben.

Kapitel 37

Sicherheitschef Ridvan Aga und ich, der Sekretär Irfan, waren äußerst angespannt. Dieser Raub hatte viele Istanbuler, Karawanenbesitzer und Kaufleute in und außerhalb Istanbuls, finanziell geschädigt, weil sie ihren Geschäften nicht nachgehen konnten.

Wir hatten mit unseren vertrauten Leuten in den fünfzehn Tagen nach und nach alle Läden und Werkstätten durchsucht, die durchsuchten Läden und Werkstätten mit Siegeln plombiert und die Leute nach gründlicher Leibesvisitation aus dem Basar gelassen. Wenn in einem Laden die Bücher sehr mangelhaft geführt waren, ließ Ridvan Aga auch die Wohnungen der unkorrekten Händler durchsuchen und in wenigen Fällen ließ er diese Händler etwas foltern, um die Quellen der Gelder, unter denen sich auch Münzen mit minderem Gold- und Silberanteil befanden, zu erfahren. Diese unkorrekten Kaufleute mussten Strafen an die Staatskasse zahlen. Die Summe der Strafe wurde dann im Eilverfahren vom Richter bestimmt.

Was jetzt im Basar wegen dieses Raubes an Durchsuchungen vorgenommen worden war, hatte einen bis dahin nie gesehenen Umfang. Es mussten sogar mehrere Läden, zum Teil auch außerhalb des Bedesten durchsucht werden. Der Instinkt meines Chefs Ridvan Aga hat uns dabei geholfen. Wir waren öfter an einem Parfumladen vorbeigegangen, der außerhalb des Goldschmiedetores des Bedestens liegt; vermutlich hatte Ridvan Aga, der ein sehr aufmerksamer Mensch ist und aus Mimik und Gestik der Menschen liest, Verdacht geschöpft. In diesem Laden gab es einen Untermieter, einen jungen Mann. So gab Ridvan Aga der Durchsuchung dieses Ladens Vorrang.

Die meisten Läden im Basar bestehen aus zwei Teilen, der vordere ist ein schmaler Verkaufsraum, wo der Inhaber des Ladens und seine Helfer sich aufhalten und ihre Geschäfte mit Kunden und Lieferanten erledigen. In dem Raum befinden sich Regale, in denen die Waren zum Verkauf ausgestellt werden. Hinter dem Vorderraum ist der Lagerraum, der keine Fenster hat und ungelüftet ist. Im inneren Bedesten sind solche rückwärtigen Räume mit Eisentüren vom Vorderraum getrennt. Im Hinterraum werden in der Regel die Schätze der Kaufleute vom Bedesten und aus fast allen innerhalb und außerhalb des Basars gelegenen Läden aufbewahrt. Sie werden jeden Abend dorthin gebracht und jeden Morgen wieder mitgenommen. Auch die unzähligen Vertrauenskassen werden dort üblicherweise aufbewahrt.

Als wir uns dem Parfumladen näherten, wich dem jungen Mann die Farbe aus dem Gesicht, er sah blassgrün aus und schien sich zu wünschen, er wäre unsichtbar. Der Laden wurde wie bisher üblich von Posten umstellt. Ridvan Aga, noch drei andere Beamte und ich durchsuchten den hinteren Raum des Parfumladens. Im hinteren Raum war nichts, was auffallen konnte. Wir durchsuchten nach und nach die Säcke, Blechkannen, Kanister und Fässer, in denen irgendwelche Kräuter, Flüssigkeiten und Sonstiges aufbewahrt wurde oder die leer waren und dabei fanden wir da und dort leere Beutel, in denen gewöhnlicherweise Gold- und Silbermünzen aufbewahrt wurden. Wir atmeten alle auf. Einerseits waren wir froh, dass wir uns dem Ende der Untersuchung zu nähern schienen, andererseits stolz, dass unsere bereits fünfzehn Tage dauernde gute Arbeit diesem Verdächtigen keine Möglichkeit gegeben hatte, die leeren Beutel wegzuschaffen oder zu vernichten.

Wo aber waren die Silber- und Goldmünzen, die diese Beutel gefüllt hatten? Waren die schon aus dem Basar geschafft und fort? Die leeren Beutel konnten ja auch von jemandem dort versteckt worden sein, von einem, der diesen jungen Menschen belasten wollte. Wir würden das ganze Lager bis auf den nackten Boden durchkämmen und wenn nötig Decke, Wände und Boden auseinander nehmen und weiterermitteln. Den jungen Mann aber nahmen wir fest, der musste verhört werden. Vielleicht war er Teil einer Räuberbande. Der eigentliche Mieter musste ebenso ausgefragt werden und alle, die eventuell darin verstrickt sein könnten und mit diesem Laden zu tun hatten. Die Nachforschungen würden sich auch auf Häuser und Wohnungen dieser Personen erstrecken. Zunächst schaffte man ihn zum Janitscharenarmee-Oberkommandanten Mustafa Aga. Der ließ ihn einsperren.

Kapitel 38

Ich, Hildegard, die Köchin im Hause der Kaiserlich Deutschen Gesandtschaft im Nemtschi Han, war froh, dass Ursula wieder zurückgekommen war. Sie erzählte von der langwierigen Reise zu Schiff und mit der Kutsche, welchen Weg sie gereist war und vom Hause der Eltern der Frau des Gesandten und von der Geburt des süßen kleinen Kindes, das mit einer Glückshaube auf die Welt kam. Sie hatte für das Kindchen die Wäsche und das Taufkleid genäht. Eine Amme für das Kind war gefunden und dann erzählte sie von der früheren Rückreise, die für sie möglich wurde, weil sie darum gebeten hatte.

Sie habe sich gar nicht so wohl gefühlt, wie sie eigentlich gehofft hatte. Sie habe ständig das Leben dort mit dem Leben hier in Istanbul verglichen. Ihr sei so vieles aufgefallen, was ihr unangenehm erschienen sei, woran sie sich früher nie gestoßen habe. Sie habe festgestellt, dass sie sich selbst durch ihre Zeit in Istanbul verändert und weiterentwickelt habe und deshalb nun ihre Heimat doch Istanbul sei.

Ich ging mit Ursula zum Basar einkaufen, der wieder allen zugänglich war. Wir erfuhren von Ferhat, dem Inhaber des Parfumladens, wo Yusuf, Ursulas Liebster, arbeitet, dass Yusuf von seiner Geschäftsreise nach Bagdad noch nicht zurück sei. Er meinte, dass vermutlich Hindernisse vorgekommen seien. Man warte noch auf die ganze Karawane.

Über den Raub im Bedesten und den Dieb, den man festgenommen hatte, wurde geschwiegen. Der Ärger, dass fünfzehn Tage lang, in denen die Durchsuchungen gedauert hatten, im Basar die Geschäfte schlecht liefen, ihre Wut und Ermüdung hatten den Händlern im Basar ausgereicht. Der Fall war für sie abgeschlossen.

In privaten Kreisen hörte man, dass der Dieb ein junger Mann sei, der in einem Parfumladen gearbeitet haben soll oder Untermieter war und auf eigene Kosten irgendwelche Geschäfte gemacht haben soll. Im Basar waren mehrere Parfumläden und unser Yusuf war das bestimmt nicht. Ursula war dennoch beunruhigt. Das Ausbleiben der Karawane und die Festnahme eines Diebes, eines jungen Mannes, spukten beängstigend in ihrem Kopf und in der Nacht darauf träumte sie schlecht.

Ursula und ich und drei Küchenhelfer, wir gingen unseren Arbeiten in der Gesandtschaft nach und kochten für Gesandtschaftsangehörige und ihre Gäste. Wir betreuten auch den Weinkeller im Deutschen Haus, in dem abends die deutschen Istanbuler, Leute aus dem Kaiserreich und Händler, Reisende und andere Gäste verkehrten.

Die meisten Leute wussten, dass sie mit ihrem Trunk vorsichtig sein müssen und bei Verlassen des Nemtschi Han nicht übermütig werden dürfen, keine Menschen belästigen oder sich gar in Streitigkeiten verwickeln oder solche selbst provozieren dürfen. Dennoch passieren solche unangenehmen Sachen einige Male im Jahr und dann gibt es Probleme, bis unsere Gesandtschaftsbeamten diese Leute aus der Kralle der Sicherheitsbehörden freibekommen können. In den schlimmsten Fällen, wenn es um schwere Körperverletzung oder Mord geht, sind Leute von nicht diplomatischer Herkunft in dieser Welt leider nicht mehr zu retten, weil sie sich schon in einer anderen Welt, meistens in einem Sack in den Tiefen des Bosporus, befinden.

Im letzten Jahr kam ein Herr Seidel einmal in der Woche zum Weinkeller. Er ist Zeichner und Kupferstecher, ein höflicher, gut aussehender, freundlicher Mensch, ein guter Zuhörer. Wenn er mit seiner angenehmen, unaufdringlichen Stimme selbst erzählt, höre ich ihn gern. Leise Stimmen mag ich sehr, denn wer so redet, hat sich in der Regel vorher überlegt, was er sagen möchte. Dieser Herr Seidel erzählt nicht allzu oft, wenn er aber erzählt, hören alle Leute aufmerksam und interessiert zu. Er ist über Dinge des Lebens gut informiert. Er vermeidet den Eindruck, dass er ein Besserwisser sei. Er ist ein außergewöhnlich bescheidener und liebenswürdiger Mann. Das gefällt mir.

Das neue Jahr, genauer gesagt der Silvesterabend 1590, wurde wie jedes Jahr bei uns im Weinkeller des Hauses der Deutschen Kaiserlichen Gesandtschaft im Nemtschi Han gefeiert. Wir hatten für etwa insgesamt hundertzwanzig Leute gekocht: Rinderbraten mit Bulgur, gebackenen Hammel gefüllt mit Reis, in dem geröstete Pinienkerne, Korinthen, Kräuter und Zwiebeln waren. Es gab verschiedene eingelegte Gemüse und Kraut, Suppen und Gemüsegerichte. Als Nachtisch gab es Kompott, Blätterteig mit geriebenen grünen Pistazien und Sirup, verschiedene Puddinggerichte, unter anderem Pudding mit Hühnerbrust und Speiseeis und vieles andere. Als Getränk wurden Obstsäfte und allerlei Weine aus Deutschland, aber auch aus den osmanischen Ländern getrunken. Osmanische Weine wurden von vielen Gästen vorgezogen.

Für die Kinder der Botschaftsangehörigen und der Gäste, die im Nebenraum betreut wurden, gab es die gleichen Gerichte und dazu Obstsäfte und andere frische Getränke. Die Kinder wurden unter Aufsicht von Ursula mit noch zwei Gesandtschaftsangehörigen betreut. Sowohl bei den Erwachsenen als auch bei den Kindern wurde schöne Musik gemacht, gesungen und getanzt.

Um elf Uhr nachts kam auch unser Herr Gesandter mit seiner Frau zu den Leuten im Keller, um mit den anwesenden Gesandtschafts-angehörigen und den Gästen das alte Jahr zu verabschieden und für das neue Jahr alles Gute zu wünschen. Es war schön. Ich habe sogar mit Herrn Seidel getanzt. Erst um drei Uhr in der Frühe wurden die Feierlichkeiten beendet. Die Gäste von außerhalb wurden, wie vorher vereinbart, von osmanischen Ordnungsbeamten zu ihren Bleiben begleitet. Das Jahr 1591 hatte angenehm begonnen ...

Kapitel 39

Ich, Ingo Seidel, bereitete mich vor, dem Sultan einige Originalzeichnungen, die ich in Istanbul fertigte, vorzulegen. Ich hatte bereits mehr als zwanzig ausgesuchte Zeichnungen, die ich alle schon in Kupferplatten gestochen hatte. Ich hatte mich entschlossen eine Presse anfertigen zu lassen, weil ich mit den eingeschränkten Möglichkeiten, die ich auf einer anderen Presse gehabt hätte, nicht zufrieden war. Die Presse zum Drucken hatte ich in Tahtakale bei einem guten Schreiner nach meiner Konstruktionszeichnung machen lassen. Oberhalb von Tahtakale hatte ich bei einer Walzenwerkstatt die Walzen und die Mechanik bestellt und außerdem die Kupferplatten ziehen lassen. Sie waren jedenfalls für meine Zwecke ganz gut geworden. Bei den Papierschöpfern hatte ich reichlich Bogen in Auftrag gegeben. Bis alles fertig war, waren auch die notwendigen Filzauflagen in der Filzwerkstatt angefertigt worden. Ich ließ alles zerlegt bis ins Haus schaffen und im großen Kaminraum zu ebener Erde auf dem gefliesten Boden montieren. Es war ein rechtes Abenteuer, bis die Presse zu meiner Zufriedenheit druckte.

Ich legte also in die Mappe, die ich extra hatte anfertigen lassen, zwanzig Drucke meiner Serie und eine bereits gestochene Kupferplatte und drei Originalzeichnungen und brachte alles zum Topkapi-Palast. Am ersten Tor des Palastes trug ich mein Anliegen vor. Von dort begleitete mich ein Soldat durch einen langen Garten zum zweiten Tor. Wir warteten etwa eine viertel Stunde. Dann kam der junge Mann mit dem Namen Rafet, der mich zu Beginn meines Hier- seins zu Hause besucht hatte, um mir das Schreiben des Sultans mit der Einladung und den Kaftan zu überbringen. Rafet Efendi begrüßte mich höflich und hieß mich willkommen. Er werde die Mappe mitnehmen und in etwa einer Stunde wieder da sein, sagte er.

Ich wartete in Begleitung des Soldaten und dachte, dass der Sultan, der ein viel beschäftigter Mensch ist und über dessen Gesundheit Gerüchte in Umlauf waren, wohl sicher nicht am selben Tage meine Werke zu Gesicht bekommen werde. Nach allem, was ich gehört hatte, müsste der Sultan gesundheitlich in keinem guten Zustand sein. Ich hatte schon immer irgendwie Mitleid mit derartigen Herrschern, deren Schicksal seit einigen Generationen vorbestimmt ist. Das Alleinherrscher-System hat seine Tücken. Wenn ein Herrscher gescheit und mutig ist und die inneren und äußeren politischen und sozialen Bedingungen günstig sind, können in vielen Bereichen seines Reiches zeitlich befristet Erfolge verzeichnet werden.

Bei uns im Kaiserreich ist die Situation insgesamt auch nicht anders, ja da kommen noch die endlosen inneren Auseinandersetzungen unter den Kurfürsten und sonstigen Fürsten hinzu. Dann die Machtkämpfe auf religiöser Ebene, deren Gründe in Wirklichkeit weltliche Interessen sind. Die Angst um Machtverlust lässt alles Ungerechte und Grausame legitim werden. Diese arme Welt ... ein Straflager in Kugelform.

Hier im mächtigen Osmanischen Reich, selbst zu Lebzeiten erfolgreicher Herrscher, wie zum Beispiel zu Zeiten Sultan Süleymans des Gerechten, hatten sich durch das System bedingte Gegenkräfte entwickelt, die das Ganze umdrehen. Die jetzige Zeit ist eine Gerüchteküche. Man munkelt, dass der Staat nicht mehr vermögend sei und das Volk werde immer ärmer und unzufriedener. Der Sultan verbringe seine Zeit mit immer mehr neuen Frauen, mit Wein und Essen in Unmengen ... überall hinter vorgehaltener Hand verbreitete Behauptungen ...

Als etwa eine Stunde vergangen war, kam Rafet Efendi mit einem würdig erfreuten Gesicht. Er sagte, der Sultan habe die Mappe angenommen und werde sie sich bei nächster Gelegenheit anschauen. Er bedanke sich und schicke Herrn Seidel, also mir, diesen Beutel, in dem 500 Goldmünzen sind. Außerdem enthüllte er mir einen Silberbehälter mit orangenen Korallen darauf, in dem sich Schreibfedern befanden. Am Behälter war auch ein Tintennapf angebracht. Das war ein Geschenk des Sultans. Ich war beeindruckt. Rafet Efendi gab mir die Beutel gegen einen Beleg. Ich bedankte mich. Dann begleitete er mich bis zum letzten Tor des Palastes, das sich zum Hagia-Sophia-Platz öffnete.

Ich war von der Höhe der Summe überrascht. Da könnte ich ja im Basar alle Typen und Requisiten der schönen Schattenspielfiguren aus Kamelhaut kaufen, um sie in die Heimat mitzunehmen. Die Requisiten für Schattenspiele sind auch aus Kamelhaut. Darauf freute ich mich besonders, denn darunter sind die wunderschönen Haustiere und andere Tiere, Kirchen, Brücken, Häuser, berittene Soldaten und noch vieles mehr. Deshalb ging ich, als ich das letzte Tor hinter mir gelassen hatte, zunächst an der Hagia Sophia vorbei und dann auf der Divanyolu nach Hause. Ich hatte auch vor, einen schönen goldenen Armreif mit Diamant für Hildegard als Geschenk zu kaufen. Wir werden uns in aller Bescheidenheit verloben. Mehr Pläne haben wir noch nicht gemacht. Sie hat lediglich geäußert, dass sie gerne weiterhin in Istanbul leben möchte. Daraufhin bat ich sie um etwas Zeit. Ich muss Entscheidungen bezüglich der Heirat und des gemeinsamen Aufenthalts treffen.

Kapitel 40

Ich, Hildegard, verlobte mich mit Herrn Seidel. Unsere Verlobung fand in einem bescheidenen Raum unserer Kaiserlich Deutschen Gesandtschaft im Nemtschi Han, oder auch Eltschi Han, statt. Ich hatte mir die Haare mit Henna gefärbt. Das gefiel den Leuten gut. Vom Nemtschi Han und von außerhalb kamen etwa fünfzig Gäste zur Verlobung, die mit besten Gerichten beköstigt wurden. Sie gratulierten und beschenkten uns mit kleinen Aufmerksamkeiten, die überwiegend aus Schmuck für mich bestanden. Auch die Frau des Gesandten war unter den Anwesenden. Von ihr bekam ich ein wunderschönes Kleid aus himmelblauer Damastseide. Der Gesandte selbst war in der Woche nicht in Istanbul.

Ingo Seidel hatte sich entschieden, mit mir in Istanbul zu wohnen. Er musste noch nach München reisen und dort seine Kupferstiche für das Märchenbuch fertigen. Wenn wir nach seiner Rückkehr heiraten, darf ich meine Arbeit bei der Gesandtschaft weiterhin behalten, auch wenn wir außerhalb der Gesandtschaft, vermutlich aber in der Nähe, wohnen werden. Das wurde mir von der Leitung der Gesandtschaft im Beisein von Zeugen mündlich zugesichert.

Ich begleitete meinen Verlobten in der letzten Woche vor seiner Abreise bei seinen Einkäufen. Von sämtlichen Karagöz-Schattenspielfiguren und Requisiten, die im Kapalitscharschi zum Verkauf angeboten wurden, kaufte er jeweils ein Exemplar. Bei den Löffelmachern kaufte er Löffel aus Schildpatt und Büffelhorn. Die wolle er in München mit etwas Gewinn verkaufen; er habe dort jemanden, der diese Figuren und die Löffel kaufen werde.

Ich war in der letzten Woche vor seiner Abreise jeden Tag in seinem gemieteten Haus in Beyazit, welches der Stiftung gehört. An manchen Tagen regnete es. Ich half ihm beim Packen der Sachen, die er mitnehmen wollte. Wir sortierten alle Gegenstände, die zum Haus gehören, und die, welche er selbst gekauft hatte. Wir ruhten aus, saßen auf den Klappstühlen im oberen Raum und schauten in die Krone der Birke, an deren nackten Zweigen unendlich viele Perlen vom Regen hingezaubert zitterten. Ingo hat bis zu seiner Rückkehr nach Istanbul das Haus gemietet, denn inzwischen hatte er selbst Gegenstände und Teppiche gekauft, die er im ganzen Hause überall untergebracht hat, und die Druckpresse steht auch da. Werkzeuge und viele Dinge mehr, die er gekauft hatte, weil er sie für seine Presse benötigte, und andere Gegenstände, Kohlebecken und Kohlezangen, werden demnächst in unserem Haushalt Verwendung finden, wenn wir gemeinsam in ein anderes Haus ziehen.

Kapitel 41

Ich, Periseda, bin glücklich, dass Latif nach Wochen endlich zurück ist. Unsere Töchter haben strahlende Augen. Er hat uns kleine Geschenke und eine sehr schöne Wiege mitgebracht. Ich war nicht schwanger, aber ich könnte ja schwanger werden, dachte ich. In Latifs Augen blitzte die Bestätigung meines Gedankens.

Latif erzählte kurz seine Reise und dass er vereinbart habe, das Schiff zum halben Preis zu kaufen. Er wollte wissen, was aus der Raubsache geworden war, und ich erzählte, dass der Bedesten-Dieb gefasst worden sei und die Gelder wieder an die Eigentümer zurückgegeben worden waren. Unsere Ersparnisse waren jedoch von dem ganzen Vorfall nicht betroffen und bei uns zu Hause waren inzwischen keine wichtigen Vorkommnisse. Wir planten gleich, demnächst ein kleines Haus mit Garten zu kaufen. Das war finanziell jetzt schon möglich. Latif wird in diesen Tagen die Formalitäten wegen des Schiffes erledigen. Außerdem werde er einen Vizekapitän brauchen, wenn er selbst Schiffseigner und Kapitän werde. Einen tüchtigen Menschen will er auswählen, denn in Istanbul gebe es gut ausgebildete Leute. Der Wein aus Ünye soll an Händler in Galata und sonstige Waren an verschiedene Händler in Istanbul verkauft werden. Er lässt Bestellungen und Fracht für die nächste Reise sammeln, aber die wird erst in einigen Wochen sein, was uns sehr freut.

Kapitel 42

Ich, Gülhayat, erhielt Besuch. Zwei Wochen nach seiner Rückkehr von der Schwarzmeerfahrt besuchten uns mein gutherziger Onkel Latif, Periseda und die Kinder Lale und Hale. Wir waren sehr froh, dass Latif und seine Leute gesund in Istanbul angekommen waren. Wäre Latif etwas zugestoßen, würde meine Herzensfreundin Tante Periseda, deren Name Feenstimme bedeutet und die ich wie eine ältere Schwester verehre, Trauerlieder singen und das würde überhaupt nicht zu ihr passen, denn wir alle lauschen gern ihren schönen Istanbuler Türkü, die sie so liebenswert vorträgt.

Onkel Latif erzählte uns, was er alles erlebt hatte und dass er jetzt das Schiff von Kapitän Emin Efendi zu günstigen Bedingungen gekauft hat. Er erzählte die Geschichte mit dem Pferd Ala sehr ausführlich, so dass wir still zuhörten. Lale und Hale kannten schon die Geschichte, saßen aber glücklich rechts und links neben ihrem Vater und ließen sich nichts anmerken. Diese Zwillinge mit heller bräunlicher Haut sind aufgeschlossene, hübsche Mädchen, intelligent und wohlgestaltet wie ihre Eltern.

Wir tranken Kaffee, aßen Reispudding gewürzt mit Rosenwasser und erzählten. Periseda spielte auf ihrer Laute und sang uns einige Lieder der berühmten Komponisten, die im Topkapi-Palast, in vornehmen Kreisen des Reiches und in Istanbul gespielt und gesungen werden. Diese Lieder erinnerten sie sicher an ihre Zeit im Topkapi-Palast. Ich glaube aber, diese Zeit vermisst sie bestimmt nicht, denn Perisedas Palast ist jetzt ihre Familie, bescheiden, liebevoll und glücklich.

Früh genug vor Mitternacht kehrten sie heim, beim Abschied versprach ich, sie in den nächsten Tagen zu besuchen. In letzter Zeit hatte ich auch anderweitig Besuche aufgeschoben, denn ich war traurig, weil vor einer Woche meine liebe Katze Raziye, die Thrazierin, gestorben war. Aufrecht sitzend war sie zu einer Statue geworden. Sie hatte ihr Leben reichlich ausgelebt und uns alle beglückt. Zweimal hatte sie Junge gehabt. Die kleinen Kätzchen hatten wir nach einigen Monaten an Nachbarn verschenkt. Raziye habe ich in einer Ecke des Gartens begraben und in der Nähe zwei Olivenbäumchen für beide Katzen, die ich bis dahin hatte, gepflanzt. Beide hatten Raziye geheißen. Ein Bäumchen war für die Raziye, die ich vor sechzehn Jahren in der Donau verlor, als auch meine Mutter in der Strömung versank. Vor zwei Jahren hatte ich die zwei Feigenbäumchen gepflanzt, einen zum Gedenken an meinen Vater, an den ich mich nicht erinnern kann und einen für meine Mutter. In einigen Jahren ernten wir von einem Baum helle und vom anderen Baum dunkle Feigen. In nächster Zeit pflanze ich eine Zypresse zum Andenken an meine Großmutter. Ach ... diese liebe Seele ruht für immer ausgerichtet gen Mekka.

Kapitel 43

Ich, Selaniki Mustafa, der osmanische Geschichtsschreiber, setze nun meine Schrift über den Raub im Bedesten von Kapalitscharschi fort. Personenbezogene Angaben sind mir unbekannt. Auch wenn ich sie wüsste, würde ich sie in solchen Fällen nicht öffentlich erwähnen. Sie sind im Geheimarchiv des Topkapi-Palastes.

An der Stelle in meinem Geschichtsbuch, wo ich meinen Text den Raub betreffend unterbrochen hatte, setzte ich fort:

" ... die Untersuchungskommission nahm ihre Ermittlungen auf. Sie bestand aus dem Oberrichter von Istanbul, Richter Tschivizade Ali Tschelebi Efendi, dem Janitscharenarmee-Oberkommandanten Mustafa Aga und dem Sicherheitschef Ridvan Aga.

Der Bedesten blieb fünfzehn Tage geschlossen. Alle Ladenvorderräume und hinteren Lagerräume, wurden gründlich durchsucht; die Geld- und Warenbestände nachgezählt und die Buchhaltungen der Geschäfte überprüft. Als diese Methoden nichts brachten, wurden verdächtige Leute an Ketten gebunden und alle schwer gefoltert. Nichts wurde gefunden.

Dem erfahrenen Sicherheitschef Ridvan Aga fiel außerhalb des Goldschmiedetores des Bedestens ein junger Mann auf, Untermieter im Parfumladen von P. Als der hintere Raum durchsucht wurde, fand man zuerst mehrere leere Geldsäckchen. Dann wurden schichtweise Strohmatten, die den Boden bedeckten, abgenommen. Da sah man die Silber- und Goldmünzen und Schmucksäckchen, ordentlich aneinander gereiht.

Der junge Mann wurde sofort festgenommen und zum Verhör zum Janitscharenarmee-Oberkommandanten Mustafa Aga und dem Oberrichter Tschiwizade Ali Tschelebi gebracht. Der junge Mann sagte aus, er habe den Raub allein geplant und durchgeführt. Niemand außer ihm habe mit der Sache zu tun. Bei dem Verhör war der Sicherheitschef Ridvan Aga anwesend und war sehr verärgert. Er sagte: ´Man sollte dich durch Folter langsam sterben lassen ...´

Unser Sultan, der Glückselige, die Zuflucht aller Welt, verlangte den Schuldigen zu sehen. Als der Dieb zum Sultan gebracht wurde, warf er sich zu Boden und sagte, er habe die Gelegenheit genutzt und den Raub allein durchgeführt; er habe alles gestanden und erbitte vom Sultan, dass er lediglich erhängt werde. Daraufhin befahl der Sultan, dass er nicht durch Folter langsam sterben, sondern nur erhängt werden solle.

Alle, denen ihr Geld und ihre Wertsachen gestohlen wurden, bekamen es wieder zurück. 11. März 1591."

Das waren die Zeilen, die ich wegen dieses unglücklichen Falls in mein Geschichtsbuch schrieb. Möge Gott seine Geschöpfe vor Besitzgier und Sünden schützen. Möge er allen untereinander Gnade und Liebe gewähren.

Kapitel 44

Ich bin einer der Scharfrichter im Topkapi-Palast. Dieser Raub im Bedesten an mehreren Vertrauenskassen hat wie viele Istanbuler Einwohner auch uns, die Scharfrichter erbost und betroffen gemacht. Der Bedesten blieb fünfzehn Tage lang geschlossen und in den vielen sonstigen Läden im Basar gingen die Geschäfte schlecht, hörte ich.

Die Händler, die sonst abends ihre Kassen in die sicheren hinteren Räume der Läden des Bedestens brachten, durften fünfzehn Tage lang nicht an ihre Kassen. Das bedeutete, sie konnten keinen Nachschub für ihre Läden kaufen oder konnten ihren Zahlungen nicht nachkommen. Auch die Scharfrichter konnten ihre privaten und teilweise beruflichen Besorgungen nicht erledigen, denn wenn es um Qualität geht, wird man am besten im Bedesten versorgt.

Wir atmeten auf, als der Dieb endlich gefunden war und der Inhalt der geleerten Gold- und Silbersäckchen und die Schmucksachen an ihre Inhaber zurückgegeben wurden. Unter den eigentlichen Inhabern der gestohlenen Geldsäckchen waren teilweise auch Witwen und Waisen. Die Hinterbliebenen von Erhängten und von verstorbenen Henkern sind auch Witwen und Waisen, so hatten wir Scharfrichter uns unterhalten. Keine Bevölkerungsschicht gab es, die nicht in irgendeiner Weise betroffen gewesen wäre.

Zum Zeitpunkt, als der Dieb gefasst wurde, war ich im Außendienst, der sich längere Zeit hinzog. Die Sicherheitskräfte müssen dem Mann arg zugesetzt haben. Die Anklage war ja auch beträchtlich, als er vor die Richter unter dem Vorsitz des Oberrichters von Istanbul, Richter Tschiwizade Ali Tschelebi Efendi, geführt wurde. Ein ganz unbedeutender Mensch sei er gewesen, der anderen völlig unverdächtig erschienen sei. Bei ihm sei tatsächlich alles sichergestellt worden, habe ich gehört und gestanden hatte er auch. Auf Raub, noch dazu mit solchen Folgen für das wirtschaftliche Leben, steht die Todesstrafe. Auf Befehl des großmächtigen Sultans wurde er von Scharfrichtern, die zu dem Zeitpunkt im Topkapi-Palast Dienst hatten, erhängt.

Gewiss, der erhängte Mensch hat in der Regel die Strafe verdient. Aber es gibt auch Gesetze, die Unschuldige aus Staatsinteressen betreffen. Für die ist die Erdrosselung durch Seide vorbehalten. Außerdem kommt es vor, dass Menschen aus purer Rache zum Henker geschickt werden und Todesurteile, die vom Richter verhängt werden, sich später als Irrtum erweisen. Das Ende ist immer der Tod, im einen Falle erstickt das Opfer, im andern Falle bricht dem am gewöhnlichen Strick Gehängten der Hals und im dritten Falle ist der Kopf mit einem Säbelhieb abgeschlagen.

Sicher, auch ich habe einen Namen. Aber ich möchte ihn nicht erwähnen, weil an Personen unseres Standes und Berufes immer mit Verachtung gedacht wird. Menschen verbinden Namen mit Menschen, die sie kennen, und auf diese Weise würde auf einen anderen die Verachtung, die meinem Beruf anhaftet, indirekt abfärben. Selbst die Richter und sonstige große Persönlichkeiten, die mir Leute zum Köpfen oder Erhängen schicken, verachten mich. Ihre uns betreffende Verachtung erleichtert ihre Last, die sie mit jedem zum Tode Verurteilten auf sich nehmen. Alle Scharfrichter müssen damit leben, dass sie immer und von allen verachtet werden.

Also, wenn ich von einem wirklich ehrlichen Menschen gefragt würde, ob ich diese oder jene Todesstrafe für richtig halte, würde ich die Frage nicht eindeutig bejahen oder verneinen können. Jeder Fall sollte gründlich untersucht werden, würde ich sagen, zumindest so denken; sagen darf ja nicht jeder Mensch, was er denkt. Aber wer käme schon auf so eine Idee, einen Scharfrichter zu fragen? Ich frage mich immer, ob denn die Ursachen, die zu einer gemeinen Tat führen, mit dem Erhängen eines Täters, der zu Recht oder irrtümlich oder absichtlich fälschlich für einen Täter gehalten wird, beseitigt sind? Wenn das so wäre, hätten die Menschen ja etwas daraus gelernt.

Man erzählt sich, da wurde einer, der gehängt werden sollte, nach seinem letzten Wunsch gefragt. Er sagte, er wünsche sich, dass ihm das eine Lehre sein sollte. Darüber lachen dumme Menschen, die intelligenteren schmunzeln leise und verstehen, dass auch sie bezogen auf ihre zukünftigen Handlungen damit angesprochen werden. Die meisten Scharfrichter in Istanbul leben im Topkapi-Palast und sind ledig. Die wenigsten Scharfrichter sind verheiratet, haben Kinder und leben draußen. Denn wenn sie aus dem Staatsdienst entlassen sind, können sie leben, wo sie wollen. Dann dürfen sie auch heiraten und eine Familie gründen.

Als ich ein junger Mann war, hatte der Oberscharfrichter aus dem Topkapi-Palast meinen Vater gefragt, ob er mich Scharfrichter werden ließe. Mein Vater hatte keine andere Wahl. Wer weiß, was passiert wäre, wenn er nein gesagt hätte. Mein Vater ist jetzt alt und lebt in einem Stadtteil in Istanbul mit meiner Mutter. Er bekommt seine Einkünfte vom Staat und wird, nicht zuletzt von mir, gut versorgt. Sonst weiß niemand, was er damals gemacht hat, auch weiß niemand, was ich mache. Wenn ich oder mein Vater gefragt werden, was ich mache, lautet die Antwort, ich sei im Topkapi-Palast als Handwerker beschäftigt.

Unser Berufsstand ist so alt wie die Menschheit selbst. Unsere Auftraggeber sind nicht nur Richter, auch allerlei Herrscher verfügen Todesurteile, obwohl sie selbst keine Richter sind. Wenn ich bedenke, dass selbst gerechte, ungerechte oder unerwünschte Richter von Herrschern zu Tode geschickt werden, sollte ich mir alle anderen Gedanken darüber sparen. Scharfrichter haben zu Friedenszeiten und zu Kriegszeiten alle Hände voll zu tun. Sie sind auch bei Armeen dabei, die in den Krieg ziehen. Wenn Soldaten, Offiziere, selbst die Oberbefehlshaber der Krieg führenden Armee straffällig werden, müssen die Scharfrichter ihres Amtes walten.

Wenn es um den Oberbefehlshaber der Krieg führenden Armee geht, der in der Regel ein Pascha ist, muss der abgeschlagene Kopf nach gelernter Methode präpariert werden. Er wird dann in Begleitung der entsprechenden Sicherheitseskorte zum Topkapi- Palast gebracht. Dort wird er auf Verlangen des Sultans oder gemäß den Weisungen der Wesire auf die Spitze einer Stange gesteckt. Vor dem Haupttor des Palastes wird er öffentlich zur Schau gestellt oder gleich irgendwo begraben oder in einem Sack mit schweren Steinen in den Bosporus geworfen.

Viele Scharfrichter sind auch unterwegs mit Aufträgen außerhalb von Istanbul tätig. Aufständischen Rebellenführern und korrupten hohen Beamten ergeht es so, vielmehr ihren Köpfen, die entsprechend behandelt und nach Istanbul gebracht oder geschickt werden, dann geht es mit Aufträgen in anderen Ortschaften weiter. Ich hatte ja gerade solch einen Außendienst. Aber auch wir Scharfrichter haben trotz allem unseren Stolz. Wir sind nicht diejenigen, die Todesurteile verhängen. Was wir machen, ist nicht neu. In allen Länder werden Menschen zum Tode verurteilt und getötet. Der Unterschied ist lediglich der, wie gerecht oder ungerecht ein Urteil ausfällt.

Wie ist es, wenn ein Mensch einen anderen Menschen mit oder ohne Grund, gerecht oder ungerecht tötet? Wenn Raubmörder Menschen unabhängig von Geschlecht und Alter überfallen und töten? Wenn sich zwei Armeen gegenüberstehen, mit gewichtigem Grund oder sogar nur wegen eines Vorwands, gerecht oder ungerecht, und sich gegenseitig das Leben nehmen? Wem wird damit geholfen? Selbst diese Frage ist absurd. Solche Gedanken gehen mir durch den Kopf, wenn wir hier im Topkapi-Palast täglich mit Geräten Leibesübungen ausführen, um körperlich tüchtig zu bleiben und um ohne Fehler jederzeit unsere Arbeit vollstrecken zu können.

Wenn ich hier im Topkapi-Palast manchmal unter einem Baum hocke, mir den blauen Himmel und unten das Marmarameer und das Goldene Horn, den Bosporus, diese Schönheiten des Schöpfers, anschaue, finde ich keine Antworten auf meine Fragen. In der Regel werden wir mit vierzig außer Dienst genommen. Noch acht Jahre ...

Ich wünsche mir, dass ich bis zu meinem Ruhestand weniger als bisher arbeiten muss. Je älter ich werde, um so zwiespältiger denke ich über die Menschen. Ich habe Mitleid.

Kapitel 45

Ich, Altunbay, kam Anfang September 1591 aus Venedig mit meinen Praktikanten nicht ganz vollzählig zurück. Ein Praktikant, der sich in Venedig in ein Mädchen verliebte, heiratete das Mädchen und arbeitet weiter in der Werft in Venedig. Er ist ein Waisenkind und daher wartet niemand auf ihn in Istanbul.

Sechs Monate waren für manche langsam, für andere schnell vergangen. Alles war bei Verwandten und Bekannten und auf meiner Arbeitsstelle in Ordnung. Ich hatte ein anderes Land mit anderer Sprache, eine andere Stadt und Landschaft, jedoch ähnliche Menschen erlebt und war mit meinem Aufenthalt in Venedig sehr zufrieden. Es würde nicht schaden, wenn solche Begegnungen häufiger und für viel mehr Leute auf der ganzen Welt möglich wären. Die Freude bei uns zu Hause war groß. Meine Eltern und meine Schwester waren wohlauf und freuten sich über die kleinen Geschenke, die ich mitgebracht hatte. Ich umarmte glücklich meine liebe Gülhayat und schenkte ihr ein Paar goldene Ohrringe, auf denen mehrere kleine Diamanten gefasst sind. Es waren kleine Katzen und ich erfuhr, dass ihre Katze Raziye inzwischen gestorben war. Bis spätnachts erzählten wir und ich berichtete, dass die Auswirkungen des Basarraubes bis nach Venedig spürbar gewesen waren und die Händler darüber geklagt hatten, dass die Geschäfte stockten, weil die Zahlungen in Istanbul nicht abgewickelt werden konnten. Auch in Venedig hatte man deshalb aufgeatmet, als sich die Kunde verbreitete, man habe in Istanbul den Schuldigen erwischt und zur Strafe erhängt.

Kapitel 46

Ich, Selaniki Mustafa Efendi, schreibe auf meinen Blättern weiterhin wichtige Ereignisse auf, deren Zeuge ich wurde oder die ich aus andern Quellen erfahre, die entsprechend Beweise liefern. Ich forsche in Bibliotheken, auch in der vom Topkapi-Palast, die nicht jedem zugänglich ist. An das Geheimarchiv kommt jedoch niemand heran, auch mir ist es nicht zugänglich. Dafür ist die schriftliche Erlaubnis des Sultans notwendig. Ich hatte bisher auch keinen Anlass, dort irgendetwas erfahren zu müssen. Vermutlich würde ich auch niemals so eine Erlaubnis bekommen, weil ich allmählich mit meinen Blättern, in denen so einiges unverschleiert berichtet wird, von manchen doppelgesichtigen Staatsdienern nicht gerne gesehen werde. In so einem Palast muss man mit allen Gemeinheiten rechnen. Irgendein hoch gestellter Schmeichler braucht nur einen der häufigeren Rauschzustände des Sultans erwischen und mich ihm als staatsgefährdende Person melden. Es ist in allen Palästen der Welt das übliche Übel. Es muss jeder Mensch im Fahrwasser des Staates aufpassen, dass er nicht Kopf und Kragen verliert.

Bei meinem letzten Besuch vor einigen Tagen im offenen Rechnungsarchiv begegnete mir der schwarze Obereunuch zwischen den Regalen, als wäre diese Begegnung ein reiner Zufall. Er grüßte mich höflich und fragte seinem höheren Stand entsprechend vorsichtig nach dem Wohlergehen meiner Familie. Ohne auf meine Antwort zu warten, sagte er mir, er bringe mir schöne Grüße und ein Beutelchen der Sultanin Safiye für meine Tochter Gülhayat. Ich möge ihr herzliche Grüße übermitteln und sie ihrerseits daran erinnern, dass die Zeit noch nicht reif sei. Er verabschiedete sich und verschwand im Schatten der Regale, so leise, wie er gekommen war.
Gülhayat besuchte uns mit ihrem Mann am zweiten Tag der Ankunft Altunbays aus Venedig.

Kapitel 47

Von meinem Vater Selaniki Mustafa Efendi erhielt ich die Grüße und die Warnung der Sultanin Safiye. Dann gab er mir das von der Sultanin versiegelte Beutelchen. Ihre Warnung und das Geschenk waren für mich keine Überraschung. Sie hatte anlässlich der Geburt der Kinder von Periseda, den Zwillingen Lale und Hale, für ihre spätere Aussteuer zwei Perlenketten geschenkt. Das war von ihr lieb und aufmerksam. Ich brach das dunkelrote Lacksiegel und entnahm dem Beutelchen eine goldene Kette mit schwarzen, gelben und weißen Perlen. In der Mitte hing ein großer Smaragd.

Seit der Sultanin Hürrem, der Hauptfrau Süleymans des Prächtigen, der von uns der Gerechte genannt wird, und nach ihr dann die Sultanin Nurbanu und jetzt die Sultanin Safiye waren Sultaninnen bewusst oder ohne eigene Absicht in Staatsgeschäfte und Palastintrigen verwickelt. Manchmal neben dem Sultan, manchmal vor ihm, spielten sie die erste Rolle in vielen Angelegenheiten. Auch diese mächtigen Sultaninnen hatten ihre Informanten und wussten über das, was innerhalb und außerhalb des Topkapi-Palastes passierte, bestens Bescheid. Informanten sind beispielsweise manche Leiter von Herbergen, von Basaren, von Geschäftshäusern oder anderen Häusern. In Privathäuser gelangen Begleiterinnen von im Palast beschäftigten Mädchen.

In diesen Tagen habe ich meinem Vater immer wieder aus meinem Buch vorgelesen. Er hatte mir Bücher beschafft, die mir bestimmte Geschehnisse näher brachten. Ich hatte seinen Rat in Anspruch genommen und seine Hinweise auf historische Fakten beherzigt. Mein Vater will zwei Abschriften meines Buches durch seine Vertrauten anfertigen lassen.

Jetzt ist Ende Oktober 1591, meine Regel ist ausgeblieben und Aslihan sagt, ich sei guter Hoffnung. Altunbay und ich freuen uns. Seit unserer Hochzeit vor drei Jahren wünscht er sich ein Kind. Wenn es ein Mädchen wird, werden wir es trotz allem Safiye nennen, aber es soll einen zusätzlichen Namen erhalten, wenn die Nabelschnur getrennt wird. Der Name soll dann Füsun sein. Wenn einst unsere Tochter heiratet, bekommt sie von mir die Kette mit Perlen und Smaragd, die mir die Sultanin Safiye geschickt hat. Das Geschmeide kann sie um ihre Hochzeitskappe winden. Es sieht bestimmt hinreißend aus. Wenn die Sultanin Safiye dann noch leben würde, aber nicht mehr im Topkapi-Palast wohnte, würde ich sie zu Safiye Füsuns Hochzeit einladen und ihr ein Exemplar meines Buches schenken. Sollte unser Kind ein Junge werden, kann mein guter Altunbay einen Namen aussuchen. Dann bekommt unser Sohn die Kette für seine Kappe zum Beschneidungsfest. Dieses Fest würde erheblich eher als die Heirat unsere Tochter stattfinden. Ob ich dann die Sultanin einladen könnte, wäre nicht gewiss.

Vor etwa sieben Monaten hat mich der Raub im Bedesten dazu gebracht, zu schreiben. Wer der erhängte Dieb war und was sein Motiv war, weiß ich nicht. Eines ist nur gewiss, auch er wurde von einer Mutter geboren.

Ich danke allen, die mir bereitwillig ihre Geschichte erzählten und ihre Erlebnisse berichteten. Ich teile den Kummer meines Schwiegervaters Takiyeddin Maruf Efendi, dem die Sternwarte, ein kleines Fenster zum unendlichen Universum, sinnlos und brutal dem Erdboden gleichgemacht wurde. Immerhin hat er eine späte Genugtuung erfahren. In dem Buch "Schechinschahname", einem der wesentlichen Bücher, die von Sultan Murad III. in den Ateliers für Schriftkunst und Miniaturen in Auftrag gegeben wurden, ist auch die Sternwarte mit allen Geräten, mit einem Globus, vielen Büchern und den Mitarbeitern meines Schwiegervaters, der selbst beim Unterricht dargestellt ist. Dieses mit Miniaturen geschmückte Buch wurde 1581 fertig. Auffallend sei allerdings, dass er auf der Miniatur sehr bedrückt dreinschaue und als einziger leere Hände habe. Das sei der versteckte Hinweis auf das unrühmliche Ende der Sternwarte, sagte mein Schwiegervater.

Der große Kilitsch Ali Pascha musste den schändlichen Befehl geben, sein Schmerz ist auch mein Schmerz.

Mit dem einem Komplott geopferten Großwesir Sokullu Mehmet Pascha wurde auch ich im Geiste geopfert.

Ich weine um alle Brüder der Sultane, für die glanzvolle Beschneidungsfeste stattfanden und die, wenn es so weit war, auf Befehl ihres Bruders, des Thronfolgers, auf gesetzlicher Grundlage zur Verhinderung von Zwistigkeiten mit Seidenschnüren erdrosselt wurden.

Die liebenswürdige Tante Hildegard hatte einmal einen bekannten Mann zitiert, der in vergangenen Zeiten in Bayern lebte, der gesagt haben soll, Dummheit sei schlimmer als Bosheit. Ich denke, wenn zu Dummheit und Bosheit auch noch Habgier und Machtgier kommen, verursacht die Mischung Gewalt.

Ich nehme es jenen übel, die nach dem Anteil anderer Menschen ihre Hände strecken, die von Mensch zu Mensch Klatsch und Tratsch schleppen, die verleumderische Reden führen, stur und böszungig werden, die weder Mensch noch Tier, noch Pflanzen und Wasser achten und den Mächtigen nach dem Munde reden.

Ich danke dem Schöpfer für alle Schönheiten dieser Welt und für dieses unendliche Universum. Ich danke ihm, dass er mir Kraft, Geduld, Lust, Zeit und vor allem meine liebe Familie geschenkt hat, um dieses Buch zu schreiben.

Istanbul, Ende Oktober 1591

* * *

ISTANBUL, ENDE MAI 1729

Ich werde Serezli Ilyas Efendi aus Kadirga genannt. Kadirga ist ein Stadtteil von Istanbul und liegt unterhalb der Sultan-Ahmet-Moschee am Marmarameer, wo auch die von Sokullu Mehmet Pascha gestiftete, von Sinan gebaute Moschee und Külliye liegen.

Im zweiten Jahr der Gründung unserer Druckerei, der ersten Druckerei im Osmanischen Reich, entdeckte ich im Lagerraum der für den Druck vorgesehenen handgeschriebenen Bücher ein Buch im Regal, das in dünnes Wachstuch gewickelt war. Es lag zwischen den tausenden handgeschriebenen Büchern, die von überallher aus dem Reich zu uns gebracht wurden. Viele darunter waren Originale, viele aber auch Abschriften aus vielen Bibliotheken.

Meine Arbeit besteht in der Druckerei hauptsächlich aus Lesen und Korrigieren der Musterblätter und sonstigen Aufsichtsarbeiten. Unsere Freude ist immer noch groß, weil wir endlich unsere Schriften drucken dürfen.

Obwohl die ersten Druckmaschinen jüdische Emigranten im Jahre 1492 aus Spanien mitgebracht hatten und Juden, Griechen und Armenier im Osmanischen Reich in ihrer Sprache, mit ihrer Schrift alles drucken durften und dürfen, waren aber Schriften ausgenommen, die in unserer heiligen arabischen Schrift und unserer darauf basierenden osmanischen Schrift waren.

Seit dem Jahr 1492 waren 235 Jahre vergangen, bis wir unser erstes Buch mit unserer Schrift hatten drucken dürfen.

Wir sind immer noch für unsere Schrift und Sprache die einzige zugelassene Druckerei in diesem riesigen Reich. Unsere Druckerei befindet sich im ehemaligen Eltschi Han, dem so genannten Nemtschi Han, in dem früher die Deutsche Gesandtschaft war.

Wenn ich tausende Bücher im Lager sehe, denke ich, dass wir einige tausend Jahre brauchen, um nur einen Bruchteil von diesen kostbaren Büchern zu drucken.

Unsere Druckerei wurde im Jahre 1727, vor zwei Jahren also, auf Befehl und mit Erlaubnis unseres Sultans Ahmet III. von Ibrahim Müteferrika und Yirmisekiz Tschelebizade Mehmet Sait Efendi gemeinsam gegründet.

Ibrahim Müteferrika war ein Ungar, der als junger Mann nach Istanbul kam, Moslem wurde und mehrere Jahre unter anderem im Ausland in unterschiedlichen Diensten des Staates Karriere machte. Jetzt ist er Verleger, Schriftsteller und Übersetzer. Er sei 59 Jahre alt, hatte er kürzlich gesagt. Yirmisekiz Tschelebizade Mehmet Sait Efendi hat auch eine ähnliche Karriere hinter sich.

In unserer Druckerei arbeiten insgesamt fünfzig Leute. Ich bin seit der Gründung hier und wir sind mit unserem ersten Buch, einem Wörterbuch mit dem Titel Sihah-ül Cevheri (Vankulu Lügati) am 31. Januar 1729, also vor zwei Monaten fertig geworden. Die Bücher wurden zum Topkapi-Palast, zu Büchereien, Schulen und Medressen geschickt. Als Nächstes werden wir mit Ibrahim Müteferrika Efendis Buch, mit dem Titel Usul ül Hikem fi-Nizam il Ümem beginnen. Er legt in dem Buch die Gründe für den Rückstand im Osmanischen Reich dar samt der erforderlichen Maßnahmen dagegen.

Das im Lager gefundene Buch war in dünnes Wachstuch gewickelt. Ich befreite vorsichtig das Buch vom Tuch, las den Titel, und las den Namen einer Frau und darunter stand Roman. Ich schlug es in der Mitte auf und roch daran. Es duftete ganz fern nach Lavendel. Es musste lange in einer Kleidertruhe gelegen haben. Einen Roman in Osmanisch und dazu noch von einer osmanischen Frau geschrieben, nie hatte ich so etwas gehört, noch gelesen. Ich hatte hunderte handgeschriebene Bücher in Türkisch, Osmanisch, Persisch und Arabisch gelesen; unter denen hieß kein Buch Roman und war keines ein Roman. Ich wusste, dass ein Roman weder ganz noch teilweise oder überhaupt nicht auf Fakten beruhen musste. Alles, was in einem Roman erzählt wurde, hatte wie ein Märchen oder Reisebuch einen Anfang und ein Ende und dazwischen passierten Dinge, die irgendwie einen Zusammenhang untereinander hatten. Unser Ibrahim Müteferrika Efendi hatte einmal gesagt, dass ein Roman erst zu einem Roman wird, wenn er gedruckt und von der Bevölkerung gelesen wird. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Auch ein nicht erzähltes Märchen ist kein Märchen. Man müsste eigentlich die Märchen von Keloglan oder die kleinen, intelligenten, witzigen und nachdenklichen Geschichten unseres Nasreddin Hodscha und sein Leben drucken, sagte unser Ibrahim Müteferrika Efendi. Nasreddin Hodschas einzelne Geschichten, die mündlich vorgetragen wurden, waren höchstens eine viertel Seite lang, wenn wir sie drucken würden. Dieser legendäre Volksphilosoph war in Akschehir, in Mittel-Anatolien im Jahre 1206 geboren worden. Von seinem Vater und in Medressen lernte er Religion und Wissenschaften, er arbeitete als Lehrer, Imam und Medressen-Lehrer. 1285 starb er. Seine Geschichten sind mündlich immer weiter überliefert worden, sogar über die Grenzen des Osmanischen Reiches hinaus. Die Zahl der Nasreddin-Hodscha-Geschichten wurde im Laufe der Zeit vom Volk zu Tausenden vermehrt. Später, Anfang des 16. Jahrhunderts, wurden sie gesammelt und aufgeschrieben.

Was wäre die Welt ohne Nasreddin Hodscha und seine Geschichten? Er wird wohl bald unter unseren Druckpressen ein bisschen leiden, um mit neuen Kräften und vielfach aufzuerstehen.

Unser Ibrahim Müteferrika Efendi hatte uns neulich aufgezählt, was bis jetzt für wichtige Romane im Westen geschrieben und gedruckt wurden. Er war der Meinung, dass die zehnbändigen Reiseberichte unseres großen Evliya Tschelebi auch ein bedeutender Roman sind. Ja sogar jede seiner Reisen für sich sei ein Roman, weil er mit viel Phantasie und Intelligenz seine Reisen witzig zu erzählen weiß. Ibrahim Müteferrika Efendi sagte, er wäre sehr glücklich, wenn er diese zehnbändigen Reiseberichte unseres großen Evliya Tschelebi zu seinen Lebzeiten gedruckt sehen würde. Ich hatte in Evliya Tschelebis handgeschriebenen Reiseberichten schon mehrfach gelesen.

Evliya Tschelebi hatte zwischen 1611 und 1682 gelebt und war fünfzig Jahre lang gereist. Häufig erfüllte er auch bei Paschas und anderen hochrangigen Persönlichkeiten wichtige Aufgaben und Aufträge. Er hatte von Tatsachen geschrieben und tausende Seiten um der Unterhaltung willen hin und wieder mit weniger Wahrem gewürzt.

Meine Neugier war geweckt durch das in Wachstuch eingewickelte Buch einer Frau, das schön gebunden und in gutem Zustand war. Der Einband war ohne eigenes Klappenlesezeichen. Ich durfte das handgeschriebene Buch von Gülhayat gegen Unterschrift für drei Wochen zum Lesen nach Hause mitnehmen. Auch der Zustand des Buches wurde beim Verleihen vermerkt. Mich hatte beim Durchblättern des Buches schon der Name Selaniki Mustafa Efendi angenehm überrascht. Er war eine anerkannte, sehr angesehene Persönlichkeit und war als mutiger Geschichtsschreiber bekannt. Ich kannte seine zweibändigen Geschichtsbücher, in denen er die wichtigen Ereignisse von 1563 bis 1600, erzählte. In vielen Bibliotheken, auch in westlichen Ländern, waren Abschriften seiner Bücher zu finden. Ich hatte mehrfach in seinen Büchern zu gegebenen Anlässen nachgeschlagen.

Zu Hause angekommen, erfrischte ich mich und speiste im Kreise meiner Familie zu Abend. Nachdem ich genügend für mein leibliches Wohl getan hatte, wusch ich mir die Hände und freute mich in Erwartung auf das Lesen des Buches, welches ich auf mein Lesepult gelegt hatte. Aus einem Schubfach des Pultes entnahm ich das Geschenk unseres verehrten Ibrahim Müteferrika Efendi, der jedem Mitarbeiter anlässlich der Einweihung unserer ersten osmanischen Druckerei ein Lesezeichen geschenkt hatte. Die flache, fein ziselierte silberne Hülle hat einen Schiebedeckel, auf dem in der Mitte das Zeichen unserer Druckerei in einem kleinen Oval eingraviert ist. Die Hülle ist innen mit grünem Seidensamt gepolstert, auf dem ein gemustert gewebtes weißes Seidenband in der Breite eines kleinen Fingers liegt. Dieses Lesezeichen bedeutet mir sehr viel. Ich rückte die Lampe zurecht ...

In fünf Nächten hatte ich Gülhayats Buch gelesen. Ich lehnte mich zurück und ließ meine Gedanken frei schweifen und die darauf folgenden Ereignisse, die im Osmanischen Reich geschehen waren, wie Bilder vor meinem Auge entstehen.

Sultan Murad III., der alle schönen Künste liebte, die Künstler unterstützte, selber Miniaturen malte, mit dem Künstlernamen Muradi schöne Gedichte und ein Buch über Philosophie schrieb, Uhren bastelte, in vielen Orten des Osmanischen Reichs schöne Külliyes bauen ließ, konnte den Rückgang des Staates nicht aufhalten. In seiner Zeit wucherte die Korruption. Murad betäubte sich in jüngeren Jahren mit Opium, in späteren Jahren dann mit Wein. Frauen waren für ihn gut, wenn es viele waren. Sultan Murad III. bekam im Jahre 1595 nachts epilepsieähnliche Anfälle und erlag einem schmerzhaften Nierenleiden.

Seinen Tod und die Beerdigung und was dann geschah, beschrieb Selaniki Mustafa Efendi in seinem Geschichtsbuch auf seine mitfühlende Weise. Safiye Sultans einziger Sohn Mehmet wurde mit 29 Jahren als Mehmet III. der nächste Sultan.

So wie Gülhayat in ihrem Buch schreibt, habe Mehmet seiner Mutter versprochen, dass, wenn er der neue Sultan werde, er seine Stiefbrüder weiter leben lassen werde. Aber als ersten Staatsakt, ließ Mehmet III. seine 19 Stiefbrüder mit Seidenschnüren erdrosseln. Dabei beließ er es nicht. Er war gründlicher. Da waren noch sieben Sklavinnen, die von seinem Vorgänger, seinem Vater geschwängert worden waren. Die sieben hochschwangeren Frauen ließ er auch töten. Seine 27 Stiefschwestern ließ er leben und entsprach damit voll dem Gesetz.

Die Bautätigkeiten an der Külliye der Sultanin Safiye kamen nicht voran. Der Architekt Davut Aga wurde entlassen, der für den gesamten Baukomplex die Pläne gezeichnet hatte. Er soll in finanzielle Angelegenheiten verwickelt gewesen sein, über die ich aber nichts Genaues weiß. So begann Dalgitsch Ahmet Aga mit dem Bau.

Der Sohn der Sultanin, Sultan Mehmet III., erlebte Kriege, Aufstände und viele sehr turbulente Ereignisse. Die neuen, mehrfach beauftragten Großwesire konnten die Missstände im Lande und an den Grenzen nicht bewältigen und den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Niedergang des Reichs nicht verhindern. Sultan Mehmet III., das einzige Kind der Sultanin Safiye, der Venezianerin, starb im Jahre 1603. Er wurde 37 Jahre alt.

Nach dem Tode Sultan Mehmets III. musste die Sultanin Safiye zum alten Palast in Beyazit umziehen. Die Bautätigkeiten an ihrer Külliye wurden abgebrochen. Ihr Wunsch, unten am Goldenen Horn gegenüber Galata eine Külliye bauen zu lassen, die sie an ihre Mädchenzeit und an Venedigs Markusplatz erinnern würde, ging nicht in Erfüllung. Im Jahre 1605, zwei Jahre nach dem Tod ihres Sohnes, Sultan Mehmet III., starb die Sultanin Safiye mit 55 Jahren im alten Schloss.

Erst zu Zeiten der Sultanin Turhan wurden die Bauarbeiten an Safiye Sultans Külliye wieder aufgenommen. Der Basar, der Misir Tscharschisi heißt, war 1660 bereits fertig. Im Jahre 1663 wurden die Moschee und die sonstigen dazu gehörigen Bauten vollendet.

Nach dem Tode Sultan Mehmets III. kam ein Enkel der Sultanin Safiye auf den Thron. Es war Ahmet I., der keinen seiner Brüder töten ließ. Das grausame Gesetz ließ er als ersten Staatsakt ändern. Von da an wurde der älteste Sohn des verstorbenen Sultans der Thronfolger.

Sultan Ahmet I. ließ drei Jahre nach seiner Thronbesteigung, im Jahre 1606, gegenüber der Hagia-Sophia-Kirche, die seit Istanbuls Eroberung Moschee war und Ayasofya Camii heißt, eine riesige Moschee mit dazugehöriger Külliye bauen. Die Moschee wurde 1617 fertig gestellt. Die Külliye, die 1620 fertig wurde, umfasst, wie die meisten ihresgleichen, Hamam, Schule, Medresse, Armenküche, Krankenhaus und Basar. Die Moschee ist innen mit herrlichen bemalten Kacheln ausgestattet und hat farbige Glasfenster. Sie ist bestimmend für diesen Stadtteil, der wie die Moschee den Namen des Sultans trägt.

Sedefkar Mehmet Aga war der Oberarchitekt. Kasim Aga, einer der Architekten, welcher an dem Bau mitgewirkt hatte, wurde 1622 Oberarchitekt und der baute später unter anderem auch alle Kuppeln des Tadsch Mahal in Indien.

Sultan Ahmet I. starb im Jahre 1617. Er wurde nur 27 Jahre alt. Ich denke mit großer Achtung an ihn.

Nach seinem Tode wurde sein Bruder, der 26-jährige, geisteskranke Mustafa von Palastintriganten, als Mustafa I. auf den Thron gesetzt. Da seine Krankheit sich verschlimmerte, wurde er durch Beschluss der Wesire nach drei Monaten abgesetzt. Dann kam der erst 14-jährige Osman, der Sohn von Ahmet I. Der junge Sultan bestieg als Osman II. den Thron; er schloss mit dem Iran einen Friedensvertrag. Im Krieg gegen Polen, den er mit seinen Beratern am Ort des Krieges befehligte, konnte er keine Erfolge verzeichnen. Das lag nach Meinung seiner Berater an den degenerierten Janitscharen- und Sipahi-Reitertruppen. Sultan Osman II. wollte diese Truppen abschaffen. Dieser gescheite Sultan hatte noch eine Reihe Erneuerungen auf vielen Ebenen der Gesellschaft vor. Auch die Sultane selbst sollten beispielsweise nur mit einer Frau verheiratet sein. Zu seinen Reformen kam es nicht. Die betroffenen Kreise, voran die Janitscharen, machten einen Aufstand, setzten den Sultan ab und sperrten ihn in der Janitscharenfestung Yedikule ein, wo er in seiner Zelle von mehreren beauftragten Scharfrichtern überwältigt und erdrosselt wurde. 18-jährig war er, kräftig, hoffnungsvoll und unerfahren, der junge Osman. Noch heute hat unser Volk sehr viel Mitleid mit ihm.

Der geisteskranke Mustafa wurde wieder auf den Thron gesetzt. In Anatolien und Istanbul nahm die Zahl der Aufstände ununterbrochen zu. Viele Menschen wurden Opfer dieser Aufstände. Nach einem Jahr wurde Mustafa wieder abgesetzt und nach 16-jähriger Haft in seinem Zimmer im Topkapi-Palast erdrosselt.

Diese Gedanken, veranlasst durch das Buch von Gülhayat, schrieb ich auf. Unsere 16-jährige Tochter Nilüfer und unser Hausmädchen Feride, ein gleichaltriges Waisenkind, das wir wie ein eigenes Kind behandeln, hatten das Buch tagsüber abwechselnd meiner Frau Selma vorgelesen. Sie hatten einen roten Seidenfaden als Lesezeichen mit ins Buch gelegt. Beide Mädchen waren auch über unsere Geschichte aus Büchern und durch mich gut informiert. Sie wussten, dass nach dem zweimal mit Gewalt zum Thron gebrachten und abgesetzten und später erdrosselten Mustafa, bis zu unserem jetzigen Sultan, fünf Sultane regierten, von denen auch zwei abgesetzt wurden.

Gülhayats Buch machte neugierig. Ich forschte nach und machte Notizen. Die Kaiserlich Deutsche Gesandtschaft, in deren Räumen unter anderem Gülhayats Hildegard und Ursula gelebt hatten, wurde 1644 verlassen. Seitdem befindet sich die Gesandtschaft auf der anderen Seite vom Goldenen Horn, in Galata. Vier Jahre später ging in Westeuropa der Dreißigjährige Krieg zu Ende.

Die Konstantinsäule vor der damaligen Kaiserlich Deutschen Gesandtschaft, die zur Römerzeit aus Rom vom Apollontempel gebracht wurde, trug oben anfänglich die Statue von Konstantin, später von Theodosius und zuletzt ein goldenes Kreuz. Das Kreuz wurde nach der Eroberung der Stadt durch die Osmanen entfernt. Im Jahre 1672 bekam die Säule wegen eines Brandes in der Nachbarschaft Schäden. Deswegen wurde sie mit mehreren Eisenreifen und senkrechten Eisenschienen stabilisiert. Seitdem heißt sie Säule mit Reifen, Tschemberlitasch. Der Platz vor der Säule und der ganze Stadtteil heißen Tschemberlitasch. Ich forschte auch nach, ob nach diesem Raub im Jahre 1591 im Kapalitscharschi in den folgenden Jahren bis heute etwas Ähnliches vorgefallen ist, aber nie wieder ist etwas derartiges vorgefallen.

Meine lieben Mädchen und Selma, meine Frau, haben beschlossen, einen Besuch im Tschemberlitasch-Hamam zu machen. In diesem Badehaus waren sie bisher nicht. Beim Baden wollen sie von der Zeit, in der Gülhayat lebte, träumen.

Ich entnahm dem Buch die beiden Lesezeichen, den roten Faden und das weiße Seidenband. Meine Frau Selma bat mich, meinen Notizen, die ich als lose Blätter zu Gülhayats Buch legen werde, folgenden Wunsch von ihr und unseren Mädchen hinzuzufügen:

"Allen Personen, die in Gülhayats Roman zu Wort gekommen sind, mit denen wir im Geiste gelebt, geliebt und gelitten haben, mit denen wir unterwegs waren, mit denen wir uns geärgert oder gefreut haben, wünschen wir, ganz gleich, ob sie gute oder schlimme Taten vollbracht haben, sie mögen alle in ihren Gräbern oder Gewässern endgültig ihre Ruhe haben. Der Allmächtige möge ihnen Böses vergeben und das Gute belohnen."

Dem schließe ich mich an.


E n d e

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Abbas Güçlü, Adil Karaağaç, Ali Ağaoğlu, <Ali Kibar, Adnan Nas, Adnan Polat, Adnan Şenses, Ahmet Başar, Ahmet Esen, Alber Bilen ,Ahmet Cemal Kura, Ali Abalıoğlu, Ali Naci Karacan, Ali Sabancı, Ali Koç, Ali Saydam, Ali Talip Özdemir, Ali Üstay, Arman Manukyan, Arzuhan Yalçındağ, Asaf Güneri, Atila Şenol, Attila Özdemiroğlu, Avni Çelik, Ayduk Koray, Aydın Ayaydın, Aydın Boysan, Ayhan Bermek, AyşeKulin, Ayten Gökçer, Başaran Ulusoy, BedrettinDalan, Bedri Baykam, Berhan Şimşek, BetülMardin, Bülend Özaydınlı, Bülent Akarcalı, Bülent Eczacıbaşı, Bülent Şenver, CağvitÇağlar, Can Ataklı, Can Dikmen, Can Has, Can Kıraç, Canan Edipoğlu, Celalettin Vardarsuyu, Cengiz Kaptanoğlu, Cevdetİnci, Çoşkun Ural, Cüneyt Asan, Cünety Ülsever, Çağlayan Arkan, Çetin Gezgincan, DenizAdanalı, Deniz Kurtsan, Didem Demirkent, Dilek Sabancı, Dr. Oktay Duran, Ege Cansel, Em. Org. Çevik Bir, Emre Berkin, Engin Akçakoca, Enver Ören, Erdal Aksoy, Erdoğan Demirören, ErhanKurdoğlu, Erkan Mumcu, Erkut Yücaoğlu, Ergun Özakat, Ergun Özen, Erol Üçer, Ersin Arıoğlu, Ersin Faralyalı, Ersin Özince, Ethem Sancak, Fatih Altaylı, Fatih Terim, Ferit Şahenk, Ferruh Tanay,Feyhan Kalpaklıoğlu, Feyyaz Berker, Fuat Miras, Fuat Süren, Füsun Önal, Göksel Kortay, Güler Sabancı, Güngör Kaymak, Hakan Ateş, Halit Soydan, Halit Kıvanç, Haluk Okutur, Haluk Şahin, Hamdi Akın, Hasan Güleşçi, HayrettinKaraca, Hazım Kantarcı, Hilmi Özkök, Hüsamettin Kavi, Hüseyin Kıvrıkoğlu, Hüsnü Özyeğin, Işın Çelebi, İbrahim Arıkan, İbrahim Betil, İbrahim Bodur, İbrahim Cevahir, İbrahim Kefeli, İdris Yamantürk, İhsan Kalkavan, İshak Alaton, İsmet Acar, İzzet Garih, İzzet Günay, İzzet Özilhan, JakKamhi, Kazım Taşkent, Kemal Köprülü, Kemal Şahin, Leyla Alaton Günyeli, LeylaUmar, Lucien Arkas, Mahfi Eğilmez, MehmetAli Birand, Mehmet Ali Yalçındağ, Mehmet Başer, Mehmet Günyeli, Mehmet Huntürk, Mehmet Keçeciler, Mehmet Kutman, Mehmet Şuhubi, Melih Aşık, Meltem Kurtsan, Mesut Erez, Metin Kalkavan, Metin Kaşo, Muharrem Kayhan, Muhtar Kent, Murat Akdoğan, Murat Dedeman, MuratVargı, Mustafa Koç, Mustafa Özyürek, Mustafa Sarıgül, Mustafa Süzer, Mümtaz Soysal, Nafi Güral, Nail Keçili, Nasuh Mahruki, Nebil Özgentürk, Neşe Erberk, Nevval Sevindi, Nezih Demirkent, Nihat Boytüzün, Nihat Gökyiğit, Nihat Sırdar, Niyazi Önen, Nur Ger, Nurettin Çarmıklı, Nuri Çolakoğlu, Nüzhet Kandemir, Oğuz Gürsel, Oktay Duran, Oktay Ekşi, Oktay Varlıer, Osman Birsel, Osman Şevket Çarmıklı, Ozan Diren, Özen Göksel, ÖzdemirErdoğan, Özhan Erem, Pervin Kaşo, R.BülentTarhan, Raffi Portakal, Rahmi Koç, Rauf Denktaş, Refik Baydur, Rıfat Hisarcıklıoğlu, SakıpSabancı, Samsa Karamehmet, Savaş Ünal, SedatAloğlu, Sefa Sirmen, Selçuk Alagöz, SelçukYaşar, Selim Seval, Semih Saygıner, SerdarBilgili, Sevan Bıçakçı, Sevgi Gönül, Sezen Cumhur Önal, SinanAygün, Suna Kıraç, Süha Derbent, Süleyman Demirel, ŞadanKalkavan, Şadi Gücüm, Şahin Tulga, Şakir Eczacıbaşı, Şarık Tara, Şerif Kaynar, ŞevketSabancı, Tan Sağtürk, Taner Ayhan, Tanıl Küçük, Tanju Argun, Tansu Yeğen, TavacıRecep Usta, Tayfun Okter, Tevfik Altınok, Tezcan Yaramancı, Tinaz Titiz, Tuna Beklevic, Tuncay Özilhan, Türkan Saylan, Uğur Dündar, Uluç Gürkan, Umur Talu, Ümit Tokçan, Üzeyir Garih, Vehbi Koç, Vitali Hakko, Vural Öger, Yaşar Aşçıoğlu, Yaşar Nuri Öztürk, Yılmaz Ulusoy, Yusuf Köse, Zafer Çağlayan, Zeynel AbidinErdem

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